Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.Die politische Tage städtischen Gewerbetreibenden sind aus diesen Verhältnissen heraus der frucht¬ Die liberalen Berufspolitiker und Publizisten haben diese Entwickluugs- Die politische Tage städtischen Gewerbetreibenden sind aus diesen Verhältnissen heraus der frucht¬ Die liberalen Berufspolitiker und Publizisten haben diese Entwickluugs- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313715"/> <fw type="header" place="top"> Die politische Tage</fw><lb/> <p xml:id="ID_16" prev="#ID_15"> städtischen Gewerbetreibenden sind aus diesen Verhältnissen heraus der frucht¬<lb/> barste Nährboden für die unpolitische Seusationspresse geworden. Jeder einzelne<lb/> Gewerbetreibende ist im übrigen durch die Art seiner Tätigkeit gewöhnt, seine<lb/> Interessen durchaus egoistisch wahrzunehmen. Wo materielle Interessen einer<lb/> ganzen Branche oder eines Bezirks in Frage kommen, werden sie wirksam<lb/> vertreten in Handels- und Gewerbekammern, sowie in Verbänden und Vereinen,<lb/> über die jeder Gewerbzweig in Deutschland verfügt. Wer noch politische<lb/> Interessen hat, betätigt sich vorzugsweise in diesen Einrichtungen. In ihnen<lb/> finden die tüchtigsten Köpfe und Arbeiter Verwendung als Leiter, Syndici,<lb/> Direktoren usw.</p><lb/> <p xml:id="ID_17"> Die liberalen Berufspolitiker und Publizisten haben diese Entwickluugs-<lb/> richtung wohl erkannt, aber sie haben nicht den Mut gefunden, die Macht der<lb/> Entwicklung öffentlich anzuerkennen und sich danach zu richten. Während die<lb/> einen von ihnen sogenannten Menschheitsidealen nachjagten, liebäugelten andre<lb/> mit den Agrariern und Sozialdemokraten oder mit einem Ministerportefeuille.<lb/> Infolgedessen hat sich das politische Leben in unserm an sich tüchtigen Bürgertum<lb/> in tausend Einzelkampfe engherzigster Interessenpolitik aufgelöst, und die liberalen<lb/> Parteianschauungen, in viele Grüppchen gespalten, sind gerade in den Kreisen<lb/> in Mißkredit geraten, die ihre natürliche Pflegestätte sein sollten. Dement¬<lb/> sprechend ist auch die Zusammensetzung unsers Reichstags. Sie steht in keinem<lb/> richtigen Verhältnis zur geistigen Entwicklung des deutschen Volks. Seine<lb/> besten politischen Kräfte sind außerhalb des Parlaments geblieben. Nur die<lb/> Konservativen halten sich auf der Höhe der durch sie vertretnen Kreise. Wenn<lb/> dem Niedergang des politischen Liberalismus überhaupt noch gesteuert werden<lb/> kann, so ist der Augenblick dafür gekommen durch das Auftreten des Hansa¬<lb/> bundes. Eine Volksvertretung kann nur besteh» und sich in der Achtung der<lb/> Gesellschaft erhalten, wenn sie fortgesetzt ihre Kräfte aus den besten Elementen<lb/> der Gesellschaft schöpft. Der Teil einer Gesellschaft, der keine Kräfte<lb/> für den politischen Kampf abzugeben hat, muß es sich gefallen lassen,<lb/> daß er von einem solchen unterjocht wird, der über die notwendigen<lb/> Kräfte verfügt. Hierin liegt das Geheimnis der Herrschaft des konservativen<lb/> Agrariertums. Vom Hansabund erwartet die Nation die Aufrüttlung der städtischen<lb/> Erwerbsstände zu politischem Leben, zur Abkehr von schwatzhafter Nörgelei, zur<lb/> weitsichtigern Auffassung ihrer Erwerbsinteressen und zum tatkräftigen Handeln.<lb/> Was der Bund der Landwirte mit dem deutschen Bauern getan hat, das soll der<lb/> Hansabund mit den Hunderttausenden von Männern tun, die sich bisher in den<lb/> Städten von jeder politischen Betätigung ferngehalten haben. Das ist die<lb/> große nationale Aufgabe des Bundes, und wir sind überzeugt, daß ihm ihre<lb/> Durchführung gelingen wird. Ob der alte deutsche Liberalismus dabei zu neuem<lb/> Leben erwacht, wird vor allen Dingen Sache der nationalliberalen Partei sein.<lb/> Ihr fünfzigjähriger Geburtstag steht vor der Tür, möge er nicht ein Tag des<lb/> Weihrauchstreuens, sondern ein Tag innerer Läuterung werden!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Die politische Tage
städtischen Gewerbetreibenden sind aus diesen Verhältnissen heraus der frucht¬
barste Nährboden für die unpolitische Seusationspresse geworden. Jeder einzelne
Gewerbetreibende ist im übrigen durch die Art seiner Tätigkeit gewöhnt, seine
Interessen durchaus egoistisch wahrzunehmen. Wo materielle Interessen einer
ganzen Branche oder eines Bezirks in Frage kommen, werden sie wirksam
vertreten in Handels- und Gewerbekammern, sowie in Verbänden und Vereinen,
über die jeder Gewerbzweig in Deutschland verfügt. Wer noch politische
Interessen hat, betätigt sich vorzugsweise in diesen Einrichtungen. In ihnen
finden die tüchtigsten Köpfe und Arbeiter Verwendung als Leiter, Syndici,
Direktoren usw.
Die liberalen Berufspolitiker und Publizisten haben diese Entwickluugs-
richtung wohl erkannt, aber sie haben nicht den Mut gefunden, die Macht der
Entwicklung öffentlich anzuerkennen und sich danach zu richten. Während die
einen von ihnen sogenannten Menschheitsidealen nachjagten, liebäugelten andre
mit den Agrariern und Sozialdemokraten oder mit einem Ministerportefeuille.
Infolgedessen hat sich das politische Leben in unserm an sich tüchtigen Bürgertum
in tausend Einzelkampfe engherzigster Interessenpolitik aufgelöst, und die liberalen
Parteianschauungen, in viele Grüppchen gespalten, sind gerade in den Kreisen
in Mißkredit geraten, die ihre natürliche Pflegestätte sein sollten. Dement¬
sprechend ist auch die Zusammensetzung unsers Reichstags. Sie steht in keinem
richtigen Verhältnis zur geistigen Entwicklung des deutschen Volks. Seine
besten politischen Kräfte sind außerhalb des Parlaments geblieben. Nur die
Konservativen halten sich auf der Höhe der durch sie vertretnen Kreise. Wenn
dem Niedergang des politischen Liberalismus überhaupt noch gesteuert werden
kann, so ist der Augenblick dafür gekommen durch das Auftreten des Hansa¬
bundes. Eine Volksvertretung kann nur besteh» und sich in der Achtung der
Gesellschaft erhalten, wenn sie fortgesetzt ihre Kräfte aus den besten Elementen
der Gesellschaft schöpft. Der Teil einer Gesellschaft, der keine Kräfte
für den politischen Kampf abzugeben hat, muß es sich gefallen lassen,
daß er von einem solchen unterjocht wird, der über die notwendigen
Kräfte verfügt. Hierin liegt das Geheimnis der Herrschaft des konservativen
Agrariertums. Vom Hansabund erwartet die Nation die Aufrüttlung der städtischen
Erwerbsstände zu politischem Leben, zur Abkehr von schwatzhafter Nörgelei, zur
weitsichtigern Auffassung ihrer Erwerbsinteressen und zum tatkräftigen Handeln.
Was der Bund der Landwirte mit dem deutschen Bauern getan hat, das soll der
Hansabund mit den Hunderttausenden von Männern tun, die sich bisher in den
Städten von jeder politischen Betätigung ferngehalten haben. Das ist die
große nationale Aufgabe des Bundes, und wir sind überzeugt, daß ihm ihre
Durchführung gelingen wird. Ob der alte deutsche Liberalismus dabei zu neuem
Leben erwacht, wird vor allen Dingen Sache der nationalliberalen Partei sein.
Ihr fünfzigjähriger Geburtstag steht vor der Tür, möge er nicht ein Tag des
Weihrauchstreuens, sondern ein Tag innerer Läuterung werden!
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