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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen

Ausdruck, die, das Ries durchfließend, den Jura durchbrechend, bei Donau-
wörth die nahe Donau erreicht, unfern dem von Süden einmündenden Lech-
tale. In Beschreibungen aus frühern Jahrhunderten kann man sogar von
"Augsburg im Ries" lesen. Man will den Landschaftsnamen aus dem alten
Rätier ableiten. So hätten wir also hier ein Beispiel für das allmähliche
Einschrumpfen eines landschaftlichen Begriffs, bis dieser an den Grenzen einer
natürlichen Landschaft haften blieb.

In Wallerstein, dessen dunkler Park und grauer Felsen aus Süßwasser¬
kalk schon aus einiger Entfernung sichtbar waren, ziehe ich es starken Regens
halber vor, in das von Nördlingen herbeigeschlichne Züglein zu steigen. Das
Land wird hüglig und waldig. Ich habe Muße genug, es von meinem
Schneckenzug aus zu betrachten. Ein Rieser Bauer unterhält mich von den
Ernteaussichten und von der Gegend, vom fürstlichen Geschlechte Öttingen,
das seit Jahrhunderten hier sitzt, vom befestigten Friedhof in Marktoffingen
und von der großen fürstlichen Bibliothek drüben in Maihingen, von der er
Wunderdinge zu erzählen weiß.

Wir sind aus dem eigentlichen Nies heraus und ins Tälchen der obern
Wörnitz eingebogen. Dinkelsbühl erscheint, an eine Anhöhe sich schmiegend,
ein kecklustiges Auftrotzen von Mauer, Turm und Tttrmchen. Ein Auftrotzen
gegen die veränderte Zeit wie einst gegen den Feind.

Mir ist zumute, als ziehe mir hier am lichten Tage ein gutgesinnter
Wandergeist den Schleier, der über der deutschen Vergangenheit liegt wie
über allem Gewehren, einmal ganz hinweg, damit die Dinge von einst rein
und losgelöst auf mich wirken können. Ich erinnere mich nicht, von einer
alten Stadt je einen so ungemischten, klaren Eindruck empfangen zu haben
wie von diesem Neichsstädtchen, das an Zahl seiner Bewohner hinter Nörd¬
lingen weit zurückbleibt.

Man hat die Stadt am Dinkelsbühl ein lebendes Fossil der unterge-
gangnen mittelalterlichen Städte genannt. Der Vergleich ist gut. Nur muß
man auf beide Worte gleich starken Ton legen. Ich weile nun kaum eine
Stunde in diesen Mauern, und doch sind sie mir schon lieb geworden. Alles
ist hier, trotz uralt schweigsamer Steine und Steingefüge, lebendiger als in
Nördlingen: die wellige Landschaft mit Fluß und Feld und fernen Wald¬
hügeln unter aufgehelltem Himmel, der auf und ab gehende Ring der efeu-
umgrünten Stadtmauer, der volle, wechselreiche Kranz edel und gemütlich ge¬
formter Türme und gegiebelter Stadttore, ihr Spiegelbild in Weiher und
Nuß, die unebenen Gassen, das reichere Gartengrün, die schön geschmiedeten
Zeichen an der Goldner Rose und am Schwarzen Adler, am Grünen Meer und
am Goldner Koppen, der Brunnen des Dinkelbauern, des sagenhaften Stadt¬
gründers, die fränkische Redelustigkeit der Einheimischen, in der sich der
fränkische mit dem schwäbischen Dialekt mischt. Selbst das Wappen ist sprechend
und lustig: drei Dinkelähren auf roten Bühler.


Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen

Ausdruck, die, das Ries durchfließend, den Jura durchbrechend, bei Donau-
wörth die nahe Donau erreicht, unfern dem von Süden einmündenden Lech-
tale. In Beschreibungen aus frühern Jahrhunderten kann man sogar von
„Augsburg im Ries" lesen. Man will den Landschaftsnamen aus dem alten
Rätier ableiten. So hätten wir also hier ein Beispiel für das allmähliche
Einschrumpfen eines landschaftlichen Begriffs, bis dieser an den Grenzen einer
natürlichen Landschaft haften blieb.

In Wallerstein, dessen dunkler Park und grauer Felsen aus Süßwasser¬
kalk schon aus einiger Entfernung sichtbar waren, ziehe ich es starken Regens
halber vor, in das von Nördlingen herbeigeschlichne Züglein zu steigen. Das
Land wird hüglig und waldig. Ich habe Muße genug, es von meinem
Schneckenzug aus zu betrachten. Ein Rieser Bauer unterhält mich von den
Ernteaussichten und von der Gegend, vom fürstlichen Geschlechte Öttingen,
das seit Jahrhunderten hier sitzt, vom befestigten Friedhof in Marktoffingen
und von der großen fürstlichen Bibliothek drüben in Maihingen, von der er
Wunderdinge zu erzählen weiß.

Wir sind aus dem eigentlichen Nies heraus und ins Tälchen der obern
Wörnitz eingebogen. Dinkelsbühl erscheint, an eine Anhöhe sich schmiegend,
ein kecklustiges Auftrotzen von Mauer, Turm und Tttrmchen. Ein Auftrotzen
gegen die veränderte Zeit wie einst gegen den Feind.

Mir ist zumute, als ziehe mir hier am lichten Tage ein gutgesinnter
Wandergeist den Schleier, der über der deutschen Vergangenheit liegt wie
über allem Gewehren, einmal ganz hinweg, damit die Dinge von einst rein
und losgelöst auf mich wirken können. Ich erinnere mich nicht, von einer
alten Stadt je einen so ungemischten, klaren Eindruck empfangen zu haben
wie von diesem Neichsstädtchen, das an Zahl seiner Bewohner hinter Nörd¬
lingen weit zurückbleibt.

Man hat die Stadt am Dinkelsbühl ein lebendes Fossil der unterge-
gangnen mittelalterlichen Städte genannt. Der Vergleich ist gut. Nur muß
man auf beide Worte gleich starken Ton legen. Ich weile nun kaum eine
Stunde in diesen Mauern, und doch sind sie mir schon lieb geworden. Alles
ist hier, trotz uralt schweigsamer Steine und Steingefüge, lebendiger als in
Nördlingen: die wellige Landschaft mit Fluß und Feld und fernen Wald¬
hügeln unter aufgehelltem Himmel, der auf und ab gehende Ring der efeu-
umgrünten Stadtmauer, der volle, wechselreiche Kranz edel und gemütlich ge¬
formter Türme und gegiebelter Stadttore, ihr Spiegelbild in Weiher und
Nuß, die unebenen Gassen, das reichere Gartengrün, die schön geschmiedeten
Zeichen an der Goldner Rose und am Schwarzen Adler, am Grünen Meer und
am Goldner Koppen, der Brunnen des Dinkelbauern, des sagenhaften Stadt¬
gründers, die fränkische Redelustigkeit der Einheimischen, in der sich der
fränkische mit dem schwäbischen Dialekt mischt. Selbst das Wappen ist sprechend
und lustig: drei Dinkelähren auf roten Bühler.


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[0277] Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen Ausdruck, die, das Ries durchfließend, den Jura durchbrechend, bei Donau- wörth die nahe Donau erreicht, unfern dem von Süden einmündenden Lech- tale. In Beschreibungen aus frühern Jahrhunderten kann man sogar von „Augsburg im Ries" lesen. Man will den Landschaftsnamen aus dem alten Rätier ableiten. So hätten wir also hier ein Beispiel für das allmähliche Einschrumpfen eines landschaftlichen Begriffs, bis dieser an den Grenzen einer natürlichen Landschaft haften blieb. In Wallerstein, dessen dunkler Park und grauer Felsen aus Süßwasser¬ kalk schon aus einiger Entfernung sichtbar waren, ziehe ich es starken Regens halber vor, in das von Nördlingen herbeigeschlichne Züglein zu steigen. Das Land wird hüglig und waldig. Ich habe Muße genug, es von meinem Schneckenzug aus zu betrachten. Ein Rieser Bauer unterhält mich von den Ernteaussichten und von der Gegend, vom fürstlichen Geschlechte Öttingen, das seit Jahrhunderten hier sitzt, vom befestigten Friedhof in Marktoffingen und von der großen fürstlichen Bibliothek drüben in Maihingen, von der er Wunderdinge zu erzählen weiß. Wir sind aus dem eigentlichen Nies heraus und ins Tälchen der obern Wörnitz eingebogen. Dinkelsbühl erscheint, an eine Anhöhe sich schmiegend, ein kecklustiges Auftrotzen von Mauer, Turm und Tttrmchen. Ein Auftrotzen gegen die veränderte Zeit wie einst gegen den Feind. Mir ist zumute, als ziehe mir hier am lichten Tage ein gutgesinnter Wandergeist den Schleier, der über der deutschen Vergangenheit liegt wie über allem Gewehren, einmal ganz hinweg, damit die Dinge von einst rein und losgelöst auf mich wirken können. Ich erinnere mich nicht, von einer alten Stadt je einen so ungemischten, klaren Eindruck empfangen zu haben wie von diesem Neichsstädtchen, das an Zahl seiner Bewohner hinter Nörd¬ lingen weit zurückbleibt. Man hat die Stadt am Dinkelsbühl ein lebendes Fossil der unterge- gangnen mittelalterlichen Städte genannt. Der Vergleich ist gut. Nur muß man auf beide Worte gleich starken Ton legen. Ich weile nun kaum eine Stunde in diesen Mauern, und doch sind sie mir schon lieb geworden. Alles ist hier, trotz uralt schweigsamer Steine und Steingefüge, lebendiger als in Nördlingen: die wellige Landschaft mit Fluß und Feld und fernen Wald¬ hügeln unter aufgehelltem Himmel, der auf und ab gehende Ring der efeu- umgrünten Stadtmauer, der volle, wechselreiche Kranz edel und gemütlich ge¬ formter Türme und gegiebelter Stadttore, ihr Spiegelbild in Weiher und Nuß, die unebenen Gassen, das reichere Gartengrün, die schön geschmiedeten Zeichen an der Goldner Rose und am Schwarzen Adler, am Grünen Meer und am Goldner Koppen, der Brunnen des Dinkelbauern, des sagenhaften Stadt¬ gründers, die fränkische Redelustigkeit der Einheimischen, in der sich der fränkische mit dem schwäbischen Dialekt mischt. Selbst das Wappen ist sprechend und lustig: drei Dinkelähren auf roten Bühler.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/277>, abgerufen am 26.06.2024.