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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

eine xartis trois; ist der Feind geschlagen, so geht es gegen den Freund."
Bekanntlich verhinderte nur die Landung Napoleons den Krieg, zu dem schon
gerüstet wurde. Demselben Grafen Münster entstammt jenes kühne Projekt,
mit dem er schon im Jahre 1809 die Phantasie seines Londoner Herrn be¬
rauschte, und das seitdem in den Köpfen aller hannöverschen Politiker weiter¬
gespukt hat, ja, wie der oben zitierte Brief an Meding zeigt, auch in dem König
Georgs. Das war die Wiederherstellung eines großen welfischen Reiches an
der Nordsee.

Dieses Küstenreich, vom Umfange etwa des Besitzes Heinrichs des Löiven,
des großen Ahnherrn der Dynastie, sollte außer Hannover und Braunschweig
auch Westfalen und die Niederlande umfassen, das gesamte Gebiet also zwischen
der untern Elbe und der Scheide. Hatte dieses Projekt im Laufe der Begeben¬
heiten auch eine Einschränkung erfahren müssen, so blieb doch der Grundgedanke
unvermindert bestehn. Dynastisch-Partikularistisch mit ultramontanen Einschlag,
war diese Idee, ebenso wie schon vor sechshundert Jahren, bei seiner unmittel¬
baren Anlehnung an das Ausland, gegen die vitalsten Interessen Deutschlands
gerichtet. Somit haben also die Ursachen des jähen Sturzes des Löwen
keine warnende Wirkung auszuüben vermocht. Vielmehr erschienen die Aus¬
blicke, die eine derartige, wenn auch zunächst uur auf rein deutsche Gebiete
beschränkte Machtrekonstruktion eröffneten, verführerisch genng: eine starke dem
preußischen Staate auf dem Meere, von dem er abgesperrt war, überlegne, zu
Lande mindestens gewachsne Macht. Sie bildete zugleich die natürliche Macht-
und Verkehrsbrücke Englands zum Festlande. Und warum Hütte die Ver¬
wirklichung eines solchen Planes nicht auch möglich sein sollen? War auch
der König von England nicht mehr zugleich Kurfürst von Hannover, so blieb
doch mit der Dynastie die Interessengemeinschaft dieselbe. Und mußte die
territoriale Lage Hannovers als eines in den langgestreckten, magern preußischen
Staatskörper hineingetriebnen Kens nicht als viel zu glücklich und zukuuftver-
heißend betrachtet werden? Hatte endlich die englisch-hannoversch-österreichische
Diplomatie im Jahre 1815 die Verbindung der preußischen Staatshälften etwa
umsonst zu hintertreiben gewußt? Darüber war sich England völlig im
klaren: wuchs ein territorial, militärisch und wirtschaftlich erstarktes Preußen
erst einmal in Deutschland hinein, so übernahm es auch dessen Führung.
Wurde Deutschland dann einig, so hörte es auch auf, Englands bestmelkende
Kuh zu sein. Vorbei war es dann mit dem kostbaren Monopol des Zwischen¬
handels; aus mit dem ungeheuern Nutzen, den der nebenbei systematisch be-
triebne und begünstigte Schleich- und Schmuggelhandel ihm die Tasche füllte,
jenem alle Moral abstumpfenden Schaden, der, giftigen Pilzwucherungen gleich,
ganz Deutschland durchsetzte. Zu Ende schließlich auch mit der bisherigen,
blöden Vereitwilligkeit Deutschlands, Blut und Waffen weiterhin in den Dienst
der klug verhüllten Pläne Englands zur bedingungslosen Alleinherrschaft über
die Meere zu stellen.


Grenzboten III 1909 S
Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

eine xartis trois; ist der Feind geschlagen, so geht es gegen den Freund."
Bekanntlich verhinderte nur die Landung Napoleons den Krieg, zu dem schon
gerüstet wurde. Demselben Grafen Münster entstammt jenes kühne Projekt,
mit dem er schon im Jahre 1809 die Phantasie seines Londoner Herrn be¬
rauschte, und das seitdem in den Köpfen aller hannöverschen Politiker weiter¬
gespukt hat, ja, wie der oben zitierte Brief an Meding zeigt, auch in dem König
Georgs. Das war die Wiederherstellung eines großen welfischen Reiches an
der Nordsee.

Dieses Küstenreich, vom Umfange etwa des Besitzes Heinrichs des Löiven,
des großen Ahnherrn der Dynastie, sollte außer Hannover und Braunschweig
auch Westfalen und die Niederlande umfassen, das gesamte Gebiet also zwischen
der untern Elbe und der Scheide. Hatte dieses Projekt im Laufe der Begeben¬
heiten auch eine Einschränkung erfahren müssen, so blieb doch der Grundgedanke
unvermindert bestehn. Dynastisch-Partikularistisch mit ultramontanen Einschlag,
war diese Idee, ebenso wie schon vor sechshundert Jahren, bei seiner unmittel¬
baren Anlehnung an das Ausland, gegen die vitalsten Interessen Deutschlands
gerichtet. Somit haben also die Ursachen des jähen Sturzes des Löwen
keine warnende Wirkung auszuüben vermocht. Vielmehr erschienen die Aus¬
blicke, die eine derartige, wenn auch zunächst uur auf rein deutsche Gebiete
beschränkte Machtrekonstruktion eröffneten, verführerisch genng: eine starke dem
preußischen Staate auf dem Meere, von dem er abgesperrt war, überlegne, zu
Lande mindestens gewachsne Macht. Sie bildete zugleich die natürliche Macht-
und Verkehrsbrücke Englands zum Festlande. Und warum Hütte die Ver¬
wirklichung eines solchen Planes nicht auch möglich sein sollen? War auch
der König von England nicht mehr zugleich Kurfürst von Hannover, so blieb
doch mit der Dynastie die Interessengemeinschaft dieselbe. Und mußte die
territoriale Lage Hannovers als eines in den langgestreckten, magern preußischen
Staatskörper hineingetriebnen Kens nicht als viel zu glücklich und zukuuftver-
heißend betrachtet werden? Hatte endlich die englisch-hannoversch-österreichische
Diplomatie im Jahre 1815 die Verbindung der preußischen Staatshälften etwa
umsonst zu hintertreiben gewußt? Darüber war sich England völlig im
klaren: wuchs ein territorial, militärisch und wirtschaftlich erstarktes Preußen
erst einmal in Deutschland hinein, so übernahm es auch dessen Führung.
Wurde Deutschland dann einig, so hörte es auch auf, Englands bestmelkende
Kuh zu sein. Vorbei war es dann mit dem kostbaren Monopol des Zwischen¬
handels; aus mit dem ungeheuern Nutzen, den der nebenbei systematisch be-
triebne und begünstigte Schleich- und Schmuggelhandel ihm die Tasche füllte,
jenem alle Moral abstumpfenden Schaden, der, giftigen Pilzwucherungen gleich,
ganz Deutschland durchsetzte. Zu Ende schließlich auch mit der bisherigen,
blöden Vereitwilligkeit Deutschlands, Blut und Waffen weiterhin in den Dienst
der klug verhüllten Pläne Englands zur bedingungslosen Alleinherrschaft über
die Meere zu stellen.


Grenzboten III 1909 S
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/17>, abgerufen am 22.07.2024.