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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die Reichsfinanzreform

artiger hoher Zinsfuß die Konkurrenzfähigkeit des heimischen Gewerbes dem
Auslande gegenüber beeinträchtigt.

Zwar darf das Hinaufgehn des Zinsfußes keineswegs allein der Anleihe¬
ausgabe im Reiche auf Rechnung gesetzt werden. Auch der erhebliche Geld¬
bedarf der Einzelstaaten und Kommunen wie der gewaltige Kapitalbedarf der
Industrie sind als wesentliche Ursachen anzusprechen. Dennoch hat die Er¬
fahrung deutlich bewiesen, daß die gewaltigen Anforderungen des Reiches auf
den Kapitalmarkt in stärkster Weise gedrückt haben, und es kann und Sicher¬
heit erwartet werden, daß ein Nachlassen in diesen Ansprüchen auch den all¬
gemeinen Zinsfuß auf die Dauer günstig beeinflussen würde.

Die Reichsschuld steht heute schon auf 4250 Millionen. Zu diesen
4'/t Milliarden Schulden des Reiches treten noch 14'/, Milliarden Anleihen
der Bundesstaaten und 7'/" Milliarden Anleihen der Kommunen, sodaß
sich daraus eine Gesamtanleihelast von 26 Milliarden für Reich. Bundesstaaten
und Kommunen ergibt.

Hinzu treten die sogenannten Schatzanweisungen. Nach den neuste" Be¬
rechnungen des Rcichsschatzamts waren 475 Millionen Schcitzanweisnngen im
Umlauf, also der volle für 1908 deklarierte Kredit. Außerdem waren 100 Millionen
auf den bewilligten neuen Kredit ausgegeben. Die Bedeutung dieser Zahlen
tritt hervor, wenn man erwägt, daß im Kriege 1870/71 nur etwa 120 Millionen
Mark Schatzanweisungen cuilliere wurden. Die finanzielle Belastung, die das
Reich in den neunziger Jahren durch Schatzanweisungen traf, machte etwa
300 bis 400000 Mark jährlich aus; im vergangnen Jahre ist sie auf
Millionen an Kosten des Diskonts und der Verzinsung gestiegen. Die
Wirkung ist natürlich ein Druck auf den allgemeinen Zinsfuß. So oft sich der
Diskont anschickte, wieder herabzusehen, kam das Reich mit seinen Schatz¬
anweisungen an den Markt und trat der wünschenswerten Abwärtsbewegung
entgegen.

Die Folge der Inanspruchnahme des Geldmarkts durch die starken
Ziffern der Schatzanweisungen und des allgemeinen Anlagemarktes durch die
Reichsanleihen fühlte in den letzten Jahren die deutsche Volkswirtschaft all¬
gemein.

Des weitern wird dann ausgeführt, wie diese eben beschriebne Schulden-
vermchrung auf die einzelnen Erwerbs- und Nährstände wirkt. Alle Stände
sind in starkem Maße an der Gesundung der Neichsfinanzen interessiert: Land¬
wirtschaft. Industrie, Handel und Bankwesen durch die Notwendigkeit billigen
Betriebskredits; die Lohnarbeiter durch das Interesse an dem allgemeinen
Wohlergehn der Erwerbsstünde und insbesondre durch die Notwendigkeit
finanzieller Grundlagen für eine Fortführung der Sozialpolitik; das sparende
Publikum durch das Interesse an der Aufrechterhaltung des Kursstandes der
Anleihen.


Die Reichsfinanzreform

artiger hoher Zinsfuß die Konkurrenzfähigkeit des heimischen Gewerbes dem
Auslande gegenüber beeinträchtigt.

Zwar darf das Hinaufgehn des Zinsfußes keineswegs allein der Anleihe¬
ausgabe im Reiche auf Rechnung gesetzt werden. Auch der erhebliche Geld¬
bedarf der Einzelstaaten und Kommunen wie der gewaltige Kapitalbedarf der
Industrie sind als wesentliche Ursachen anzusprechen. Dennoch hat die Er¬
fahrung deutlich bewiesen, daß die gewaltigen Anforderungen des Reiches auf
den Kapitalmarkt in stärkster Weise gedrückt haben, und es kann und Sicher¬
heit erwartet werden, daß ein Nachlassen in diesen Ansprüchen auch den all¬
gemeinen Zinsfuß auf die Dauer günstig beeinflussen würde.

Die Reichsschuld steht heute schon auf 4250 Millionen. Zu diesen
4'/t Milliarden Schulden des Reiches treten noch 14'/, Milliarden Anleihen
der Bundesstaaten und 7'/« Milliarden Anleihen der Kommunen, sodaß
sich daraus eine Gesamtanleihelast von 26 Milliarden für Reich. Bundesstaaten
und Kommunen ergibt.

Hinzu treten die sogenannten Schatzanweisungen. Nach den neuste» Be¬
rechnungen des Rcichsschatzamts waren 475 Millionen Schcitzanweisnngen im
Umlauf, also der volle für 1908 deklarierte Kredit. Außerdem waren 100 Millionen
auf den bewilligten neuen Kredit ausgegeben. Die Bedeutung dieser Zahlen
tritt hervor, wenn man erwägt, daß im Kriege 1870/71 nur etwa 120 Millionen
Mark Schatzanweisungen cuilliere wurden. Die finanzielle Belastung, die das
Reich in den neunziger Jahren durch Schatzanweisungen traf, machte etwa
300 bis 400000 Mark jährlich aus; im vergangnen Jahre ist sie auf
Millionen an Kosten des Diskonts und der Verzinsung gestiegen. Die
Wirkung ist natürlich ein Druck auf den allgemeinen Zinsfuß. So oft sich der
Diskont anschickte, wieder herabzusehen, kam das Reich mit seinen Schatz¬
anweisungen an den Markt und trat der wünschenswerten Abwärtsbewegung
entgegen.

Die Folge der Inanspruchnahme des Geldmarkts durch die starken
Ziffern der Schatzanweisungen und des allgemeinen Anlagemarktes durch die
Reichsanleihen fühlte in den letzten Jahren die deutsche Volkswirtschaft all¬
gemein.

Des weitern wird dann ausgeführt, wie diese eben beschriebne Schulden-
vermchrung auf die einzelnen Erwerbs- und Nährstände wirkt. Alle Stände
sind in starkem Maße an der Gesundung der Neichsfinanzen interessiert: Land¬
wirtschaft. Industrie, Handel und Bankwesen durch die Notwendigkeit billigen
Betriebskredits; die Lohnarbeiter durch das Interesse an dem allgemeinen
Wohlergehn der Erwerbsstünde und insbesondre durch die Notwendigkeit
finanzieller Grundlagen für eine Fortführung der Sozialpolitik; das sparende
Publikum durch das Interesse an der Aufrechterhaltung des Kursstandes der
Anleihen.


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[0533] Die Reichsfinanzreform artiger hoher Zinsfuß die Konkurrenzfähigkeit des heimischen Gewerbes dem Auslande gegenüber beeinträchtigt. Zwar darf das Hinaufgehn des Zinsfußes keineswegs allein der Anleihe¬ ausgabe im Reiche auf Rechnung gesetzt werden. Auch der erhebliche Geld¬ bedarf der Einzelstaaten und Kommunen wie der gewaltige Kapitalbedarf der Industrie sind als wesentliche Ursachen anzusprechen. Dennoch hat die Er¬ fahrung deutlich bewiesen, daß die gewaltigen Anforderungen des Reiches auf den Kapitalmarkt in stärkster Weise gedrückt haben, und es kann und Sicher¬ heit erwartet werden, daß ein Nachlassen in diesen Ansprüchen auch den all¬ gemeinen Zinsfuß auf die Dauer günstig beeinflussen würde. Die Reichsschuld steht heute schon auf 4250 Millionen. Zu diesen 4'/t Milliarden Schulden des Reiches treten noch 14'/, Milliarden Anleihen der Bundesstaaten und 7'/« Milliarden Anleihen der Kommunen, sodaß sich daraus eine Gesamtanleihelast von 26 Milliarden für Reich. Bundesstaaten und Kommunen ergibt. Hinzu treten die sogenannten Schatzanweisungen. Nach den neuste» Be¬ rechnungen des Rcichsschatzamts waren 475 Millionen Schcitzanweisnngen im Umlauf, also der volle für 1908 deklarierte Kredit. Außerdem waren 100 Millionen auf den bewilligten neuen Kredit ausgegeben. Die Bedeutung dieser Zahlen tritt hervor, wenn man erwägt, daß im Kriege 1870/71 nur etwa 120 Millionen Mark Schatzanweisungen cuilliere wurden. Die finanzielle Belastung, die das Reich in den neunziger Jahren durch Schatzanweisungen traf, machte etwa 300 bis 400000 Mark jährlich aus; im vergangnen Jahre ist sie auf Millionen an Kosten des Diskonts und der Verzinsung gestiegen. Die Wirkung ist natürlich ein Druck auf den allgemeinen Zinsfuß. So oft sich der Diskont anschickte, wieder herabzusehen, kam das Reich mit seinen Schatz¬ anweisungen an den Markt und trat der wünschenswerten Abwärtsbewegung entgegen. Die Folge der Inanspruchnahme des Geldmarkts durch die starken Ziffern der Schatzanweisungen und des allgemeinen Anlagemarktes durch die Reichsanleihen fühlte in den letzten Jahren die deutsche Volkswirtschaft all¬ gemein. Des weitern wird dann ausgeführt, wie diese eben beschriebne Schulden- vermchrung auf die einzelnen Erwerbs- und Nährstände wirkt. Alle Stände sind in starkem Maße an der Gesundung der Neichsfinanzen interessiert: Land¬ wirtschaft. Industrie, Handel und Bankwesen durch die Notwendigkeit billigen Betriebskredits; die Lohnarbeiter durch das Interesse an dem allgemeinen Wohlergehn der Erwerbsstünde und insbesondre durch die Notwendigkeit finanzieller Grundlagen für eine Fortführung der Sozialpolitik; das sparende Publikum durch das Interesse an der Aufrechterhaltung des Kursstandes der Anleihen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/533>, abgerufen am 12.12.2024.