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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Fränkisch-schwäbische Grenzwanderungen

die Westen mit großen silberglänzenden Knöpfen besetzt sind, und ganz flache,
länglich runde, steife Filzhüte. Die weniger Feiertäglichen haben runde
Käppchen mit Troddeln und blaue Kittel, die oben und auf den Achseln mit
Weißen Schnüren arabeskenartig verziert sind. Die Bäuerinnen tragen kleine
feste Hauben am Hinterkopf, von denen mehrere, bei einigen sechs, breite und
lange schwarze Bänder herabhängen.

Durch eines der Tore gelange ich ins Freie. Ich gehe im Ringe um
die Stadt, die hohe Stadtmauer immer zur Linken, auf dem ehemaligen Walle,
der zu Wegen und Anlagen umgewandelt ist. Zwischen mir und der Mauer
breitet sich der Graben, mit Gärten, kleinen Ackern und Obstbäumen gefüllt.
Hier und dort sind Häuschen und Hütten an die strenge, ungegliederte Mauer
angeklebt, deren Masse kaum durch das niedrig schräge Satteldach und die
kleinen Schießscharten, nur durch die unterbrechenden Tore und Türme belebt
wird. Ich habe den Eindruck, den Nürnberg nicht mehr geben kann: hier ist
noch immer eine scharfe Scheidung von innen und außen. Die wenigen Land¬
häuser und Gartenwirtschaften vor den Toren ändern an diesem Eindruck noch
kaum etwas. An vielen Stellen meines Spaziergangs "um die Gräben" ist
von der Giebelstadt nichts zu sehen. Sie bleibt hinter der Höhe des Gemäuers
versteckt. Nur der Georgskirchturm reckt sich dahinter herrscherhäft in die
Lüfte. Das sind Bilder, die durch die Vereinigung großer wagerechter und
senkrechter Linien einen Zug herber, eindrucksvoller Schlichtheit erhalten, der
durch des Turmes schmuckkarge, strenge Gotik gesteigert wird. Der trotz seiner
Höhe unausgebaut gebliebne Turm hat einen einfachen, niedrigen Abschluß,
"die Schmeerkappe", wie ihn ein unzufriedner Nördlinger lustig spöttelnd ge¬
tauft hat. Was wäre aber törichter als ein jahrhundertealtes Bild aus Voll-
stündigkeitsfanatismus zu zerstören und dem Turme das längst Fehlende durch
neuen Ausbau zu ersetzen? Die Welt würde um eine Turmspitze reicher,
Nördlingen um eine Eigenart und ein heimatliches Wahrzeichen ärmer werden.

Seltsam und ganz unnürnbergisch, doch in ihrer Art wirkungsvoll sind
die Tortürme und die ihnen vorgebauten Basteien. Das sind keine mittel¬
alterlichen Werke mehr. Der 1613 gestorbne Wolfgang Waldberger, "der
Basteymeister", wie ihn eine Torinschrift nennt, ist ihr Erbauer. Manche,
wie das Reimlinger und das Bergertor, erinnern mit ihrem wuchtigen Bau,
den Absätzen, den etwas geschweiften Dächern ein wenig an die Bilder ost¬
asiatischer Stadttore. Der Eindruck verschwindet freilich ganz, wenn man sie
durchschritten hat und die Innenseite betrachtet. Sie ist eine glatte Fläche
und verrät nur durch den Umriß die starke äußere Gliederung. Es steht aus,
als habe hier ein gewaltiger Schwabensäbel die Turmmasse gespalten, und nur
die eine Hälfte wäre stehn geblieben.

Auch auf der Mauer selbst, im innern Wehrgang, kann man die Stadt
fast ganz noch umkreisen. Ich schlendre unter dem Satteldach dahin. Seiler¬
geräte oder gegerbte Felle zwingen mich oft zum Aufbiegen. Unter mir, am


Grenzboten III 1909 36
Fränkisch-schwäbische Grenzwanderungen

die Westen mit großen silberglänzenden Knöpfen besetzt sind, und ganz flache,
länglich runde, steife Filzhüte. Die weniger Feiertäglichen haben runde
Käppchen mit Troddeln und blaue Kittel, die oben und auf den Achseln mit
Weißen Schnüren arabeskenartig verziert sind. Die Bäuerinnen tragen kleine
feste Hauben am Hinterkopf, von denen mehrere, bei einigen sechs, breite und
lange schwarze Bänder herabhängen.

Durch eines der Tore gelange ich ins Freie. Ich gehe im Ringe um
die Stadt, die hohe Stadtmauer immer zur Linken, auf dem ehemaligen Walle,
der zu Wegen und Anlagen umgewandelt ist. Zwischen mir und der Mauer
breitet sich der Graben, mit Gärten, kleinen Ackern und Obstbäumen gefüllt.
Hier und dort sind Häuschen und Hütten an die strenge, ungegliederte Mauer
angeklebt, deren Masse kaum durch das niedrig schräge Satteldach und die
kleinen Schießscharten, nur durch die unterbrechenden Tore und Türme belebt
wird. Ich habe den Eindruck, den Nürnberg nicht mehr geben kann: hier ist
noch immer eine scharfe Scheidung von innen und außen. Die wenigen Land¬
häuser und Gartenwirtschaften vor den Toren ändern an diesem Eindruck noch
kaum etwas. An vielen Stellen meines Spaziergangs „um die Gräben" ist
von der Giebelstadt nichts zu sehen. Sie bleibt hinter der Höhe des Gemäuers
versteckt. Nur der Georgskirchturm reckt sich dahinter herrscherhäft in die
Lüfte. Das sind Bilder, die durch die Vereinigung großer wagerechter und
senkrechter Linien einen Zug herber, eindrucksvoller Schlichtheit erhalten, der
durch des Turmes schmuckkarge, strenge Gotik gesteigert wird. Der trotz seiner
Höhe unausgebaut gebliebne Turm hat einen einfachen, niedrigen Abschluß,
„die Schmeerkappe", wie ihn ein unzufriedner Nördlinger lustig spöttelnd ge¬
tauft hat. Was wäre aber törichter als ein jahrhundertealtes Bild aus Voll-
stündigkeitsfanatismus zu zerstören und dem Turme das längst Fehlende durch
neuen Ausbau zu ersetzen? Die Welt würde um eine Turmspitze reicher,
Nördlingen um eine Eigenart und ein heimatliches Wahrzeichen ärmer werden.

Seltsam und ganz unnürnbergisch, doch in ihrer Art wirkungsvoll sind
die Tortürme und die ihnen vorgebauten Basteien. Das sind keine mittel¬
alterlichen Werke mehr. Der 1613 gestorbne Wolfgang Waldberger, „der
Basteymeister", wie ihn eine Torinschrift nennt, ist ihr Erbauer. Manche,
wie das Reimlinger und das Bergertor, erinnern mit ihrem wuchtigen Bau,
den Absätzen, den etwas geschweiften Dächern ein wenig an die Bilder ost¬
asiatischer Stadttore. Der Eindruck verschwindet freilich ganz, wenn man sie
durchschritten hat und die Innenseite betrachtet. Sie ist eine glatte Fläche
und verrät nur durch den Umriß die starke äußere Gliederung. Es steht aus,
als habe hier ein gewaltiger Schwabensäbel die Turmmasse gespalten, und nur
die eine Hälfte wäre stehn geblieben.

Auch auf der Mauer selbst, im innern Wehrgang, kann man die Stadt
fast ganz noch umkreisen. Ich schlendre unter dem Satteldach dahin. Seiler¬
geräte oder gegerbte Felle zwingen mich oft zum Aufbiegen. Unter mir, am


Grenzboten III 1909 36
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[0275] Fränkisch-schwäbische Grenzwanderungen die Westen mit großen silberglänzenden Knöpfen besetzt sind, und ganz flache, länglich runde, steife Filzhüte. Die weniger Feiertäglichen haben runde Käppchen mit Troddeln und blaue Kittel, die oben und auf den Achseln mit Weißen Schnüren arabeskenartig verziert sind. Die Bäuerinnen tragen kleine feste Hauben am Hinterkopf, von denen mehrere, bei einigen sechs, breite und lange schwarze Bänder herabhängen. Durch eines der Tore gelange ich ins Freie. Ich gehe im Ringe um die Stadt, die hohe Stadtmauer immer zur Linken, auf dem ehemaligen Walle, der zu Wegen und Anlagen umgewandelt ist. Zwischen mir und der Mauer breitet sich der Graben, mit Gärten, kleinen Ackern und Obstbäumen gefüllt. Hier und dort sind Häuschen und Hütten an die strenge, ungegliederte Mauer angeklebt, deren Masse kaum durch das niedrig schräge Satteldach und die kleinen Schießscharten, nur durch die unterbrechenden Tore und Türme belebt wird. Ich habe den Eindruck, den Nürnberg nicht mehr geben kann: hier ist noch immer eine scharfe Scheidung von innen und außen. Die wenigen Land¬ häuser und Gartenwirtschaften vor den Toren ändern an diesem Eindruck noch kaum etwas. An vielen Stellen meines Spaziergangs „um die Gräben" ist von der Giebelstadt nichts zu sehen. Sie bleibt hinter der Höhe des Gemäuers versteckt. Nur der Georgskirchturm reckt sich dahinter herrscherhäft in die Lüfte. Das sind Bilder, die durch die Vereinigung großer wagerechter und senkrechter Linien einen Zug herber, eindrucksvoller Schlichtheit erhalten, der durch des Turmes schmuckkarge, strenge Gotik gesteigert wird. Der trotz seiner Höhe unausgebaut gebliebne Turm hat einen einfachen, niedrigen Abschluß, „die Schmeerkappe", wie ihn ein unzufriedner Nördlinger lustig spöttelnd ge¬ tauft hat. Was wäre aber törichter als ein jahrhundertealtes Bild aus Voll- stündigkeitsfanatismus zu zerstören und dem Turme das längst Fehlende durch neuen Ausbau zu ersetzen? Die Welt würde um eine Turmspitze reicher, Nördlingen um eine Eigenart und ein heimatliches Wahrzeichen ärmer werden. Seltsam und ganz unnürnbergisch, doch in ihrer Art wirkungsvoll sind die Tortürme und die ihnen vorgebauten Basteien. Das sind keine mittel¬ alterlichen Werke mehr. Der 1613 gestorbne Wolfgang Waldberger, „der Basteymeister", wie ihn eine Torinschrift nennt, ist ihr Erbauer. Manche, wie das Reimlinger und das Bergertor, erinnern mit ihrem wuchtigen Bau, den Absätzen, den etwas geschweiften Dächern ein wenig an die Bilder ost¬ asiatischer Stadttore. Der Eindruck verschwindet freilich ganz, wenn man sie durchschritten hat und die Innenseite betrachtet. Sie ist eine glatte Fläche und verrät nur durch den Umriß die starke äußere Gliederung. Es steht aus, als habe hier ein gewaltiger Schwabensäbel die Turmmasse gespalten, und nur die eine Hälfte wäre stehn geblieben. Auch auf der Mauer selbst, im innern Wehrgang, kann man die Stadt fast ganz noch umkreisen. Ich schlendre unter dem Satteldach dahin. Seiler¬ geräte oder gegerbte Felle zwingen mich oft zum Aufbiegen. Unter mir, am Grenzboten III 1909 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/275>, abgerufen am 22.12.2024.