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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Aorta

Moschee war, woran die Überwölbung mit maurischen Kuppeln noch erinnert.
Die christliche Zeit verlieh ihr gotische Seitenschiffe und eine Capilla Mayor
im plateresken Stil, unter anderm auch Renaissancestuhlwerk mit Heiligen¬
figuren. Eine zum Fluß hinabführende unterirdische Felsentreppe mit 365 Stufen
erinnert ebenfalls an die Maurenzeit. Sie wurde zur Verhütung von Wassersnot
angelegt, die bei Belagerungen für die Stadt hätte verhängnisvoll werden
können. Die Brücken Puente de San Miguel und Puente viejo stammen
auch aus jener Zeit, ihre von dichtem Moos überzognen Steinornamente künden
ihr hohes Alter.

Ein steiniger Weg führt uns aufwärts an der Stadtmauer entlang, die
ebenfalls maurischen Ursprungs ist. Ein ganzes Stück Geschichte ist in dem
dazu wie zum Bau fast der ganzen Altstadt benutzten Material verkörpert.
Die Bausteine stammten nachweislich aus der nltiberischen Stadt Acinipo,
die in kurzer Entfernung vom heutigen Ronda lag. Dann herrschten nach
den Iberer", den Ureinwohnern Spaniens, die Römer, und als es hier mit
deren Macht vorbei war, die Mauren, die von den christlichen Königen
Ferdinand und Jsabella vertrieben wurden. Eine zwölf Kilometer nördlich
davon gelegne armselige Ortschaft, heute "Ronda la Vieja" benannt, war eine
alte Jbererstätte von großer Bedeutung, wovon die Überreste eines einstigen
Amphitheaters Zeugnis ablegen. Es macht einen ebensolchen weltabgeschieden
Eindruck wie das in einiger Entfernung von Sevilla liegende Jtalica mit
seinem antiken Riesenzirkus, das auch zur Römerzeit glänzende militärische
Pracht sah, deren Höhepunkt die "Spiele" bildeten.

Der moderne Spanier huldigt ihnen, wenn auch in etwas veränderter
Form, noch heute, und zwar mit wahrer Leidenschaft. Das grausame Ver¬
gnügen des Stierkampfes gehört zum Rondalesen wie die Luft zum Atmen-
Im allgemeinen weiß er nicht nur, sich nach allen Richtungen vortrefflich zu
amüsieren, sondern er ist auch ein glänzender Gesellschafter. Geist und Witz
beschleunigen den Fluß seiner Rede, deren Zauber oft von hinreißender Wirkung
ist. Die einfachsten Leute verfügen über das Talent, zu improvisieren, womit
sie unter Begleitung der Gitarre auch vor Fremden gern glänzen. Überall
hört man in lauen Frühlingsnächten Seguidillas, Lieder, die der Erwählten des
Herzens gelten, erklingen.

Die Gastfreundschaft in allen Kreisen der Bevölkerung ist groß. Fremde,
die an Familien empfohlen sind, werden von einer "Tertullia", das heißt
Abendgesellschaft, zur andern weiter eingeladen, eine gesellige Veranstaltung,
die die liebenswürdigen Wirte zu keinen besondern Opfern veranlaßt. Die
Bewirtung übersteigt niemals einige Süßigkeiten oder ein Gläschen Landwein,
manchmal tuts auch nur ein Glas Wasser. Aber die geistige Nahrung bietet
allen Ersatz, und die angenehmen Umgangsformen der Anwesenden machen
uns jede dieser Zusammenkünfte zum Fest. Tanz mit Castagnettenbegleitung
bildet den Höhepunkt der Genüsse. In den untern Kreisen kommen allerdings


Aorta

Moschee war, woran die Überwölbung mit maurischen Kuppeln noch erinnert.
Die christliche Zeit verlieh ihr gotische Seitenschiffe und eine Capilla Mayor
im plateresken Stil, unter anderm auch Renaissancestuhlwerk mit Heiligen¬
figuren. Eine zum Fluß hinabführende unterirdische Felsentreppe mit 365 Stufen
erinnert ebenfalls an die Maurenzeit. Sie wurde zur Verhütung von Wassersnot
angelegt, die bei Belagerungen für die Stadt hätte verhängnisvoll werden
können. Die Brücken Puente de San Miguel und Puente viejo stammen
auch aus jener Zeit, ihre von dichtem Moos überzognen Steinornamente künden
ihr hohes Alter.

Ein steiniger Weg führt uns aufwärts an der Stadtmauer entlang, die
ebenfalls maurischen Ursprungs ist. Ein ganzes Stück Geschichte ist in dem
dazu wie zum Bau fast der ganzen Altstadt benutzten Material verkörpert.
Die Bausteine stammten nachweislich aus der nltiberischen Stadt Acinipo,
die in kurzer Entfernung vom heutigen Ronda lag. Dann herrschten nach
den Iberer», den Ureinwohnern Spaniens, die Römer, und als es hier mit
deren Macht vorbei war, die Mauren, die von den christlichen Königen
Ferdinand und Jsabella vertrieben wurden. Eine zwölf Kilometer nördlich
davon gelegne armselige Ortschaft, heute „Ronda la Vieja" benannt, war eine
alte Jbererstätte von großer Bedeutung, wovon die Überreste eines einstigen
Amphitheaters Zeugnis ablegen. Es macht einen ebensolchen weltabgeschieden
Eindruck wie das in einiger Entfernung von Sevilla liegende Jtalica mit
seinem antiken Riesenzirkus, das auch zur Römerzeit glänzende militärische
Pracht sah, deren Höhepunkt die „Spiele" bildeten.

Der moderne Spanier huldigt ihnen, wenn auch in etwas veränderter
Form, noch heute, und zwar mit wahrer Leidenschaft. Das grausame Ver¬
gnügen des Stierkampfes gehört zum Rondalesen wie die Luft zum Atmen-
Im allgemeinen weiß er nicht nur, sich nach allen Richtungen vortrefflich zu
amüsieren, sondern er ist auch ein glänzender Gesellschafter. Geist und Witz
beschleunigen den Fluß seiner Rede, deren Zauber oft von hinreißender Wirkung
ist. Die einfachsten Leute verfügen über das Talent, zu improvisieren, womit
sie unter Begleitung der Gitarre auch vor Fremden gern glänzen. Überall
hört man in lauen Frühlingsnächten Seguidillas, Lieder, die der Erwählten des
Herzens gelten, erklingen.

Die Gastfreundschaft in allen Kreisen der Bevölkerung ist groß. Fremde,
die an Familien empfohlen sind, werden von einer „Tertullia", das heißt
Abendgesellschaft, zur andern weiter eingeladen, eine gesellige Veranstaltung,
die die liebenswürdigen Wirte zu keinen besondern Opfern veranlaßt. Die
Bewirtung übersteigt niemals einige Süßigkeiten oder ein Gläschen Landwein,
manchmal tuts auch nur ein Glas Wasser. Aber die geistige Nahrung bietet
allen Ersatz, und die angenehmen Umgangsformen der Anwesenden machen
uns jede dieser Zusammenkünfte zum Fest. Tanz mit Castagnettenbegleitung
bildet den Höhepunkt der Genüsse. In den untern Kreisen kommen allerdings


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[0554] Aorta Moschee war, woran die Überwölbung mit maurischen Kuppeln noch erinnert. Die christliche Zeit verlieh ihr gotische Seitenschiffe und eine Capilla Mayor im plateresken Stil, unter anderm auch Renaissancestuhlwerk mit Heiligen¬ figuren. Eine zum Fluß hinabführende unterirdische Felsentreppe mit 365 Stufen erinnert ebenfalls an die Maurenzeit. Sie wurde zur Verhütung von Wassersnot angelegt, die bei Belagerungen für die Stadt hätte verhängnisvoll werden können. Die Brücken Puente de San Miguel und Puente viejo stammen auch aus jener Zeit, ihre von dichtem Moos überzognen Steinornamente künden ihr hohes Alter. Ein steiniger Weg führt uns aufwärts an der Stadtmauer entlang, die ebenfalls maurischen Ursprungs ist. Ein ganzes Stück Geschichte ist in dem dazu wie zum Bau fast der ganzen Altstadt benutzten Material verkörpert. Die Bausteine stammten nachweislich aus der nltiberischen Stadt Acinipo, die in kurzer Entfernung vom heutigen Ronda lag. Dann herrschten nach den Iberer», den Ureinwohnern Spaniens, die Römer, und als es hier mit deren Macht vorbei war, die Mauren, die von den christlichen Königen Ferdinand und Jsabella vertrieben wurden. Eine zwölf Kilometer nördlich davon gelegne armselige Ortschaft, heute „Ronda la Vieja" benannt, war eine alte Jbererstätte von großer Bedeutung, wovon die Überreste eines einstigen Amphitheaters Zeugnis ablegen. Es macht einen ebensolchen weltabgeschieden Eindruck wie das in einiger Entfernung von Sevilla liegende Jtalica mit seinem antiken Riesenzirkus, das auch zur Römerzeit glänzende militärische Pracht sah, deren Höhepunkt die „Spiele" bildeten. Der moderne Spanier huldigt ihnen, wenn auch in etwas veränderter Form, noch heute, und zwar mit wahrer Leidenschaft. Das grausame Ver¬ gnügen des Stierkampfes gehört zum Rondalesen wie die Luft zum Atmen- Im allgemeinen weiß er nicht nur, sich nach allen Richtungen vortrefflich zu amüsieren, sondern er ist auch ein glänzender Gesellschafter. Geist und Witz beschleunigen den Fluß seiner Rede, deren Zauber oft von hinreißender Wirkung ist. Die einfachsten Leute verfügen über das Talent, zu improvisieren, womit sie unter Begleitung der Gitarre auch vor Fremden gern glänzen. Überall hört man in lauen Frühlingsnächten Seguidillas, Lieder, die der Erwählten des Herzens gelten, erklingen. Die Gastfreundschaft in allen Kreisen der Bevölkerung ist groß. Fremde, die an Familien empfohlen sind, werden von einer „Tertullia", das heißt Abendgesellschaft, zur andern weiter eingeladen, eine gesellige Veranstaltung, die die liebenswürdigen Wirte zu keinen besondern Opfern veranlaßt. Die Bewirtung übersteigt niemals einige Süßigkeiten oder ein Gläschen Landwein, manchmal tuts auch nur ein Glas Wasser. Aber die geistige Nahrung bietet allen Ersatz, und die angenehmen Umgangsformen der Anwesenden machen uns jede dieser Zusammenkünfte zum Fest. Tanz mit Castagnettenbegleitung bildet den Höhepunkt der Genüsse. In den untern Kreisen kommen allerdings

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/554>, abgerufen am 12.12.2024.