Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
(Österreichs Grenzschutz gegen Rußland

Der Mangel permanent befestigter Punkte an der von Natur aus starken
Hindernislinie des Dnjestr fällt bei dessen bedeutender Länge (von Sainbor
bis zur Grenze 260 Kilometer) sehr nachteilig in die Wagschale; dieser Mangel
macht sich besonders deshalb fühlbar, weil die Hindernislinie auf beiden
Flanken umgangen werden kann; rechts durch einen Vorstoß des Angreifers
am rechten Dnjestrufer, links durch ein Vorgehn westlich von Sambor, in:
Zwischenraum zwischen San und Dnjestr; die zuletzt genannte Maßnahme wird
allerdings durch das befestigte Lager von Przemysl stark eingeschränkt.

Die im Vergleich zu Westgalizien nur sehr schwache Befestigung wichtiger
Räume läßt auf die Absicht, hier offensiv vorzugehn, schließen; im Falle eines
Verteidigungskrieges, der nach den Stärkeverhältnissen nicht ausgeschlossen scheint,
besitzt Ostgalizien keine erfolgverheißende Stützen der Verteidigung. Die befestigten
Punkte, durchweg feldmäßigen Charakters, bezwecken vor allem die Sicherung
gegen Überrumpelungen durch die in weitem Bogen Ostgalizien umschließenden
russischen Kavalleriemassen. Die guten Verbindungen mit dem Hinterkante und
zahlreiches an Ort und Stelle befindliches Material erleichtern die Instandsetzung
dieser Plätze im Kriegsfalle, wenn auf einen permanenten Schutz anch nicht
gerechnet werden kann. Für eine aus Ostgalizien zurückgehende österreichisch¬
ungarische Armee wird sich, besonders in den ersten Stadien des Feldzugs, die
Notwendigkeit ergeben, in und um Przemysl ihre Verteidigung zu suchen.

Der Bedeutung Galiziens als Aufmarschraum und Kriegsschauplatz stehn
Armut an Hilfsquellen und ungünstige Kommunikationsverhültnisse schroff
gegenüber; die dadurch erhöhte Bedeutung der vornehmlich zu militärischen
Zwecken sehr leisen"gsfähig ausgestalteten Eisenbahnen weist darauf hiu, daß
eine Zerstörung wichtiger Objekte dieser Bahnen von besonders schwerwiegenden
Folgen sein müßte, deshalb vom Gegner auch angestrebt werden dürfte. Für
die Zerstörung sind vielfach sehr günstige Bedingungen vorhanden, indem
einerseits die Brücken über viele Wasserlinien, ferner zahlreiche Tunnels, be¬
sonders im Karpatengebiete, Objekte darstellen, deren Wiederherstellung lange
Zeit dauern könnte, und indem andrerseits die in vielen Strichen offne Grenze
eine Unterbindung der längs dieser führenden Gleise leicht durchführen läßt.
Diese Umstände fordern deshalb ausreichende Vorsorgen für die unbedingte
Sicherung solcher Objekte und der Bahnen überhaupt, in erhöhtem Maße für
die Linien, die in der Nähe der offnen Grenzräume vorüberführen. Die halb¬
kreisförmig um die Grenze stationierte zahlreiche russische Kavallerie scheint zu
weitreichenden Streifzügen geradezu prädestiniert. Die günstigsten Richtungen
infolge des offnen, ziemlich hindernislosem Geländes und wichtiger Bahnstrecken
sind für solche Einbrüche die über Trzebinia, Tarnogrod, Beizen, Stojanow,
Brody und zwischen Prut und Dnjestr.

Diesen Verhältnissen wird in Galizien durch die Grenz- und Bahnsicherung
im allgemeinen, die Truppendislokation, Befestigungsanlagen, zahlreiche be¬
sondre Objektsicherungen und andre Vorkehrungen Rechnung getragen. Zur


(Österreichs Grenzschutz gegen Rußland

Der Mangel permanent befestigter Punkte an der von Natur aus starken
Hindernislinie des Dnjestr fällt bei dessen bedeutender Länge (von Sainbor
bis zur Grenze 260 Kilometer) sehr nachteilig in die Wagschale; dieser Mangel
macht sich besonders deshalb fühlbar, weil die Hindernislinie auf beiden
Flanken umgangen werden kann; rechts durch einen Vorstoß des Angreifers
am rechten Dnjestrufer, links durch ein Vorgehn westlich von Sambor, in:
Zwischenraum zwischen San und Dnjestr; die zuletzt genannte Maßnahme wird
allerdings durch das befestigte Lager von Przemysl stark eingeschränkt.

Die im Vergleich zu Westgalizien nur sehr schwache Befestigung wichtiger
Räume läßt auf die Absicht, hier offensiv vorzugehn, schließen; im Falle eines
Verteidigungskrieges, der nach den Stärkeverhältnissen nicht ausgeschlossen scheint,
besitzt Ostgalizien keine erfolgverheißende Stützen der Verteidigung. Die befestigten
Punkte, durchweg feldmäßigen Charakters, bezwecken vor allem die Sicherung
gegen Überrumpelungen durch die in weitem Bogen Ostgalizien umschließenden
russischen Kavalleriemassen. Die guten Verbindungen mit dem Hinterkante und
zahlreiches an Ort und Stelle befindliches Material erleichtern die Instandsetzung
dieser Plätze im Kriegsfalle, wenn auf einen permanenten Schutz anch nicht
gerechnet werden kann. Für eine aus Ostgalizien zurückgehende österreichisch¬
ungarische Armee wird sich, besonders in den ersten Stadien des Feldzugs, die
Notwendigkeit ergeben, in und um Przemysl ihre Verteidigung zu suchen.

Der Bedeutung Galiziens als Aufmarschraum und Kriegsschauplatz stehn
Armut an Hilfsquellen und ungünstige Kommunikationsverhültnisse schroff
gegenüber; die dadurch erhöhte Bedeutung der vornehmlich zu militärischen
Zwecken sehr leisen»gsfähig ausgestalteten Eisenbahnen weist darauf hiu, daß
eine Zerstörung wichtiger Objekte dieser Bahnen von besonders schwerwiegenden
Folgen sein müßte, deshalb vom Gegner auch angestrebt werden dürfte. Für
die Zerstörung sind vielfach sehr günstige Bedingungen vorhanden, indem
einerseits die Brücken über viele Wasserlinien, ferner zahlreiche Tunnels, be¬
sonders im Karpatengebiete, Objekte darstellen, deren Wiederherstellung lange
Zeit dauern könnte, und indem andrerseits die in vielen Strichen offne Grenze
eine Unterbindung der längs dieser führenden Gleise leicht durchführen läßt.
Diese Umstände fordern deshalb ausreichende Vorsorgen für die unbedingte
Sicherung solcher Objekte und der Bahnen überhaupt, in erhöhtem Maße für
die Linien, die in der Nähe der offnen Grenzräume vorüberführen. Die halb¬
kreisförmig um die Grenze stationierte zahlreiche russische Kavallerie scheint zu
weitreichenden Streifzügen geradezu prädestiniert. Die günstigsten Richtungen
infolge des offnen, ziemlich hindernislosem Geländes und wichtiger Bahnstrecken
sind für solche Einbrüche die über Trzebinia, Tarnogrod, Beizen, Stojanow,
Brody und zwischen Prut und Dnjestr.

Diesen Verhältnissen wird in Galizien durch die Grenz- und Bahnsicherung
im allgemeinen, die Truppendislokation, Befestigungsanlagen, zahlreiche be¬
sondre Objektsicherungen und andre Vorkehrungen Rechnung getragen. Zur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314009"/>
          <fw type="header" place="top"> (Österreichs Grenzschutz gegen Rußland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1314"> Der Mangel permanent befestigter Punkte an der von Natur aus starken<lb/>
Hindernislinie des Dnjestr fällt bei dessen bedeutender Länge (von Sainbor<lb/>
bis zur Grenze 260 Kilometer) sehr nachteilig in die Wagschale; dieser Mangel<lb/>
macht sich besonders deshalb fühlbar, weil die Hindernislinie auf beiden<lb/>
Flanken umgangen werden kann; rechts durch einen Vorstoß des Angreifers<lb/>
am rechten Dnjestrufer, links durch ein Vorgehn westlich von Sambor, in:<lb/>
Zwischenraum zwischen San und Dnjestr; die zuletzt genannte Maßnahme wird<lb/>
allerdings durch das befestigte Lager von Przemysl stark eingeschränkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1315"> Die im Vergleich zu Westgalizien nur sehr schwache Befestigung wichtiger<lb/>
Räume läßt auf die Absicht, hier offensiv vorzugehn, schließen; im Falle eines<lb/>
Verteidigungskrieges, der nach den Stärkeverhältnissen nicht ausgeschlossen scheint,<lb/>
besitzt Ostgalizien keine erfolgverheißende Stützen der Verteidigung. Die befestigten<lb/>
Punkte, durchweg feldmäßigen Charakters, bezwecken vor allem die Sicherung<lb/>
gegen Überrumpelungen durch die in weitem Bogen Ostgalizien umschließenden<lb/>
russischen Kavalleriemassen. Die guten Verbindungen mit dem Hinterkante und<lb/>
zahlreiches an Ort und Stelle befindliches Material erleichtern die Instandsetzung<lb/>
dieser Plätze im Kriegsfalle, wenn auf einen permanenten Schutz anch nicht<lb/>
gerechnet werden kann. Für eine aus Ostgalizien zurückgehende österreichisch¬<lb/>
ungarische Armee wird sich, besonders in den ersten Stadien des Feldzugs, die<lb/>
Notwendigkeit ergeben, in und um Przemysl ihre Verteidigung zu suchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1316"> Der Bedeutung Galiziens als Aufmarschraum und Kriegsschauplatz stehn<lb/>
Armut an Hilfsquellen und ungünstige Kommunikationsverhültnisse schroff<lb/>
gegenüber; die dadurch erhöhte Bedeutung der vornehmlich zu militärischen<lb/>
Zwecken sehr leisen»gsfähig ausgestalteten Eisenbahnen weist darauf hiu, daß<lb/>
eine Zerstörung wichtiger Objekte dieser Bahnen von besonders schwerwiegenden<lb/>
Folgen sein müßte, deshalb vom Gegner auch angestrebt werden dürfte. Für<lb/>
die Zerstörung sind vielfach sehr günstige Bedingungen vorhanden, indem<lb/>
einerseits die Brücken über viele Wasserlinien, ferner zahlreiche Tunnels, be¬<lb/>
sonders im Karpatengebiete, Objekte darstellen, deren Wiederherstellung lange<lb/>
Zeit dauern könnte, und indem andrerseits die in vielen Strichen offne Grenze<lb/>
eine Unterbindung der längs dieser führenden Gleise leicht durchführen läßt.<lb/>
Diese Umstände fordern deshalb ausreichende Vorsorgen für die unbedingte<lb/>
Sicherung solcher Objekte und der Bahnen überhaupt, in erhöhtem Maße für<lb/>
die Linien, die in der Nähe der offnen Grenzräume vorüberführen. Die halb¬<lb/>
kreisförmig um die Grenze stationierte zahlreiche russische Kavallerie scheint zu<lb/>
weitreichenden Streifzügen geradezu prädestiniert. Die günstigsten Richtungen<lb/>
infolge des offnen, ziemlich hindernislosem Geländes und wichtiger Bahnstrecken<lb/>
sind für solche Einbrüche die über Trzebinia, Tarnogrod, Beizen, Stojanow,<lb/>
Brody und zwischen Prut und Dnjestr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1317" next="#ID_1318"> Diesen Verhältnissen wird in Galizien durch die Grenz- und Bahnsicherung<lb/>
im allgemeinen, die Truppendislokation, Befestigungsanlagen, zahlreiche be¬<lb/>
sondre Objektsicherungen und andre Vorkehrungen Rechnung getragen. Zur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0306] (Österreichs Grenzschutz gegen Rußland Der Mangel permanent befestigter Punkte an der von Natur aus starken Hindernislinie des Dnjestr fällt bei dessen bedeutender Länge (von Sainbor bis zur Grenze 260 Kilometer) sehr nachteilig in die Wagschale; dieser Mangel macht sich besonders deshalb fühlbar, weil die Hindernislinie auf beiden Flanken umgangen werden kann; rechts durch einen Vorstoß des Angreifers am rechten Dnjestrufer, links durch ein Vorgehn westlich von Sambor, in: Zwischenraum zwischen San und Dnjestr; die zuletzt genannte Maßnahme wird allerdings durch das befestigte Lager von Przemysl stark eingeschränkt. Die im Vergleich zu Westgalizien nur sehr schwache Befestigung wichtiger Räume läßt auf die Absicht, hier offensiv vorzugehn, schließen; im Falle eines Verteidigungskrieges, der nach den Stärkeverhältnissen nicht ausgeschlossen scheint, besitzt Ostgalizien keine erfolgverheißende Stützen der Verteidigung. Die befestigten Punkte, durchweg feldmäßigen Charakters, bezwecken vor allem die Sicherung gegen Überrumpelungen durch die in weitem Bogen Ostgalizien umschließenden russischen Kavalleriemassen. Die guten Verbindungen mit dem Hinterkante und zahlreiches an Ort und Stelle befindliches Material erleichtern die Instandsetzung dieser Plätze im Kriegsfalle, wenn auf einen permanenten Schutz anch nicht gerechnet werden kann. Für eine aus Ostgalizien zurückgehende österreichisch¬ ungarische Armee wird sich, besonders in den ersten Stadien des Feldzugs, die Notwendigkeit ergeben, in und um Przemysl ihre Verteidigung zu suchen. Der Bedeutung Galiziens als Aufmarschraum und Kriegsschauplatz stehn Armut an Hilfsquellen und ungünstige Kommunikationsverhültnisse schroff gegenüber; die dadurch erhöhte Bedeutung der vornehmlich zu militärischen Zwecken sehr leisen»gsfähig ausgestalteten Eisenbahnen weist darauf hiu, daß eine Zerstörung wichtiger Objekte dieser Bahnen von besonders schwerwiegenden Folgen sein müßte, deshalb vom Gegner auch angestrebt werden dürfte. Für die Zerstörung sind vielfach sehr günstige Bedingungen vorhanden, indem einerseits die Brücken über viele Wasserlinien, ferner zahlreiche Tunnels, be¬ sonders im Karpatengebiete, Objekte darstellen, deren Wiederherstellung lange Zeit dauern könnte, und indem andrerseits die in vielen Strichen offne Grenze eine Unterbindung der längs dieser führenden Gleise leicht durchführen läßt. Diese Umstände fordern deshalb ausreichende Vorsorgen für die unbedingte Sicherung solcher Objekte und der Bahnen überhaupt, in erhöhtem Maße für die Linien, die in der Nähe der offnen Grenzräume vorüberführen. Die halb¬ kreisförmig um die Grenze stationierte zahlreiche russische Kavallerie scheint zu weitreichenden Streifzügen geradezu prädestiniert. Die günstigsten Richtungen infolge des offnen, ziemlich hindernislosem Geländes und wichtiger Bahnstrecken sind für solche Einbrüche die über Trzebinia, Tarnogrod, Beizen, Stojanow, Brody und zwischen Prut und Dnjestr. Diesen Verhältnissen wird in Galizien durch die Grenz- und Bahnsicherung im allgemeinen, die Truppendislokation, Befestigungsanlagen, zahlreiche be¬ sondre Objektsicherungen und andre Vorkehrungen Rechnung getragen. Zur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/306
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/306>, abgerufen am 23.07.2024.