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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

auf die allgemeine Lage zu der Erklärung genötigt, daß diese höfische Aufmerksam¬
keit nicht die Bedeutung haben solle, die politische Anerkennung der Königswürde
vorwegzunehmen. Trotzdem hat diese kleine Befriedigung des bulgarischen Ehrgeizes
zur Befestigung der Autorität des Fürsten Ferdinand betgetragen. Daraus darf man
wohl die Hoffnung schöpfen, daß in die bulgarisch-türkische Streitfrage keine unnötigen
Verschärfungen hineingetragen werden.

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Schwieriger sah die Lage in Serbien aus. Die grvßserbischen Wunsche waren
durch die Haltung Rußlands stark genährt worden. Die unruhigen Köpfe in Belgrad
hielten fest an der Hoffnung, doch noch mit einem Stück Land für die Enttäuschung,
die ihnen die Annexion Bosniens bereitet hatte, entschädigt zu werden Sie trieben
die serbische Stimmung gegen Österreich-Ungarn bis zur Siedehitze. Solche Erregungs¬
zustände sind auf die Dauer unmöglich; irgendwie mußte eine Lösung erfolgen, und
so wurde die Kriegsgefahr akut. Der Versuch des kleinen Königreichs mit der
Habsburgischen Monarchie anzubinden, hätte wohl wenig Eindruck gemacht, wenn
nicht die russische Presse in der leidenschaftlichsten Sprache die Verpflichtung Ru߬
lands betont hätte, in einem solchen Kriege an die Seite Serbiens zu treten Das
bedeutete aber einen Angriff Rußlands gegen Österreich-Ungarn, und dieser schloß
wiederum für Deutschland den Bündnisfall in sich. Die Russen schienen zu hoffen,
daß dann auch Frankreich an ihre Seite treten würde. Kurz und gut, ein europäischer
Krieg von unberechenbaren Dimensionen wäre zu erwarten gewesen. Und dann
war auch die Haltung Englands zweifelhaft und der türkisch-österreichische Vertrag
noch nicht perfekt Die Serben glaubten im Vertrauen auf die freundliche Politik
Rußlands und die Österreich keineswegs freundliche Stimmung in England den
Konflikt ungestraft schüren zu können. In England glaubte man in diesem Augen¬
blick, um etwas für den Frieden zu tun. aber auch Rußland und die Türkei nicht
M verletzen, einen gewissen Druck auf Österreich ausüben zu können. Das erwies
sich als unmöglich, aber Frankreich nahm den Gedanken auf, weil es durch eine
ernstlich gemeinte Friedensvermittlnng ans einer Situation herauskommen wollte,
die mehr als eine Verlegenheit für seine politischen Interessen enthielt. Der
französische Vorschlag ging dahin, daß Deutschland in Wien freundschaftliche Ein¬
wirkungen versuchen sollte, um die Streitpunkte zwischen Österreich-Ungarn und
Serbien aus der Welt zu schaffen. Serbien sollte sich dann an Stelle der terri¬
torialen Zugeständnisse mit wirtschaftlichen Vorteilen begnügen. Deutschland mußte
diesen Vorschlag ablehnen, da unsre Stellung zu Österreich-Ungarn eine solche
Intervention nur gestattet, wenn wir damit einen eignen Wunsch unsers Ver¬
bündeten erfüllen Es war erfreulich, daß Frankreich diese Gründe als stich¬
haltig anerkannte, seinen Vorschlag zurückzog und sich die deutsche Auregung zu
eigen machte, wonach ein gemeinsamer Schritt der Mächte in Belgrad mehr an¬
gebracht sein würde. Dieser Anregung lag zugleich der Gebäu e zugrunde daß
durch einen gemeinsamen Schritt der Großmächte die serbische Eigenliebe geschont
würde. Serbien würde dann nicht vor einer einzelnen Macht zurückweichen,
sondern durch ein Votum Europas veranlaßt werden, die gewünschten Kompen¬
sationen auf andern. Gebiete zu suchen als gerade in territorialen Gewinn. Und
wan wußte, daß der leitende Staatsmann in Osterreich diesem Gedanken durchaus
geneigt war. Dem von Frankreich angenommnen deutschen Vorschlage schloß sich
"und Italien an, und ebenso hielt England die Ideen für richtig, wenn es auch
Rücksicht auf Nußland nehmen wollte. Der Beitritt Rußlands zu dem Gedanken
einer freundschaftlichen Intervention in Belgrad im Sinne einer Verständigung mit
Österreich-Ungarn .und unter Fallenlassen territorialer Forderungen schien auf


Maßgebliches und Unmaßgebliches

auf die allgemeine Lage zu der Erklärung genötigt, daß diese höfische Aufmerksam¬
keit nicht die Bedeutung haben solle, die politische Anerkennung der Königswürde
vorwegzunehmen. Trotzdem hat diese kleine Befriedigung des bulgarischen Ehrgeizes
zur Befestigung der Autorität des Fürsten Ferdinand betgetragen. Daraus darf man
wohl die Hoffnung schöpfen, daß in die bulgarisch-türkische Streitfrage keine unnötigen
Verschärfungen hineingetragen werden.

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Schwieriger sah die Lage in Serbien aus. Die grvßserbischen Wunsche waren
durch die Haltung Rußlands stark genährt worden. Die unruhigen Köpfe in Belgrad
hielten fest an der Hoffnung, doch noch mit einem Stück Land für die Enttäuschung,
die ihnen die Annexion Bosniens bereitet hatte, entschädigt zu werden Sie trieben
die serbische Stimmung gegen Österreich-Ungarn bis zur Siedehitze. Solche Erregungs¬
zustände sind auf die Dauer unmöglich; irgendwie mußte eine Lösung erfolgen, und
so wurde die Kriegsgefahr akut. Der Versuch des kleinen Königreichs mit der
Habsburgischen Monarchie anzubinden, hätte wohl wenig Eindruck gemacht, wenn
nicht die russische Presse in der leidenschaftlichsten Sprache die Verpflichtung Ru߬
lands betont hätte, in einem solchen Kriege an die Seite Serbiens zu treten Das
bedeutete aber einen Angriff Rußlands gegen Österreich-Ungarn, und dieser schloß
wiederum für Deutschland den Bündnisfall in sich. Die Russen schienen zu hoffen,
daß dann auch Frankreich an ihre Seite treten würde. Kurz und gut, ein europäischer
Krieg von unberechenbaren Dimensionen wäre zu erwarten gewesen. Und dann
war auch die Haltung Englands zweifelhaft und der türkisch-österreichische Vertrag
noch nicht perfekt Die Serben glaubten im Vertrauen auf die freundliche Politik
Rußlands und die Österreich keineswegs freundliche Stimmung in England den
Konflikt ungestraft schüren zu können. In England glaubte man in diesem Augen¬
blick, um etwas für den Frieden zu tun. aber auch Rußland und die Türkei nicht
M verletzen, einen gewissen Druck auf Österreich ausüben zu können. Das erwies
sich als unmöglich, aber Frankreich nahm den Gedanken auf, weil es durch eine
ernstlich gemeinte Friedensvermittlnng ans einer Situation herauskommen wollte,
die mehr als eine Verlegenheit für seine politischen Interessen enthielt. Der
französische Vorschlag ging dahin, daß Deutschland in Wien freundschaftliche Ein¬
wirkungen versuchen sollte, um die Streitpunkte zwischen Österreich-Ungarn und
Serbien aus der Welt zu schaffen. Serbien sollte sich dann an Stelle der terri¬
torialen Zugeständnisse mit wirtschaftlichen Vorteilen begnügen. Deutschland mußte
diesen Vorschlag ablehnen, da unsre Stellung zu Österreich-Ungarn eine solche
Intervention nur gestattet, wenn wir damit einen eignen Wunsch unsers Ver¬
bündeten erfüllen Es war erfreulich, daß Frankreich diese Gründe als stich¬
haltig anerkannte, seinen Vorschlag zurückzog und sich die deutsche Auregung zu
eigen machte, wonach ein gemeinsamer Schritt der Mächte in Belgrad mehr an¬
gebracht sein würde. Dieser Anregung lag zugleich der Gebäu e zugrunde daß
durch einen gemeinsamen Schritt der Großmächte die serbische Eigenliebe geschont
würde. Serbien würde dann nicht vor einer einzelnen Macht zurückweichen,
sondern durch ein Votum Europas veranlaßt werden, die gewünschten Kompen¬
sationen auf andern. Gebiete zu suchen als gerade in territorialen Gewinn. Und
wan wußte, daß der leitende Staatsmann in Osterreich diesem Gedanken durchaus
geneigt war. Dem von Frankreich angenommnen deutschen Vorschlage schloß sich
"und Italien an, und ebenso hielt England die Ideen für richtig, wenn es auch
Rücksicht auf Nußland nehmen wollte. Der Beitritt Rußlands zu dem Gedanken
einer freundschaftlichen Intervention in Belgrad im Sinne einer Verständigung mit
Österreich-Ungarn .und unter Fallenlassen territorialer Forderungen schien auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/525>, abgerufen am 12.12.2024.