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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die Dame mit dem Grden

heimkehren. Jedenfalls aber will ich den Trost jenes Kuhhirten in Texas haben,
der sagte: Ich habe mein Kühnstes gewagt.

Was ist übrigens aus Jack geworden? Er hätte mich nicht so beim Worte
nehmen brauchen, daß er mir nie auch nur einen Gruß schickt. Du erwähntest,
daß er am Kap gewesen sei, während du dort wohntest. War er so ungesellig
wie immer? Ich sehe ihn im Geist im Boote flach auf dem Rücken liegen und
Gedichte lesen. Ich hasse Gedichte, und wenn er mir seine Lieblingsstellen her-
zubeten pflegte, so machte ich Parodien darauf. Freilich, du warst immer anders.
Du pflegtest mit ihm zu rhapsodiereu nach Herzenslust.

Gerade jetzt hatte ich eine herrliche Überraschung. Ich guckte aus dem Fenster
und sah die Paketpost von einem Kuli gezogen in den Hof kommen und ausge¬
laden werden. Ich konnte mir gar nicht erklären, was los sei, aber gar bald
kam Miß Dixon herein mit beiden Armen voll Zeitungen, Bilder, Bücher und
Briefe. Alles für mich! Ich tanzte bloß so auf und ab vor Freude. Ich glaube,
man wird nie den Wert der Briefe genügsam schätzen, bis man nicht neuntausend
Meilen weit von zu Hause fort ist. Und solche liebe, zärtliche, ermutigende Briefe,
wie die meinen waren! Nun setze ich mich aber erst ordentlich hin und lese sie
alle noch einmal durch.

Den 24. November 1901

sichre Fahrt nun wieder, Kameradin! Ju meinem letzten Brief, wie ich mich
erinnere, blies das Nebelhorn ziemlich hartnäckig! Die Briefe von zu Haus setzten
mir wieder den Kopf zurecht. Wenn je ein menschliches Wesen mit guten Ver¬
wandten und Freunden gesegnet war, so ists mein unwürdiges Ich.

Die vergangne Woche war ungewöhnlich aufregend. Zuerst hatten wir eine
Hochzeit vor. Weil die Braut in unsrer Schule erzogen worden ist, nahmen wir
alle teil. Vor einiger Zeit kam der Vermittler, der alles arrangieren muß, zu
ihrem Vater und sagte ihm, daß ein junger Lehrer in der Staatsschule seine
Tochter heiraten möchte. Der Vater -- ohne das Mädchen zu fragen --- orien¬
tierte sich über des Bewerbers Stellung, und da ihn alles befriedigte, sagte er
ja. Darauf teilte man der kleinen Otoya mit, daß sie verheiratet werden würde,
und nun wurde der Auserwählte eingeladen. Ich brannte vor Neugier auf das,
was geschehen würde, aber das Zusammentreffen fand hinter geschlossenen Türen
statt. Otoya erzählte mir später, daß sie den jungen Mann nie vorher gesehen
habe. Sie verneigten sich dreimal gegeneinander, dann bediente sie ihn mit Tee,
während ihre Eltern mit ihm redeten. Hast du denn gar nicht mit ihm gesprochen?
fragte ich. Sie blickte mich entsetzt an: Nein, das wäre sehr unanständig. Aber
du hast ihn dir gewiß genau angesehen, fuhr ich fort. Sie schüttelte deu Kopf:
Das wäre eine Schande gewesen. Das war vor drei Monaten, und sie hat ihn
nicht wiedergesehen bis letzten Montag, wo die Hochzeit stattfand.

Auf unsern Vorschlag hin machten sie eine amerikanische Hochzeit, und ich
wurde als Zeremonienmeisterin angestellt. Es war sehr lustig, denn wir hatten
Brautführer und Brautjungfern und Blumenmädchen, und Miß Lessing spielte den
Hochzeitsmarsch, als sie hereinkamen. Die Vorbereitungen waren ein wenig schwierig,
da es die Japaner als die größte Ungeschicklichkeit ansehen, etwas über Braut
oder Hochzeit vorher zu besprechen. Mich haben sie aber entschuldigt, weil ich
Ausländerin bin.

Der kleinen Braut oberstes Gewand war vom feinsten schwarzen Krepp, aber
darunter, Lage über Lage, waren Streifen aus regenbogenfarbiger Spümweb-
seide, die bei jeder Bewegung rieselten und sichtbar wurden. Und jeder Zoll


Die Dame mit dem Grden

heimkehren. Jedenfalls aber will ich den Trost jenes Kuhhirten in Texas haben,
der sagte: Ich habe mein Kühnstes gewagt.

Was ist übrigens aus Jack geworden? Er hätte mich nicht so beim Worte
nehmen brauchen, daß er mir nie auch nur einen Gruß schickt. Du erwähntest,
daß er am Kap gewesen sei, während du dort wohntest. War er so ungesellig
wie immer? Ich sehe ihn im Geist im Boote flach auf dem Rücken liegen und
Gedichte lesen. Ich hasse Gedichte, und wenn er mir seine Lieblingsstellen her-
zubeten pflegte, so machte ich Parodien darauf. Freilich, du warst immer anders.
Du pflegtest mit ihm zu rhapsodiereu nach Herzenslust.

Gerade jetzt hatte ich eine herrliche Überraschung. Ich guckte aus dem Fenster
und sah die Paketpost von einem Kuli gezogen in den Hof kommen und ausge¬
laden werden. Ich konnte mir gar nicht erklären, was los sei, aber gar bald
kam Miß Dixon herein mit beiden Armen voll Zeitungen, Bilder, Bücher und
Briefe. Alles für mich! Ich tanzte bloß so auf und ab vor Freude. Ich glaube,
man wird nie den Wert der Briefe genügsam schätzen, bis man nicht neuntausend
Meilen weit von zu Hause fort ist. Und solche liebe, zärtliche, ermutigende Briefe,
wie die meinen waren! Nun setze ich mich aber erst ordentlich hin und lese sie
alle noch einmal durch.

Den 24. November 1901

sichre Fahrt nun wieder, Kameradin! Ju meinem letzten Brief, wie ich mich
erinnere, blies das Nebelhorn ziemlich hartnäckig! Die Briefe von zu Haus setzten
mir wieder den Kopf zurecht. Wenn je ein menschliches Wesen mit guten Ver¬
wandten und Freunden gesegnet war, so ists mein unwürdiges Ich.

Die vergangne Woche war ungewöhnlich aufregend. Zuerst hatten wir eine
Hochzeit vor. Weil die Braut in unsrer Schule erzogen worden ist, nahmen wir
alle teil. Vor einiger Zeit kam der Vermittler, der alles arrangieren muß, zu
ihrem Vater und sagte ihm, daß ein junger Lehrer in der Staatsschule seine
Tochter heiraten möchte. Der Vater — ohne das Mädchen zu fragen —- orien¬
tierte sich über des Bewerbers Stellung, und da ihn alles befriedigte, sagte er
ja. Darauf teilte man der kleinen Otoya mit, daß sie verheiratet werden würde,
und nun wurde der Auserwählte eingeladen. Ich brannte vor Neugier auf das,
was geschehen würde, aber das Zusammentreffen fand hinter geschlossenen Türen
statt. Otoya erzählte mir später, daß sie den jungen Mann nie vorher gesehen
habe. Sie verneigten sich dreimal gegeneinander, dann bediente sie ihn mit Tee,
während ihre Eltern mit ihm redeten. Hast du denn gar nicht mit ihm gesprochen?
fragte ich. Sie blickte mich entsetzt an: Nein, das wäre sehr unanständig. Aber
du hast ihn dir gewiß genau angesehen, fuhr ich fort. Sie schüttelte deu Kopf:
Das wäre eine Schande gewesen. Das war vor drei Monaten, und sie hat ihn
nicht wiedergesehen bis letzten Montag, wo die Hochzeit stattfand.

Auf unsern Vorschlag hin machten sie eine amerikanische Hochzeit, und ich
wurde als Zeremonienmeisterin angestellt. Es war sehr lustig, denn wir hatten
Brautführer und Brautjungfern und Blumenmädchen, und Miß Lessing spielte den
Hochzeitsmarsch, als sie hereinkamen. Die Vorbereitungen waren ein wenig schwierig,
da es die Japaner als die größte Ungeschicklichkeit ansehen, etwas über Braut
oder Hochzeit vorher zu besprechen. Mich haben sie aber entschuldigt, weil ich
Ausländerin bin.

Der kleinen Braut oberstes Gewand war vom feinsten schwarzen Krepp, aber
darunter, Lage über Lage, waren Streifen aus regenbogenfarbiger Spümweb-
seide, die bei jeder Bewegung rieselten und sichtbar wurden. Und jeder Zoll


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/668>, abgerufen am 12.12.2024.