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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung

Maße -- auch in der äußern Ordnung der Geschäfte, also in Unterricht und
Erziehung zunächst, einigermaßen aber auch in der Verwaltung. Die zunehmende
Neigung, mit vorgeschriebnen Formularen zu arbeiten, ist zweifellos praktisch!
das erleichtert das Regieren und befördert die Routine. Aber mit Regiment
und Routine allein ist der Aufgabe der Erziehung, vollends der Erziehung zur
Persönlichkeit nicht gedient. Denn -- es muß wiederholt werden -- zur Per¬
sönlichkeit kann nur der erziehen, der selber eine Persönlichkeit sein darf und
eine Persönlichkeit ist.

Überschauen wir den beschränkten Kreis der Gedanken, die im Vorstehenden
entwickelt worden sind, so gelangen wir zu einem Ergebnis, das sich dem
denkenden Beobachter auch sonst aufdrängt, und dem zum Schluß noch Aus¬
druck gegeben werden soll. Ein ernstes Streben nach hohen Zielen ist auf dem
Gebiete der Volkserziehung heutzutage unverkennbar. Aber es scheint doch eine
gewisse Gefahr vorhanden, daß es sich seine Kraft schwächt in zersplitternder
Mannigfaltigkeit und daneben ausschöpft in vielen und großen Worten, denen
der innere Gehalt und die dauernde Lebenskraft fehlen. Denn vielfach tritt ein
auffälliger Widerspruch hervor zwischen Wort und Tat, zwischen Ziel und
Weg, zwischen Idee und Wirklichkeit: man ruft nach Entlastung der Schüler
und häuft immer eine Last auf die andre; man predigt stärkere Betonung der
Eigenart für die verschiednen Bildungswege und vermischt und verflicht sie
immer enger miteinander, man verlangt stete Verbesserung der Methode und
mißachtet den, der das unverläßliche Werkzeug ist -- und mehr als das -- zur
Handhabung der Methode. So erhebt man auch den Ruf nach Erziehung zur
Persönlichkeit durch die Schule und hemmt den Erzieher selber in der freien
Gestaltung und Auswirkung der eignen menschlichen und beruflichen Persön-
sönlichkeit. Darin liegt die Gefahr der Veräußerlichung, noch mehr, der Phrase,
man hört daraus den vernehmbaren Anklang eines gewissen Geistesprotzen-
tums, von dem auch sonst Spuren in unserm deutschen Volksleben von heut¬
zutage für eine tiefere Beobachtung nicht fehlen.

Wohl dürfen wir mit dem geistreichsten aller Geschichtschreiber von uns
sagen: <xt^oc>OPo5/<co övev wir streben nach wissenschaftlicher Bildung,
ohne deswegen zu erschlaffen. Mögen wir auch die andre Hälfte des Wortes
auf uns anwenden können: ^e?/ e^,.e^et"L, mit Bescheidenheit
und mit schlichtem Sinne suchen wir zum Guten und Schönen zu gelangen.
Denn nicht in Sturm und Wetter, nicht mit Sphärenmusik und Donncrgcmg,
wie die aufgehende Sonne beim Dichter, nein! mit sanftem, stillem Säuseln,
mit leisem Schritte, wie das nahende Morgenrot hat von jeher das wahrhaft
Große seinen ersten Einzug in die Geistesgeschichte der Menschheit gehalten.


Aarl hirzel


Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung

Maße — auch in der äußern Ordnung der Geschäfte, also in Unterricht und
Erziehung zunächst, einigermaßen aber auch in der Verwaltung. Die zunehmende
Neigung, mit vorgeschriebnen Formularen zu arbeiten, ist zweifellos praktisch!
das erleichtert das Regieren und befördert die Routine. Aber mit Regiment
und Routine allein ist der Aufgabe der Erziehung, vollends der Erziehung zur
Persönlichkeit nicht gedient. Denn — es muß wiederholt werden — zur Per¬
sönlichkeit kann nur der erziehen, der selber eine Persönlichkeit sein darf und
eine Persönlichkeit ist.

Überschauen wir den beschränkten Kreis der Gedanken, die im Vorstehenden
entwickelt worden sind, so gelangen wir zu einem Ergebnis, das sich dem
denkenden Beobachter auch sonst aufdrängt, und dem zum Schluß noch Aus¬
druck gegeben werden soll. Ein ernstes Streben nach hohen Zielen ist auf dem
Gebiete der Volkserziehung heutzutage unverkennbar. Aber es scheint doch eine
gewisse Gefahr vorhanden, daß es sich seine Kraft schwächt in zersplitternder
Mannigfaltigkeit und daneben ausschöpft in vielen und großen Worten, denen
der innere Gehalt und die dauernde Lebenskraft fehlen. Denn vielfach tritt ein
auffälliger Widerspruch hervor zwischen Wort und Tat, zwischen Ziel und
Weg, zwischen Idee und Wirklichkeit: man ruft nach Entlastung der Schüler
und häuft immer eine Last auf die andre; man predigt stärkere Betonung der
Eigenart für die verschiednen Bildungswege und vermischt und verflicht sie
immer enger miteinander, man verlangt stete Verbesserung der Methode und
mißachtet den, der das unverläßliche Werkzeug ist — und mehr als das — zur
Handhabung der Methode. So erhebt man auch den Ruf nach Erziehung zur
Persönlichkeit durch die Schule und hemmt den Erzieher selber in der freien
Gestaltung und Auswirkung der eignen menschlichen und beruflichen Persön-
sönlichkeit. Darin liegt die Gefahr der Veräußerlichung, noch mehr, der Phrase,
man hört daraus den vernehmbaren Anklang eines gewissen Geistesprotzen-
tums, von dem auch sonst Spuren in unserm deutschen Volksleben von heut¬
zutage für eine tiefere Beobachtung nicht fehlen.

Wohl dürfen wir mit dem geistreichsten aller Geschichtschreiber von uns
sagen: <xt^oc>OPo5/<co övev wir streben nach wissenschaftlicher Bildung,
ohne deswegen zu erschlaffen. Mögen wir auch die andre Hälfte des Wortes
auf uns anwenden können: ^e?/ e^,.e^et«L, mit Bescheidenheit
und mit schlichtem Sinne suchen wir zum Guten und Schönen zu gelangen.
Denn nicht in Sturm und Wetter, nicht mit Sphärenmusik und Donncrgcmg,
wie die aufgehende Sonne beim Dichter, nein! mit sanftem, stillem Säuseln,
mit leisem Schritte, wie das nahende Morgenrot hat von jeher das wahrhaft
Große seinen ersten Einzug in die Geistesgeschichte der Menschheit gehalten.


Aarl hirzel


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[0400] Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung Maße — auch in der äußern Ordnung der Geschäfte, also in Unterricht und Erziehung zunächst, einigermaßen aber auch in der Verwaltung. Die zunehmende Neigung, mit vorgeschriebnen Formularen zu arbeiten, ist zweifellos praktisch! das erleichtert das Regieren und befördert die Routine. Aber mit Regiment und Routine allein ist der Aufgabe der Erziehung, vollends der Erziehung zur Persönlichkeit nicht gedient. Denn — es muß wiederholt werden — zur Per¬ sönlichkeit kann nur der erziehen, der selber eine Persönlichkeit sein darf und eine Persönlichkeit ist. Überschauen wir den beschränkten Kreis der Gedanken, die im Vorstehenden entwickelt worden sind, so gelangen wir zu einem Ergebnis, das sich dem denkenden Beobachter auch sonst aufdrängt, und dem zum Schluß noch Aus¬ druck gegeben werden soll. Ein ernstes Streben nach hohen Zielen ist auf dem Gebiete der Volkserziehung heutzutage unverkennbar. Aber es scheint doch eine gewisse Gefahr vorhanden, daß es sich seine Kraft schwächt in zersplitternder Mannigfaltigkeit und daneben ausschöpft in vielen und großen Worten, denen der innere Gehalt und die dauernde Lebenskraft fehlen. Denn vielfach tritt ein auffälliger Widerspruch hervor zwischen Wort und Tat, zwischen Ziel und Weg, zwischen Idee und Wirklichkeit: man ruft nach Entlastung der Schüler und häuft immer eine Last auf die andre; man predigt stärkere Betonung der Eigenart für die verschiednen Bildungswege und vermischt und verflicht sie immer enger miteinander, man verlangt stete Verbesserung der Methode und mißachtet den, der das unverläßliche Werkzeug ist — und mehr als das — zur Handhabung der Methode. So erhebt man auch den Ruf nach Erziehung zur Persönlichkeit durch die Schule und hemmt den Erzieher selber in der freien Gestaltung und Auswirkung der eignen menschlichen und beruflichen Persön- sönlichkeit. Darin liegt die Gefahr der Veräußerlichung, noch mehr, der Phrase, man hört daraus den vernehmbaren Anklang eines gewissen Geistesprotzen- tums, von dem auch sonst Spuren in unserm deutschen Volksleben von heut¬ zutage für eine tiefere Beobachtung nicht fehlen. Wohl dürfen wir mit dem geistreichsten aller Geschichtschreiber von uns sagen: <xt^oc>OPo5/<co övev wir streben nach wissenschaftlicher Bildung, ohne deswegen zu erschlaffen. Mögen wir auch die andre Hälfte des Wortes auf uns anwenden können: ^e?/ e^,.e^et«L, mit Bescheidenheit und mit schlichtem Sinne suchen wir zum Guten und Schönen zu gelangen. Denn nicht in Sturm und Wetter, nicht mit Sphärenmusik und Donncrgcmg, wie die aufgehende Sonne beim Dichter, nein! mit sanftem, stillem Säuseln, mit leisem Schritte, wie das nahende Morgenrot hat von jeher das wahrhaft Große seinen ersten Einzug in die Geistesgeschichte der Menschheit gehalten. Aarl hirzel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/400>, abgerufen am 23.07.2024.