Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ale HeichsfinanzreforM

das alte Reich nicht bloß finanziell, sondern überhaupt seiner ganzen
innern Entwicklung nach scheiterte

1. daran, daß es das ihm anfangs aufs reichlichste zu Gebote stehende
wirtschaftliche Hauptmachtmittel der Nation, den Grund und Boden, ver¬
schleuderte,

2. daran, daß es, da es so handelte, infolge der Desorganisation seiner
Verwaltung die Möglichkeit jeder innern Exekutive verlor,

3. daran, daß es, auf diese Weise hilflos werdend, den Einflüssen der
partikularen, in der Verfassung durch die Reichsstände vertretnen sozialen Ge¬
walten derart anheimfiel, daß ihm eine Umbildung seiner Finanzen in irgend¬
einem dem dreizehnten Jahrhundert zeitgemäßen Sinne überhaupt nicht mehr
gelang.

Es wäre, wie der Verfasser ausführt, so, als wenn heutzutage das Reich
das heutige wirtschaftliche Hauptmachtmittel der Nation, ihren Kredit, durch
ein leichtfertiges, stetig an Dimension zunehmendes Anleihewesen erschöpfte,
dadurch auch zu einer Desorganisation des Dienstes in der Reichsverwaltung,
vornehmlich in Heer und Marine käme und dann, endlich im Begriffe, sich
im entscheidenden Momente noch durch eine einschneidende Finanzreform zu
retten, bei den verfassungsmäßigen Vertretern seiner partikularen sozialen Ge¬
walten, bei den Parteien, einen so hartnäckigen Widerstand fände, daß alle
Maßnahmen, die helfen können, nicht zur Ausführung gelangten. Was sich
aber im dreizehnten Jahrhundert zwischen entwickelter Naturalwirtschaft und
primitiver Geldwirtschaft abgespielt habe, finde heute in Vorgängen zwischen
entwickelter Geldwirtschaft und primitiver Kreditwirtschaft nur eine ähnliche
Fortsetzung.

Das erste Kapitel behandelt sodann die politische Bedeutung der
Reichsfinanzreform, und zwar zunächst die Reichsfinanzreform und
die äußere Politik. In letzter Beziehung wird die finanzielle Kriegs¬
bereitschaft des Reiches unter den bestehenden Verhältnissen verneint, da die
Möglichkeit, die enormen, für die Führung eines modernen Krieges not¬
wendigen Geldmittel rechtzeitig und ohne unnötige Erschütterung der in jedem
Kriege schwer getrosfnen heimischen Wirtschaft erhalten zu können, nicht be¬
stehe. Die Frage, ob für Deutschland im Falle eines Krieges ausländische
Geldmärkte offen stehen würden, möge abhängig sein von der internationalen
Konstellation, werde aber nach den im Jahre 1870 gemachten Erfahrungen
für die meisten Fälle verneint werden müssen. Es werde immer dem in¬
ländischen Markt die Beschaffung des allergrößten Teils der notwendigen Mittel
auferlegt werden müssen. Ob und wie die nötigen Milliarden -- sei es nun
im Inland oder im Ausland beschafft werden können, hängt einzig und
allein von dem Kredit des Reiches ab. Dieser findet seinen Ausdruck in dem
Kurse unsrer Anleihen. Wird die Kursbewegung der heimischen Anleihen


Ale HeichsfinanzreforM

das alte Reich nicht bloß finanziell, sondern überhaupt seiner ganzen
innern Entwicklung nach scheiterte

1. daran, daß es das ihm anfangs aufs reichlichste zu Gebote stehende
wirtschaftliche Hauptmachtmittel der Nation, den Grund und Boden, ver¬
schleuderte,

2. daran, daß es, da es so handelte, infolge der Desorganisation seiner
Verwaltung die Möglichkeit jeder innern Exekutive verlor,

3. daran, daß es, auf diese Weise hilflos werdend, den Einflüssen der
partikularen, in der Verfassung durch die Reichsstände vertretnen sozialen Ge¬
walten derart anheimfiel, daß ihm eine Umbildung seiner Finanzen in irgend¬
einem dem dreizehnten Jahrhundert zeitgemäßen Sinne überhaupt nicht mehr
gelang.

Es wäre, wie der Verfasser ausführt, so, als wenn heutzutage das Reich
das heutige wirtschaftliche Hauptmachtmittel der Nation, ihren Kredit, durch
ein leichtfertiges, stetig an Dimension zunehmendes Anleihewesen erschöpfte,
dadurch auch zu einer Desorganisation des Dienstes in der Reichsverwaltung,
vornehmlich in Heer und Marine käme und dann, endlich im Begriffe, sich
im entscheidenden Momente noch durch eine einschneidende Finanzreform zu
retten, bei den verfassungsmäßigen Vertretern seiner partikularen sozialen Ge¬
walten, bei den Parteien, einen so hartnäckigen Widerstand fände, daß alle
Maßnahmen, die helfen können, nicht zur Ausführung gelangten. Was sich
aber im dreizehnten Jahrhundert zwischen entwickelter Naturalwirtschaft und
primitiver Geldwirtschaft abgespielt habe, finde heute in Vorgängen zwischen
entwickelter Geldwirtschaft und primitiver Kreditwirtschaft nur eine ähnliche
Fortsetzung.

Das erste Kapitel behandelt sodann die politische Bedeutung der
Reichsfinanzreform, und zwar zunächst die Reichsfinanzreform und
die äußere Politik. In letzter Beziehung wird die finanzielle Kriegs¬
bereitschaft des Reiches unter den bestehenden Verhältnissen verneint, da die
Möglichkeit, die enormen, für die Führung eines modernen Krieges not¬
wendigen Geldmittel rechtzeitig und ohne unnötige Erschütterung der in jedem
Kriege schwer getrosfnen heimischen Wirtschaft erhalten zu können, nicht be¬
stehe. Die Frage, ob für Deutschland im Falle eines Krieges ausländische
Geldmärkte offen stehen würden, möge abhängig sein von der internationalen
Konstellation, werde aber nach den im Jahre 1870 gemachten Erfahrungen
für die meisten Fälle verneint werden müssen. Es werde immer dem in¬
ländischen Markt die Beschaffung des allergrößten Teils der notwendigen Mittel
auferlegt werden müssen. Ob und wie die nötigen Milliarden — sei es nun
im Inland oder im Ausland beschafft werden können, hängt einzig und
allein von dem Kredit des Reiches ab. Dieser findet seinen Ausdruck in dem
Kurse unsrer Anleihen. Wird die Kursbewegung der heimischen Anleihen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312881"/>
          <fw type="header" place="top"> Ale HeichsfinanzreforM</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2128" prev="#ID_2127"> das alte Reich nicht bloß finanziell, sondern überhaupt seiner ganzen<lb/>
innern Entwicklung nach scheiterte</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2129"> 1. daran, daß es das ihm anfangs aufs reichlichste zu Gebote stehende<lb/>
wirtschaftliche Hauptmachtmittel der Nation, den Grund und Boden, ver¬<lb/>
schleuderte,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2130"> 2. daran, daß es, da es so handelte, infolge der Desorganisation seiner<lb/>
Verwaltung die Möglichkeit jeder innern Exekutive verlor,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2131"> 3. daran, daß es, auf diese Weise hilflos werdend, den Einflüssen der<lb/>
partikularen, in der Verfassung durch die Reichsstände vertretnen sozialen Ge¬<lb/>
walten derart anheimfiel, daß ihm eine Umbildung seiner Finanzen in irgend¬<lb/>
einem dem dreizehnten Jahrhundert zeitgemäßen Sinne überhaupt nicht mehr<lb/>
gelang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2132"> Es wäre, wie der Verfasser ausführt, so, als wenn heutzutage das Reich<lb/>
das heutige wirtschaftliche Hauptmachtmittel der Nation, ihren Kredit, durch<lb/>
ein leichtfertiges, stetig an Dimension zunehmendes Anleihewesen erschöpfte,<lb/>
dadurch auch zu einer Desorganisation des Dienstes in der Reichsverwaltung,<lb/>
vornehmlich in Heer und Marine käme und dann, endlich im Begriffe, sich<lb/>
im entscheidenden Momente noch durch eine einschneidende Finanzreform zu<lb/>
retten, bei den verfassungsmäßigen Vertretern seiner partikularen sozialen Ge¬<lb/>
walten, bei den Parteien, einen so hartnäckigen Widerstand fände, daß alle<lb/>
Maßnahmen, die helfen können, nicht zur Ausführung gelangten. Was sich<lb/>
aber im dreizehnten Jahrhundert zwischen entwickelter Naturalwirtschaft und<lb/>
primitiver Geldwirtschaft abgespielt habe, finde heute in Vorgängen zwischen<lb/>
entwickelter Geldwirtschaft und primitiver Kreditwirtschaft nur eine ähnliche<lb/>
Fortsetzung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2133" next="#ID_2134"> Das erste Kapitel behandelt sodann die politische Bedeutung der<lb/>
Reichsfinanzreform, und zwar zunächst die Reichsfinanzreform und<lb/>
die äußere Politik. In letzter Beziehung wird die finanzielle Kriegs¬<lb/>
bereitschaft des Reiches unter den bestehenden Verhältnissen verneint, da die<lb/>
Möglichkeit, die enormen, für die Führung eines modernen Krieges not¬<lb/>
wendigen Geldmittel rechtzeitig und ohne unnötige Erschütterung der in jedem<lb/>
Kriege schwer getrosfnen heimischen Wirtschaft erhalten zu können, nicht be¬<lb/>
stehe. Die Frage, ob für Deutschland im Falle eines Krieges ausländische<lb/>
Geldmärkte offen stehen würden, möge abhängig sein von der internationalen<lb/>
Konstellation, werde aber nach den im Jahre 1870 gemachten Erfahrungen<lb/>
für die meisten Fälle verneint werden müssen. Es werde immer dem in¬<lb/>
ländischen Markt die Beschaffung des allergrößten Teils der notwendigen Mittel<lb/>
auferlegt werden müssen. Ob und wie die nötigen Milliarden &#x2014; sei es nun<lb/>
im Inland oder im Ausland beschafft werden können, hängt einzig und<lb/>
allein von dem Kredit des Reiches ab. Dieser findet seinen Ausdruck in dem<lb/>
Kurse unsrer Anleihen.  Wird die Kursbewegung der heimischen Anleihen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0530] Ale HeichsfinanzreforM das alte Reich nicht bloß finanziell, sondern überhaupt seiner ganzen innern Entwicklung nach scheiterte 1. daran, daß es das ihm anfangs aufs reichlichste zu Gebote stehende wirtschaftliche Hauptmachtmittel der Nation, den Grund und Boden, ver¬ schleuderte, 2. daran, daß es, da es so handelte, infolge der Desorganisation seiner Verwaltung die Möglichkeit jeder innern Exekutive verlor, 3. daran, daß es, auf diese Weise hilflos werdend, den Einflüssen der partikularen, in der Verfassung durch die Reichsstände vertretnen sozialen Ge¬ walten derart anheimfiel, daß ihm eine Umbildung seiner Finanzen in irgend¬ einem dem dreizehnten Jahrhundert zeitgemäßen Sinne überhaupt nicht mehr gelang. Es wäre, wie der Verfasser ausführt, so, als wenn heutzutage das Reich das heutige wirtschaftliche Hauptmachtmittel der Nation, ihren Kredit, durch ein leichtfertiges, stetig an Dimension zunehmendes Anleihewesen erschöpfte, dadurch auch zu einer Desorganisation des Dienstes in der Reichsverwaltung, vornehmlich in Heer und Marine käme und dann, endlich im Begriffe, sich im entscheidenden Momente noch durch eine einschneidende Finanzreform zu retten, bei den verfassungsmäßigen Vertretern seiner partikularen sozialen Ge¬ walten, bei den Parteien, einen so hartnäckigen Widerstand fände, daß alle Maßnahmen, die helfen können, nicht zur Ausführung gelangten. Was sich aber im dreizehnten Jahrhundert zwischen entwickelter Naturalwirtschaft und primitiver Geldwirtschaft abgespielt habe, finde heute in Vorgängen zwischen entwickelter Geldwirtschaft und primitiver Kreditwirtschaft nur eine ähnliche Fortsetzung. Das erste Kapitel behandelt sodann die politische Bedeutung der Reichsfinanzreform, und zwar zunächst die Reichsfinanzreform und die äußere Politik. In letzter Beziehung wird die finanzielle Kriegs¬ bereitschaft des Reiches unter den bestehenden Verhältnissen verneint, da die Möglichkeit, die enormen, für die Führung eines modernen Krieges not¬ wendigen Geldmittel rechtzeitig und ohne unnötige Erschütterung der in jedem Kriege schwer getrosfnen heimischen Wirtschaft erhalten zu können, nicht be¬ stehe. Die Frage, ob für Deutschland im Falle eines Krieges ausländische Geldmärkte offen stehen würden, möge abhängig sein von der internationalen Konstellation, werde aber nach den im Jahre 1870 gemachten Erfahrungen für die meisten Fälle verneint werden müssen. Es werde immer dem in¬ ländischen Markt die Beschaffung des allergrößten Teils der notwendigen Mittel auferlegt werden müssen. Ob und wie die nötigen Milliarden — sei es nun im Inland oder im Ausland beschafft werden können, hängt einzig und allein von dem Kredit des Reiches ab. Dieser findet seinen Ausdruck in dem Kurse unsrer Anleihen. Wird die Kursbewegung der heimischen Anleihen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/530
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/530>, abgerufen am 12.12.2024.