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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari

hin. Roger, der ja außerdem auch uoch die byzantinische Niellotechnik bei den
figürlichen Darstellungen auf dem rechten Türflügel verwendet, ist deshalb
ebensowenig wie Barisano der Vertreter einer rein apulischen Kunstrichtung
gewesen. Ist doch die apulische Kunst infolge ihrer Bereitwilligkeit, fremde
Elemente der verschiedensten Art in sich aufzunehmen, ohne sie zu selbständigen
Gebilden verarbeiten zu können, überhaupt nie zu einer nationalen im heutigen
Sinne geworden! Nur nach einer Richtung hin trat sie fast als Vorläuferin
der Frührenaissance auf; doch haben diese vielversprechenden Anfänge keine
weitere Entwicklung erfahren und daher auch keinen bestimmenden Einfluß auf
die spätere Kunst Italiens ausgeübt. Es finden sich nämlich zuweilen an den
Gesimsen, Kragsteinen und Süulenkapitellen der Kirchen Köpfe antiken Aus¬
sehens, hier archaistisch und schlecht modelliert, wie an dem Rundbogen der
Kathedrale von Monopoli oder an Kapitellen im Dom von Molfetta, dort
von hoher, klassischer Schönheit, wie am Kranzgesims des Doms zu Ruvo
oder am Ciborium von San Nicola zu Bari. Diese überraschende Erscheinung
ist zum Teil wohl mit Recht auf den übermächtigen Einfluß der so gewaltigen
Persönlichkeit Kaiser Friedrichs des Zweiten zurückgeführt worden, der ja auch
bei seinen Bauten, besonders bei den von ihm selbst entworfnen Schlössern
von Capua und Castel del Monte (vgl. Grenzboten 1906, Ur. 37, S. 564)
trotz der stark vorwaltenden Gotik immer wieder die Rückkehr zur Antike suchte.
Doch dürfte ihm darin auch der von alters her im Volke lebendige Sinn für
klassische Formen entgegengekommen sein. Man sehe sich daraufhin nur bei¬
spielsweise eine der wenigen aus dem Mittelalter erhaltnen Kanzeln in jenem
Landstrich an, und zwar etwa die im elften Jahrhundert entstandne im Dom
zu Canosa. Wie rein ist in dieser schlichten, feinen Marmorarbeit, der schönen
Profilierung der Säulen samt der Brüstungsmauer und der maßvollen Durch¬
führung des Ornaments das antike Schönheitsideal gewahrt geblieben! Auch
die kleinen Engelköpfchen, die mit ihrem verführerischen Aphroditelächeln von
den Kapitellen des Ciboriums von San Nicola heruntergrüßen, gehören, wie
dieses selbst, einer frühern Zeit, dem zwölften Jahrhundert, an. Leider wissen
wir nicht, wer dieses Meisterwerk mittelalterlicher Kunst geschaffen hat, das
vorbildlich nicht nur für die Ciborien in der Terra ti Bari sondern auch in
Dalmatien geworden ist. Erhebt sich doch dort über dem Hochaltar der Dome
zu Trau und Cattciro das gleiche, von vier Säulen getragne, offne Tempelchen
mit dem säulendurchbrochnen, laternenartigen Aufbau, wenn auch in etwas
schlankern Formen. Nur der originelle Kapitellschmuck von San Nicola, jene
reizenden Köpfchen, kehren nicht wieder. Es kann keinem Zweifel unterliegen,
daß ihnen, wie den Köpfen an den Domen zu Ruvo, Molfetta, Monopoli,
ein bestimmtes Modell zugrunde liegt. Und jeder, der heute die Museen zu
Ruvo oder Bari mit ihren Sammlungen griechischer Vasen durchwandert, die
man besonders in der Umgebung von Ruvo schon seit dem zwölften Jahr¬
hundert aus der Erde grub, der wird auf den ersten Blick erkennen, daß jener
Schmuck in seiner klassischen Schönheit dem Studium jener Vasen entstammt,
an denen dieselben lächelnden Nike- und Aphroditeköpfchen so häufig als Henkcl-
zierde auftreten. Und solche Werke sind in Apulien schon zu einer Zeit ent¬
standen, wo das übrige Italien meist noch zwischen der Darstellung des roh
Grotesken und der gedankenlosen Wiederholung altüberlieferter Kunstweisen
schwankte. Die Gotik, die in Italien ja schließlich nichts weiter als eine Vor¬
läuferin der Frührenaissance ist, fand daher, als sie unter Friedrich dem Zweiten
in Apulien ihren Einzug hielt, für ihre frische, auf lebendiger Naturanschauung


Grenzboten I 1909 47
Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari

hin. Roger, der ja außerdem auch uoch die byzantinische Niellotechnik bei den
figürlichen Darstellungen auf dem rechten Türflügel verwendet, ist deshalb
ebensowenig wie Barisano der Vertreter einer rein apulischen Kunstrichtung
gewesen. Ist doch die apulische Kunst infolge ihrer Bereitwilligkeit, fremde
Elemente der verschiedensten Art in sich aufzunehmen, ohne sie zu selbständigen
Gebilden verarbeiten zu können, überhaupt nie zu einer nationalen im heutigen
Sinne geworden! Nur nach einer Richtung hin trat sie fast als Vorläuferin
der Frührenaissance auf; doch haben diese vielversprechenden Anfänge keine
weitere Entwicklung erfahren und daher auch keinen bestimmenden Einfluß auf
die spätere Kunst Italiens ausgeübt. Es finden sich nämlich zuweilen an den
Gesimsen, Kragsteinen und Süulenkapitellen der Kirchen Köpfe antiken Aus¬
sehens, hier archaistisch und schlecht modelliert, wie an dem Rundbogen der
Kathedrale von Monopoli oder an Kapitellen im Dom von Molfetta, dort
von hoher, klassischer Schönheit, wie am Kranzgesims des Doms zu Ruvo
oder am Ciborium von San Nicola zu Bari. Diese überraschende Erscheinung
ist zum Teil wohl mit Recht auf den übermächtigen Einfluß der so gewaltigen
Persönlichkeit Kaiser Friedrichs des Zweiten zurückgeführt worden, der ja auch
bei seinen Bauten, besonders bei den von ihm selbst entworfnen Schlössern
von Capua und Castel del Monte (vgl. Grenzboten 1906, Ur. 37, S. 564)
trotz der stark vorwaltenden Gotik immer wieder die Rückkehr zur Antike suchte.
Doch dürfte ihm darin auch der von alters her im Volke lebendige Sinn für
klassische Formen entgegengekommen sein. Man sehe sich daraufhin nur bei¬
spielsweise eine der wenigen aus dem Mittelalter erhaltnen Kanzeln in jenem
Landstrich an, und zwar etwa die im elften Jahrhundert entstandne im Dom
zu Canosa. Wie rein ist in dieser schlichten, feinen Marmorarbeit, der schönen
Profilierung der Säulen samt der Brüstungsmauer und der maßvollen Durch¬
führung des Ornaments das antike Schönheitsideal gewahrt geblieben! Auch
die kleinen Engelköpfchen, die mit ihrem verführerischen Aphroditelächeln von
den Kapitellen des Ciboriums von San Nicola heruntergrüßen, gehören, wie
dieses selbst, einer frühern Zeit, dem zwölften Jahrhundert, an. Leider wissen
wir nicht, wer dieses Meisterwerk mittelalterlicher Kunst geschaffen hat, das
vorbildlich nicht nur für die Ciborien in der Terra ti Bari sondern auch in
Dalmatien geworden ist. Erhebt sich doch dort über dem Hochaltar der Dome
zu Trau und Cattciro das gleiche, von vier Säulen getragne, offne Tempelchen
mit dem säulendurchbrochnen, laternenartigen Aufbau, wenn auch in etwas
schlankern Formen. Nur der originelle Kapitellschmuck von San Nicola, jene
reizenden Köpfchen, kehren nicht wieder. Es kann keinem Zweifel unterliegen,
daß ihnen, wie den Köpfen an den Domen zu Ruvo, Molfetta, Monopoli,
ein bestimmtes Modell zugrunde liegt. Und jeder, der heute die Museen zu
Ruvo oder Bari mit ihren Sammlungen griechischer Vasen durchwandert, die
man besonders in der Umgebung von Ruvo schon seit dem zwölften Jahr¬
hundert aus der Erde grub, der wird auf den ersten Blick erkennen, daß jener
Schmuck in seiner klassischen Schönheit dem Studium jener Vasen entstammt,
an denen dieselben lächelnden Nike- und Aphroditeköpfchen so häufig als Henkcl-
zierde auftreten. Und solche Werke sind in Apulien schon zu einer Zeit ent¬
standen, wo das übrige Italien meist noch zwischen der Darstellung des roh
Grotesken und der gedankenlosen Wiederholung altüberlieferter Kunstweisen
schwankte. Die Gotik, die in Italien ja schließlich nichts weiter als eine Vor¬
läuferin der Frührenaissance ist, fand daher, als sie unter Friedrich dem Zweiten
in Apulien ihren Einzug hielt, für ihre frische, auf lebendiger Naturanschauung


Grenzboten I 1909 47
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/365>, abgerufen am 12.12.2024.