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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die politische Lage

Köpfe weit weniger beschäftigen würde, wenn ein den modernen Verhältnissen
angepaßter Verwaltungsapparat vorhanden wäre. Man beseitige die Ursachen
für die gegenwärtig geradezu unvermeidlichen Reibungen, und der Ruf nach
dem Parlamentarismus wird an Bedeutung verlieren. Eine gründliche Be¬
seitigung ist aber nur möglich unter Mitwirkung der Gesellschaft. War der
Weg, eine besondre Immediatkommission zu schaffen, angezeigt -- viele praktische
Erwägungen sprechen dafür --, so sollte die Öffentlichkeit wenigstens wissen,
in welcher Richtung die Reform gedacht ist. Gestützt auf amtliches Material
könnte sich in der Presse eine sachliche Erörterung über die zur Verhandlung
stehenden Fragen entspinnen, und der Kommission würde manche Anregung
zuteil, die bei der Geheimhaltung ausbleiben muß. Die Geheimhaltung liefert
überdies allen denen Stoff zur Brunuenvergiftuug, die der preußischen Regierung
grundsätzlich feindlich gegenüberstehn, ohne daß die befreundete Presse für sie
in geeigneter Weise und ohne das Gängelband der Offiziösen eintreten könnte.
Die sachliche Erörterung ernster Fragen verringert den Raum, der sonst für
häßliche Sensation zur Verfügung steht.

Wir stehn im Zeichen des Kampfes, und die Negierung sollte sich und
ihren Freunden die Bedingungen des Kampfes nicht von vornherein erschweren.
Im übrigen freuen wir uns des Kampfes; denn nur im Kampf werden alle
sittlichen Kräfte der Nation lebendig und kräftig erhalten. Die Politik ver¬
dirbt nicht den Charakter, sondern sie stählt ihn wie jede andre ernste Arbeit.

In diesem Zusammenhange betrachtet ist die innerpolitische Lage Preußens
und des Reiches trotz der Finanzmiserc vor allen Dingen deshalb erfreulich,
weil uns die Zeit wieder vor große Aufgaben gestellt hat. Der geschätzte Führer
der Nationalliberalen, Abgeordneter Bassermann, hat durchaus die Meinung
der Besten im Lande ausgesprochen, als er darauf hinwies, daß er sich vor
einer Auflösung des Reichstags nicht fürchte. Auch Fürst Bülow sollte davor
nicht zurückschrecken. Denn der heutige Reichstag entspricht weder dem Be¬
dürfnis noch der Stimmung der Nation. In ihm sind nur zwei große Volks¬
schichten geschlossen vertreten: Landwirte und Fabrikarbeiter. Die geistig und
wirtschaftlich bedeutendste Schicht fehlt dagegen. Sie ist erst jetzt im Kampf
um die Finanzreform zu sich gekommen und steht heute zusammen mit allen
national gesinnten Kreisen hinter den Leitern der Negierung, die die Not des
Landes richtig erkennt und danach handelt. Die Rede des Fürsten Bülow
hat überall den stärksten Widerhall geweckt -- wollte er das Sturmbanner er¬
heben, die Mehrheit der Nation stünde hinter ihm!

Das Vertrauen in die Politik des Reichskanzlers ist gegenwärtig um so
größer, als ihm auch sein auswärtiges Ressort einige Ruhmesblätter gepflückt
hat. Die deutsche auswärtige Politik hat sich bewährt. Klug und unbeirrt
hat unsre Diplomatie ihre Kräfte zusammengehalten und in unwichtigen Fragen
nachgegeben, um in den großen Fragen, als es die deutsche Ehre galt, nicht
vom Fleck zu weichen. Angesichts ihrer Haltung wagte niemand den Frieden


Die politische Lage

Köpfe weit weniger beschäftigen würde, wenn ein den modernen Verhältnissen
angepaßter Verwaltungsapparat vorhanden wäre. Man beseitige die Ursachen
für die gegenwärtig geradezu unvermeidlichen Reibungen, und der Ruf nach
dem Parlamentarismus wird an Bedeutung verlieren. Eine gründliche Be¬
seitigung ist aber nur möglich unter Mitwirkung der Gesellschaft. War der
Weg, eine besondre Immediatkommission zu schaffen, angezeigt — viele praktische
Erwägungen sprechen dafür —, so sollte die Öffentlichkeit wenigstens wissen,
in welcher Richtung die Reform gedacht ist. Gestützt auf amtliches Material
könnte sich in der Presse eine sachliche Erörterung über die zur Verhandlung
stehenden Fragen entspinnen, und der Kommission würde manche Anregung
zuteil, die bei der Geheimhaltung ausbleiben muß. Die Geheimhaltung liefert
überdies allen denen Stoff zur Brunuenvergiftuug, die der preußischen Regierung
grundsätzlich feindlich gegenüberstehn, ohne daß die befreundete Presse für sie
in geeigneter Weise und ohne das Gängelband der Offiziösen eintreten könnte.
Die sachliche Erörterung ernster Fragen verringert den Raum, der sonst für
häßliche Sensation zur Verfügung steht.

Wir stehn im Zeichen des Kampfes, und die Negierung sollte sich und
ihren Freunden die Bedingungen des Kampfes nicht von vornherein erschweren.
Im übrigen freuen wir uns des Kampfes; denn nur im Kampf werden alle
sittlichen Kräfte der Nation lebendig und kräftig erhalten. Die Politik ver¬
dirbt nicht den Charakter, sondern sie stählt ihn wie jede andre ernste Arbeit.

In diesem Zusammenhange betrachtet ist die innerpolitische Lage Preußens
und des Reiches trotz der Finanzmiserc vor allen Dingen deshalb erfreulich,
weil uns die Zeit wieder vor große Aufgaben gestellt hat. Der geschätzte Führer
der Nationalliberalen, Abgeordneter Bassermann, hat durchaus die Meinung
der Besten im Lande ausgesprochen, als er darauf hinwies, daß er sich vor
einer Auflösung des Reichstags nicht fürchte. Auch Fürst Bülow sollte davor
nicht zurückschrecken. Denn der heutige Reichstag entspricht weder dem Be¬
dürfnis noch der Stimmung der Nation. In ihm sind nur zwei große Volks¬
schichten geschlossen vertreten: Landwirte und Fabrikarbeiter. Die geistig und
wirtschaftlich bedeutendste Schicht fehlt dagegen. Sie ist erst jetzt im Kampf
um die Finanzreform zu sich gekommen und steht heute zusammen mit allen
national gesinnten Kreisen hinter den Leitern der Negierung, die die Not des
Landes richtig erkennt und danach handelt. Die Rede des Fürsten Bülow
hat überall den stärksten Widerhall geweckt — wollte er das Sturmbanner er¬
heben, die Mehrheit der Nation stünde hinter ihm!

Das Vertrauen in die Politik des Reichskanzlers ist gegenwärtig um so
größer, als ihm auch sein auswärtiges Ressort einige Ruhmesblätter gepflückt
hat. Die deutsche auswärtige Politik hat sich bewährt. Klug und unbeirrt
hat unsre Diplomatie ihre Kräfte zusammengehalten und in unwichtigen Fragen
nachgegeben, um in den großen Fragen, als es die deutsche Ehre galt, nicht
vom Fleck zu weichen. Angesichts ihrer Haltung wagte niemand den Frieden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/14>, abgerufen am 22.07.2024.