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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Oil Company -- wie es im vorigen Jahre geschah -- zu 125 Millionen Mark
Geldstrafe zu verurteilen; Rockefeller hat das Petrolcummonopol, mithin die Preis¬
bildung, in seiner Hand. Hätte die zweite Instanz die exorbitante Strafe bestätigt,
so hätte Rockefeller sie auf die Konsumenten abgewälzt.

Als feststand, daß Tahl der weniger energische Gegner war, war seine Wahl
auch gesichert, da die Trustgewaltigen nunmehr das größte Interesse hatten, ihre
gewaltigen Geldmittel bei der Wahl zugunsten Tafts zu verwenden.

Der künftige Präsident hat sich als Freund Deutschlands bekannt und will auf
eine Ermäßigung der hohen Zollsätze hinwirken; es wäre aber für Deutschland noch
mehr zu wünschen, daß der Präsident mit aller Energie die Privatinteressen der
Trusts dem Allgemeinwohl unterordnete. Vor allem ist eine gründliche Reform
des amerikanischen Notenbankwesens unaufschiebbar, doch wird sie wohl noch lange
an dem Widerstande der mächtigen Finanzgruppen scheitern. Während in Europa
überall eine völlige Zentralisierung des Notenwesens angestrebt wird, sodaß nur
eine Zentralnotenbank ausschließlich im öffentlichen Interesse den Geldumlauf regelt,
nimmt in den Vereinigten Staaten die Dezentralisation immer mehr zu. Über
6850 Notenbanken betreiben dort die Notenausgabe lediglich nach privatwirtschaft-
lichen Grundsätzen, dazu kommt, daß das System jeder Elastizität entbehrt. Hält
das Publikum in Krisenzeiten das Hartgeld, besonders das Gold vom Verkehr zurück,
so versagt das amerikanische System vollständig. Die amerikanischen Banken sind
gezwungen, Gold unter großen Opfern ans Europa zu beziehen, wodurch sie wieder
die europäischen Notenbanken nötigen, zur Abwehr den Diskontsatz zu erhöhen und
so die betreffenden Länder schwer schädigen. Im Jahre 1907 bezog Amerika nach
Ausbruch der schweren Krisis allein in den Monaten November und Dezember für
etwa 400 Millionen Mark Gold aus Europa, und zwar hauptsächlich aus Deutsch¬
land und England, da die Reichsbank und die Bank von England die europäischen
Notenbanken sind, die Gold jederzeit an jedermann auch zu Exportzwecken hergeben.
Die Zinssätze stiegen damals in beiden Ländern auf eine seit Jahrzehnten nicht
gesehene Höhe.

Demnach ist die geringe Aussicht auf eine gründliche Reform des Notenbank¬
wesens unter dem neuen Präsidenten das für Deutschland bemerkenswerteste Er¬
gebnis der Wahl.

Doch der Kampf gegen die Trusts wird nicht ruhn, dazu ist die Antimonopol-
bewegung in den Vereinigten Staaten zu mächtig. Man hat wohl erkannt, daß
den Trusts mit Gewaltmitteln zurzeit nicht beizukommen ist, und will sich -- wie
auch die im Dezember an den Kongreß gerichtete bedeutsame Botschaft des scheidenden
Präsidenten betont -- damit begnügen, die Korporationen zu weitestgehender Publi¬
zität zu zwingen, sodaß die Öffentlichkeit in den Stand gesetzt wird, über mono¬
polistische Praktiken und unanständige Geschäftsmethoden zu urteilen und "Material
für den Unterbau einer wirksamen Gesetzgebung" zu erhalten. Die größte Erbitte¬
rung haben die Trustleiter durch die Brutalität hervorgerufen, mit der sie selb¬
ständige Existenzen vernichten. "Auf dem Wege einer höchst vernünftigen Ge¬
schäftsführung, so schreibt Professor Dr. von Philippovich im Österreichischen
Volkswirt vom 12. Dezember (Herausgeber Walter Federn), können die großen
Korporationen unsrer Tage das Eigentum von Tausenden expropriieren und sie
in Angestellte verwandeln. Das ist die Wunde, aus der die Gesellschaft blutet."
In seinem Werke Monarchen und Mammonarchen gibt Theodor Duimchen ein
Beispiel solcher grausamen Expropriation durch Rockefeller (S. 258 bis 260).

Lewisohn Brothers waren aus kleinen Anfängen heraus zum größten Kaffee¬
hause Amerikas und zu einer Macht im Kupferhandel geworden. Eines Tages


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Oil Company — wie es im vorigen Jahre geschah — zu 125 Millionen Mark
Geldstrafe zu verurteilen; Rockefeller hat das Petrolcummonopol, mithin die Preis¬
bildung, in seiner Hand. Hätte die zweite Instanz die exorbitante Strafe bestätigt,
so hätte Rockefeller sie auf die Konsumenten abgewälzt.

Als feststand, daß Tahl der weniger energische Gegner war, war seine Wahl
auch gesichert, da die Trustgewaltigen nunmehr das größte Interesse hatten, ihre
gewaltigen Geldmittel bei der Wahl zugunsten Tafts zu verwenden.

Der künftige Präsident hat sich als Freund Deutschlands bekannt und will auf
eine Ermäßigung der hohen Zollsätze hinwirken; es wäre aber für Deutschland noch
mehr zu wünschen, daß der Präsident mit aller Energie die Privatinteressen der
Trusts dem Allgemeinwohl unterordnete. Vor allem ist eine gründliche Reform
des amerikanischen Notenbankwesens unaufschiebbar, doch wird sie wohl noch lange
an dem Widerstande der mächtigen Finanzgruppen scheitern. Während in Europa
überall eine völlige Zentralisierung des Notenwesens angestrebt wird, sodaß nur
eine Zentralnotenbank ausschließlich im öffentlichen Interesse den Geldumlauf regelt,
nimmt in den Vereinigten Staaten die Dezentralisation immer mehr zu. Über
6850 Notenbanken betreiben dort die Notenausgabe lediglich nach privatwirtschaft-
lichen Grundsätzen, dazu kommt, daß das System jeder Elastizität entbehrt. Hält
das Publikum in Krisenzeiten das Hartgeld, besonders das Gold vom Verkehr zurück,
so versagt das amerikanische System vollständig. Die amerikanischen Banken sind
gezwungen, Gold unter großen Opfern ans Europa zu beziehen, wodurch sie wieder
die europäischen Notenbanken nötigen, zur Abwehr den Diskontsatz zu erhöhen und
so die betreffenden Länder schwer schädigen. Im Jahre 1907 bezog Amerika nach
Ausbruch der schweren Krisis allein in den Monaten November und Dezember für
etwa 400 Millionen Mark Gold aus Europa, und zwar hauptsächlich aus Deutsch¬
land und England, da die Reichsbank und die Bank von England die europäischen
Notenbanken sind, die Gold jederzeit an jedermann auch zu Exportzwecken hergeben.
Die Zinssätze stiegen damals in beiden Ländern auf eine seit Jahrzehnten nicht
gesehene Höhe.

Demnach ist die geringe Aussicht auf eine gründliche Reform des Notenbank¬
wesens unter dem neuen Präsidenten das für Deutschland bemerkenswerteste Er¬
gebnis der Wahl.

Doch der Kampf gegen die Trusts wird nicht ruhn, dazu ist die Antimonopol-
bewegung in den Vereinigten Staaten zu mächtig. Man hat wohl erkannt, daß
den Trusts mit Gewaltmitteln zurzeit nicht beizukommen ist, und will sich — wie
auch die im Dezember an den Kongreß gerichtete bedeutsame Botschaft des scheidenden
Präsidenten betont — damit begnügen, die Korporationen zu weitestgehender Publi¬
zität zu zwingen, sodaß die Öffentlichkeit in den Stand gesetzt wird, über mono¬
polistische Praktiken und unanständige Geschäftsmethoden zu urteilen und „Material
für den Unterbau einer wirksamen Gesetzgebung" zu erhalten. Die größte Erbitte¬
rung haben die Trustleiter durch die Brutalität hervorgerufen, mit der sie selb¬
ständige Existenzen vernichten. „Auf dem Wege einer höchst vernünftigen Ge¬
schäftsführung, so schreibt Professor Dr. von Philippovich im Österreichischen
Volkswirt vom 12. Dezember (Herausgeber Walter Federn), können die großen
Korporationen unsrer Tage das Eigentum von Tausenden expropriieren und sie
in Angestellte verwandeln. Das ist die Wunde, aus der die Gesellschaft blutet."
In seinem Werke Monarchen und Mammonarchen gibt Theodor Duimchen ein
Beispiel solcher grausamen Expropriation durch Rockefeller (S. 258 bis 260).

Lewisohn Brothers waren aus kleinen Anfängen heraus zum größten Kaffee¬
hause Amerikas und zu einer Macht im Kupferhandel geworden. Eines Tages


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[0066] Maßgebliches und Unmaßgebliches Oil Company — wie es im vorigen Jahre geschah — zu 125 Millionen Mark Geldstrafe zu verurteilen; Rockefeller hat das Petrolcummonopol, mithin die Preis¬ bildung, in seiner Hand. Hätte die zweite Instanz die exorbitante Strafe bestätigt, so hätte Rockefeller sie auf die Konsumenten abgewälzt. Als feststand, daß Tahl der weniger energische Gegner war, war seine Wahl auch gesichert, da die Trustgewaltigen nunmehr das größte Interesse hatten, ihre gewaltigen Geldmittel bei der Wahl zugunsten Tafts zu verwenden. Der künftige Präsident hat sich als Freund Deutschlands bekannt und will auf eine Ermäßigung der hohen Zollsätze hinwirken; es wäre aber für Deutschland noch mehr zu wünschen, daß der Präsident mit aller Energie die Privatinteressen der Trusts dem Allgemeinwohl unterordnete. Vor allem ist eine gründliche Reform des amerikanischen Notenbankwesens unaufschiebbar, doch wird sie wohl noch lange an dem Widerstande der mächtigen Finanzgruppen scheitern. Während in Europa überall eine völlige Zentralisierung des Notenwesens angestrebt wird, sodaß nur eine Zentralnotenbank ausschließlich im öffentlichen Interesse den Geldumlauf regelt, nimmt in den Vereinigten Staaten die Dezentralisation immer mehr zu. Über 6850 Notenbanken betreiben dort die Notenausgabe lediglich nach privatwirtschaft- lichen Grundsätzen, dazu kommt, daß das System jeder Elastizität entbehrt. Hält das Publikum in Krisenzeiten das Hartgeld, besonders das Gold vom Verkehr zurück, so versagt das amerikanische System vollständig. Die amerikanischen Banken sind gezwungen, Gold unter großen Opfern ans Europa zu beziehen, wodurch sie wieder die europäischen Notenbanken nötigen, zur Abwehr den Diskontsatz zu erhöhen und so die betreffenden Länder schwer schädigen. Im Jahre 1907 bezog Amerika nach Ausbruch der schweren Krisis allein in den Monaten November und Dezember für etwa 400 Millionen Mark Gold aus Europa, und zwar hauptsächlich aus Deutsch¬ land und England, da die Reichsbank und die Bank von England die europäischen Notenbanken sind, die Gold jederzeit an jedermann auch zu Exportzwecken hergeben. Die Zinssätze stiegen damals in beiden Ländern auf eine seit Jahrzehnten nicht gesehene Höhe. Demnach ist die geringe Aussicht auf eine gründliche Reform des Notenbank¬ wesens unter dem neuen Präsidenten das für Deutschland bemerkenswerteste Er¬ gebnis der Wahl. Doch der Kampf gegen die Trusts wird nicht ruhn, dazu ist die Antimonopol- bewegung in den Vereinigten Staaten zu mächtig. Man hat wohl erkannt, daß den Trusts mit Gewaltmitteln zurzeit nicht beizukommen ist, und will sich — wie auch die im Dezember an den Kongreß gerichtete bedeutsame Botschaft des scheidenden Präsidenten betont — damit begnügen, die Korporationen zu weitestgehender Publi¬ zität zu zwingen, sodaß die Öffentlichkeit in den Stand gesetzt wird, über mono¬ polistische Praktiken und unanständige Geschäftsmethoden zu urteilen und „Material für den Unterbau einer wirksamen Gesetzgebung" zu erhalten. Die größte Erbitte¬ rung haben die Trustleiter durch die Brutalität hervorgerufen, mit der sie selb¬ ständige Existenzen vernichten. „Auf dem Wege einer höchst vernünftigen Ge¬ schäftsführung, so schreibt Professor Dr. von Philippovich im Österreichischen Volkswirt vom 12. Dezember (Herausgeber Walter Federn), können die großen Korporationen unsrer Tage das Eigentum von Tausenden expropriieren und sie in Angestellte verwandeln. Das ist die Wunde, aus der die Gesellschaft blutet." In seinem Werke Monarchen und Mammonarchen gibt Theodor Duimchen ein Beispiel solcher grausamen Expropriation durch Rockefeller (S. 258 bis 260). Lewisohn Brothers waren aus kleinen Anfängen heraus zum größten Kaffee¬ hause Amerikas und zu einer Macht im Kupferhandel geworden. Eines Tages

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/66>, abgerufen am 12.12.2024.