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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Das allslawische Problem und der deutsche Nationalstaat

berufne Führer im feindlichen Lager standen. Sie trug darum den Keim der
Zersetzung in sich und ermangelte der Fähigkeit, zusammenzustehn in dem Maße,
als sich ihre Mißerfolge häuften, ihre Gruppen sich untereinander zerfleischten,
und, ich lasse hier wieder Kölner sprechen, als ein großer Teil von den Deutschen
dem Demagogentum und der Reaktion in die Arme lief. An der heutigen
Uneinigkeit der Deutschen in Österreich ist -- ich möchte das noch einmal unter¬
streichen -- in allererster Linie das Magnatentum schuld; erst wenn dieses in
Österreich überwunden sein wird durch eine nationale und doch liberale Demokratie,
dann können wir auch mit einer politischen Gesundung des Deutschtums in
Österreich rechnen. Freilich dürfen uns die Slawen mit ihren Einigungs¬
bestrebungen nicht zuvorkommen. Die Los-von-Nom-Bewegung ist, ohne ihre
praktische Bedeutung überschätzen zu wollen, ein vorläufiges Symptom für
die ansetzende Genesung, und es wäre zu wünschen, daß sich nun auch eine
energische Reaktion gegen den Antisemitismus als ein weiteres bald bemerkbar
machte. Denn die unter den Slawen zerstreut lebenden Juden, einschließlich
der sechs Millionen russischer, sind unsre natürlichen Bundesgenossen gegen
die vereinten Slawen. Ich habe mich gegen diese Auffassung lange ge¬
wehrt und erinnere mich deutlich, welches Unbehagen mir ein Artikel des
Berliner Tageblatts verursachte -- ich glaube von Hans Heinz Ewers --, der
mir vor fünf Jahren in Kijew nach einer Besichtigung des Judenviertels in
die Hände fiel. Nach dem eben Geschauten schien es mir geradezu als eine
Beleidigung der eignen Nationalität, von einer Gemeinsamkeit der deutschen
und der jüdischen Kulturinteressen zu sprechen. Bei der Verarbeitung des ge¬
sammelten Materials und dessen Betrachtung durch Klios Brille hat sich dann
meine Ansicht geändert.

Doch kehren wir nach Österreich zurück. Dort hat für die Entwicklung
der allslawischen Idee die Ära Taaffe eine außerordentlich große Bedeutung
erlangt. Sie hat den übrigens noch immer nicht zustande gekommnen Ausgleich
zwischen Polen und Tschechen vorbereitet. Die Tschechen waren stets Rußland
freundlich, weil der russische Panslawismus deutschfeindlich war. Die Polen
waren dagegen Rußland feindlich gesinnt, weil es der gefährlichste Gegner des
Ultramontanismus ist. Das trennte die beiden Nationalitäten vornehmlich; hierzu
kam trennend der verschiedne Standpunkt gegenüber der Politik des Reichsrath,
solange in Galizien das konservativ-klerikale Element die Führung hatte, sowie
schließlich der Gegensatz in Mähren und Schlesien. Die Tschechen haben ihre
Politik der Obstruktion gegen die Zentralregierung von: Tage der Dezember¬
verfassung an aufgenommen. Sie haben sich dadurch von vornherein die Ver¬
mittlung ihres Adels gegenüber dem Monarchen verscherzt, der wie der deutsche
aus der Seite der Polen und Klerikalen stand. Dabei waren sie politisch
schlechter gestellt als die Polen, da sie von vornherein keine autonomen
Rechte hatten. Doch haben sie dafür im Laufe der Jahre die Freundschaft der
polnischen Demokraten eingetauscht, die von Lemberg aus wohl die polnischen


Das allslawische Problem und der deutsche Nationalstaat

berufne Führer im feindlichen Lager standen. Sie trug darum den Keim der
Zersetzung in sich und ermangelte der Fähigkeit, zusammenzustehn in dem Maße,
als sich ihre Mißerfolge häuften, ihre Gruppen sich untereinander zerfleischten,
und, ich lasse hier wieder Kölner sprechen, als ein großer Teil von den Deutschen
dem Demagogentum und der Reaktion in die Arme lief. An der heutigen
Uneinigkeit der Deutschen in Österreich ist — ich möchte das noch einmal unter¬
streichen — in allererster Linie das Magnatentum schuld; erst wenn dieses in
Österreich überwunden sein wird durch eine nationale und doch liberale Demokratie,
dann können wir auch mit einer politischen Gesundung des Deutschtums in
Österreich rechnen. Freilich dürfen uns die Slawen mit ihren Einigungs¬
bestrebungen nicht zuvorkommen. Die Los-von-Nom-Bewegung ist, ohne ihre
praktische Bedeutung überschätzen zu wollen, ein vorläufiges Symptom für
die ansetzende Genesung, und es wäre zu wünschen, daß sich nun auch eine
energische Reaktion gegen den Antisemitismus als ein weiteres bald bemerkbar
machte. Denn die unter den Slawen zerstreut lebenden Juden, einschließlich
der sechs Millionen russischer, sind unsre natürlichen Bundesgenossen gegen
die vereinten Slawen. Ich habe mich gegen diese Auffassung lange ge¬
wehrt und erinnere mich deutlich, welches Unbehagen mir ein Artikel des
Berliner Tageblatts verursachte — ich glaube von Hans Heinz Ewers —, der
mir vor fünf Jahren in Kijew nach einer Besichtigung des Judenviertels in
die Hände fiel. Nach dem eben Geschauten schien es mir geradezu als eine
Beleidigung der eignen Nationalität, von einer Gemeinsamkeit der deutschen
und der jüdischen Kulturinteressen zu sprechen. Bei der Verarbeitung des ge¬
sammelten Materials und dessen Betrachtung durch Klios Brille hat sich dann
meine Ansicht geändert.

Doch kehren wir nach Österreich zurück. Dort hat für die Entwicklung
der allslawischen Idee die Ära Taaffe eine außerordentlich große Bedeutung
erlangt. Sie hat den übrigens noch immer nicht zustande gekommnen Ausgleich
zwischen Polen und Tschechen vorbereitet. Die Tschechen waren stets Rußland
freundlich, weil der russische Panslawismus deutschfeindlich war. Die Polen
waren dagegen Rußland feindlich gesinnt, weil es der gefährlichste Gegner des
Ultramontanismus ist. Das trennte die beiden Nationalitäten vornehmlich; hierzu
kam trennend der verschiedne Standpunkt gegenüber der Politik des Reichsrath,
solange in Galizien das konservativ-klerikale Element die Führung hatte, sowie
schließlich der Gegensatz in Mähren und Schlesien. Die Tschechen haben ihre
Politik der Obstruktion gegen die Zentralregierung von: Tage der Dezember¬
verfassung an aufgenommen. Sie haben sich dadurch von vornherein die Ver¬
mittlung ihres Adels gegenüber dem Monarchen verscherzt, der wie der deutsche
aus der Seite der Polen und Klerikalen stand. Dabei waren sie politisch
schlechter gestellt als die Polen, da sie von vornherein keine autonomen
Rechte hatten. Doch haben sie dafür im Laufe der Jahre die Freundschaft der
polnischen Demokraten eingetauscht, die von Lemberg aus wohl die polnischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/590>, abgerufen am 23.07.2024.