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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die NormmsntA 6si'eng,mas distorioa in den höhern Schulen

längst bereitgestellt worden. Aber es sind ja bloß Deutsche, die hier an der
Elbe und Elster mit den Wenden gerungen haben, nicht etwa Römer,
Karthager oder andre heidnische Völker aus der alten Geschichte!

Über die Belagerung und Zerstörung der Feste Sagunt in Spanien durch
Hannibal im Jahre 219 v. Chr. weiß selbstverständlich jeder Schüler die ge¬
nauste Auskunft zu geben: aber wie wenige von den Tausenden der Schüler
in Berlin werden überhaupt jemals den Namen Liubusua gehört haben, viel
weniger dorthin gekommen sein, trotzdem es fast vor den Toren liegt! Doch
das ist nur ein Beispiel für viele, die sich allerorten in deutschen Landen
aufzählen und finden lassen. Man darf überzeugt sein, daß die Schüler mit
Begeisterung und Verständnis die deutschen Geschichtsquellen lesen würden,
wenn diese in derselben gründlichen Weise wie die der Römer und Griechen
durchgenommen und besprochen würden. Wenn dann noch bei Gelegenheit
einer Turnfahrt oder zur Feier des Sedcmtages eine solche in der Nähe
liegende geschichtliche Stätte von den Schülern und dem Lehrer aufgesucht
und an Ort und Stelle das Gelesene erklärt und näher erläutert, vielleicht
auch mit dem Spaten ein wenig gearbeitet würde, so müßte man an unsrer
Jugend verzweifeln, wenn sie keine Liebe für die heimische Geschichte erwürbe
und von der Schulbank ins Leben mit hinausnähme.

Man wird einwenden, daß das mittelalterliche Mönchslatein den klassischen
Schriftstellern der Alten gegenüber minderwertig und deshalb für die Schule
nicht verwendbar sei, wo nur rein klassisches Latein und Griechisch gelehrt
würde. Darauf ist zu erwidern, daß jetzt, wo die alten Sprachen sehr be¬
schränkt worden sind, nur die wenigsten Schüler noch diese Sprachen voll¬
ständig beherrschen lernen, und falls sie sie beherrschen, kann ihnen das
mittelalterliche Latein keinen Schaden mehr tun. Es ist dann im Gegenteil
lehrreich, wenn sie die Veränderungen und Auswüchse, denen ja jede Sprache
unterworfen ist, auch einmal an der lateinischen kennen lernen. Sie können
gerade an der Lektüre der mittelalterlichen Quellen den Verfall beobachten,
dem die Sprache im Laufe der Jahrhunderte immer mehr entgegengegangen
ist, bis sie schließlich zur Zeit des Humanismus zu neuem Leben erwachte.
Überdies wird zu beachten sein, daß schon das Oorpusjuris und die Kirchen¬
väter nicht mehr in dem alten klassischen Latein abgefaßt sind; die künftigen
Juristen und Theologen müssen sich also ohnehin bei den Studien auf der
Universität mit dem spätern Sprachgebrauch bekannt machen, ganz zu schweigen
von den Medizinern, deren lateinische Wortbildung willkürlich und nichts weniger
als klassisch ist.

Schließlich kaun auch zugunsten der alten Schriftsteller nicht ins Feld
geführt werden, daß durch das klassische straffe Latein mit seinen zwingenden
Konstruktionen, seinem festen Satzbau und Periodenaufbau zugleich das folge¬
richtige Denken bei den Schülern geübt und durch Auflösung der Sätze die
deutsche Sprache gefördert würde. Daß es bei unsern Gelehrten, Beamten


Die NormmsntA 6si'eng,mas distorioa in den höhern Schulen

längst bereitgestellt worden. Aber es sind ja bloß Deutsche, die hier an der
Elbe und Elster mit den Wenden gerungen haben, nicht etwa Römer,
Karthager oder andre heidnische Völker aus der alten Geschichte!

Über die Belagerung und Zerstörung der Feste Sagunt in Spanien durch
Hannibal im Jahre 219 v. Chr. weiß selbstverständlich jeder Schüler die ge¬
nauste Auskunft zu geben: aber wie wenige von den Tausenden der Schüler
in Berlin werden überhaupt jemals den Namen Liubusua gehört haben, viel
weniger dorthin gekommen sein, trotzdem es fast vor den Toren liegt! Doch
das ist nur ein Beispiel für viele, die sich allerorten in deutschen Landen
aufzählen und finden lassen. Man darf überzeugt sein, daß die Schüler mit
Begeisterung und Verständnis die deutschen Geschichtsquellen lesen würden,
wenn diese in derselben gründlichen Weise wie die der Römer und Griechen
durchgenommen und besprochen würden. Wenn dann noch bei Gelegenheit
einer Turnfahrt oder zur Feier des Sedcmtages eine solche in der Nähe
liegende geschichtliche Stätte von den Schülern und dem Lehrer aufgesucht
und an Ort und Stelle das Gelesene erklärt und näher erläutert, vielleicht
auch mit dem Spaten ein wenig gearbeitet würde, so müßte man an unsrer
Jugend verzweifeln, wenn sie keine Liebe für die heimische Geschichte erwürbe
und von der Schulbank ins Leben mit hinausnähme.

Man wird einwenden, daß das mittelalterliche Mönchslatein den klassischen
Schriftstellern der Alten gegenüber minderwertig und deshalb für die Schule
nicht verwendbar sei, wo nur rein klassisches Latein und Griechisch gelehrt
würde. Darauf ist zu erwidern, daß jetzt, wo die alten Sprachen sehr be¬
schränkt worden sind, nur die wenigsten Schüler noch diese Sprachen voll¬
ständig beherrschen lernen, und falls sie sie beherrschen, kann ihnen das
mittelalterliche Latein keinen Schaden mehr tun. Es ist dann im Gegenteil
lehrreich, wenn sie die Veränderungen und Auswüchse, denen ja jede Sprache
unterworfen ist, auch einmal an der lateinischen kennen lernen. Sie können
gerade an der Lektüre der mittelalterlichen Quellen den Verfall beobachten,
dem die Sprache im Laufe der Jahrhunderte immer mehr entgegengegangen
ist, bis sie schließlich zur Zeit des Humanismus zu neuem Leben erwachte.
Überdies wird zu beachten sein, daß schon das Oorpusjuris und die Kirchen¬
väter nicht mehr in dem alten klassischen Latein abgefaßt sind; die künftigen
Juristen und Theologen müssen sich also ohnehin bei den Studien auf der
Universität mit dem spätern Sprachgebrauch bekannt machen, ganz zu schweigen
von den Medizinern, deren lateinische Wortbildung willkürlich und nichts weniger
als klassisch ist.

Schließlich kaun auch zugunsten der alten Schriftsteller nicht ins Feld
geführt werden, daß durch das klassische straffe Latein mit seinen zwingenden
Konstruktionen, seinem festen Satzbau und Periodenaufbau zugleich das folge¬
richtige Denken bei den Schülern geübt und durch Auflösung der Sätze die
deutsche Sprache gefördert würde. Daß es bei unsern Gelehrten, Beamten


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[0359] Die NormmsntA 6si'eng,mas distorioa in den höhern Schulen längst bereitgestellt worden. Aber es sind ja bloß Deutsche, die hier an der Elbe und Elster mit den Wenden gerungen haben, nicht etwa Römer, Karthager oder andre heidnische Völker aus der alten Geschichte! Über die Belagerung und Zerstörung der Feste Sagunt in Spanien durch Hannibal im Jahre 219 v. Chr. weiß selbstverständlich jeder Schüler die ge¬ nauste Auskunft zu geben: aber wie wenige von den Tausenden der Schüler in Berlin werden überhaupt jemals den Namen Liubusua gehört haben, viel weniger dorthin gekommen sein, trotzdem es fast vor den Toren liegt! Doch das ist nur ein Beispiel für viele, die sich allerorten in deutschen Landen aufzählen und finden lassen. Man darf überzeugt sein, daß die Schüler mit Begeisterung und Verständnis die deutschen Geschichtsquellen lesen würden, wenn diese in derselben gründlichen Weise wie die der Römer und Griechen durchgenommen und besprochen würden. Wenn dann noch bei Gelegenheit einer Turnfahrt oder zur Feier des Sedcmtages eine solche in der Nähe liegende geschichtliche Stätte von den Schülern und dem Lehrer aufgesucht und an Ort und Stelle das Gelesene erklärt und näher erläutert, vielleicht auch mit dem Spaten ein wenig gearbeitet würde, so müßte man an unsrer Jugend verzweifeln, wenn sie keine Liebe für die heimische Geschichte erwürbe und von der Schulbank ins Leben mit hinausnähme. Man wird einwenden, daß das mittelalterliche Mönchslatein den klassischen Schriftstellern der Alten gegenüber minderwertig und deshalb für die Schule nicht verwendbar sei, wo nur rein klassisches Latein und Griechisch gelehrt würde. Darauf ist zu erwidern, daß jetzt, wo die alten Sprachen sehr be¬ schränkt worden sind, nur die wenigsten Schüler noch diese Sprachen voll¬ ständig beherrschen lernen, und falls sie sie beherrschen, kann ihnen das mittelalterliche Latein keinen Schaden mehr tun. Es ist dann im Gegenteil lehrreich, wenn sie die Veränderungen und Auswüchse, denen ja jede Sprache unterworfen ist, auch einmal an der lateinischen kennen lernen. Sie können gerade an der Lektüre der mittelalterlichen Quellen den Verfall beobachten, dem die Sprache im Laufe der Jahrhunderte immer mehr entgegengegangen ist, bis sie schließlich zur Zeit des Humanismus zu neuem Leben erwachte. Überdies wird zu beachten sein, daß schon das Oorpusjuris und die Kirchen¬ väter nicht mehr in dem alten klassischen Latein abgefaßt sind; die künftigen Juristen und Theologen müssen sich also ohnehin bei den Studien auf der Universität mit dem spätern Sprachgebrauch bekannt machen, ganz zu schweigen von den Medizinern, deren lateinische Wortbildung willkürlich und nichts weniger als klassisch ist. Schließlich kaun auch zugunsten der alten Schriftsteller nicht ins Feld geführt werden, daß durch das klassische straffe Latein mit seinen zwingenden Konstruktionen, seinem festen Satzbau und Periodenaufbau zugleich das folge¬ richtige Denken bei den Schülern geübt und durch Auflösung der Sätze die deutsche Sprache gefördert würde. Daß es bei unsern Gelehrten, Beamten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/359>, abgerufen am 23.07.2024.