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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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tvas können wir von Japan lernen?

Wird er verständlich, wenn wir uns in den Gedankengang des Samurais
über Ehrverletzung hineinversetzen. Der Japaner verlegt wie die Griechen
den Sitz des Lebens in die Bauchhöhle und will dieses mit Sicherheit
treffen. Nun ist diese Zeremonie des Selbstmordes gar nicht so einfach,
sondern recht umständlich und sehr schmerzhaft, sie kann nur bei voller Über¬
legung ausgeführt werden, das will der Samurai gerade, denn nur dadurch
kann er den größten Mut und die äußerste Selbstbeherrschung beweisen; man
soll sich eben nicht mit einer Pille Arsenik oder einer Pistolenkugel "aus dem
Leben stehlen", sondern jeder Schritt des Unternehmens soll von klarem Be¬
wußtsein zeugen: Selbstbeherrschung in der höchsten Potenz, das ist die
Vollendung der Ehrenanschauung.

Seppuku beging der edle Japaner, um ein Vergehen zu sühnen, auch
konnte früher der Gerichtshof darauf erkennen. Aber auch der unschuldig
Angeklagte beging oft Selbstmord, um zu zeigen, wie verächtlich ihm jenes
Ding, um das man ihn beschuldigt, war, wie wenig er das Leben, wie hoch
er seine Ehre einschätzte. Der umständliche "Tod auf der Matte" wurde
dann auch dem auf dem Schlachtfelde nahezu gleichgestellt. Es hieß von dem
Entleibten: "Er hat nichts vermieden, was der Mut erfordert." Wenn man
von diesem Standpunkt aus die Selbstentleibung betrachtet, so wird man
volles Verständnis dafür gewinnen können und ihr die Zubilligung einer
heroischen Großartigkeit der Anschauung von Leben und Ehre nicht versagen
können. Nach diesen Grundsätzen erzog Japan sein Volk und sein Heer. Die
Samurais trugen diese Auffassung in das ganze gebildete Volk, und mit
staatsmännischer Weisheit gab die Erziehung in Haus und Schule die breite
Grundlage, in der echte Soldatentugend, Liebe zum Kampf, Todesverachtung,
Treue zum Vaterland und Nationalstolz wurzeln konnten.

Immer und immer werden ritterliche Taten der Sage und der Geschichte,
an denen Japan so unendlich reich ist, als nachahmenswerte Vorbilder für
die jüngste wie auch für die heranwachsende Jugend hingestellt. Hier als
Beispiel eine für viele, ist die Geschichte der 47 Ronins*) (Ronin -- ver¬
lumptes, ehrloses Gesindel). Ein kleiner Fürst Asano Nagaroni wurde bei
einer Audienz am kaiserlichen Hofe von dem Höfling Aoshihide beleidigt und
zog das Schwert. Wegen dieses Vergehens gegen die Hofetikette zum Tode
verurteilt, mußte er sich selbst entleihen. Die 47 Samurais dieses Fürsten
mußten dem Bushido gemäß den Tod ihres Fürsten rächen, sonst wären sie
in den Augen ganz Japans ehrlose Schurken gewesen. Diese Rache war
nicht leicht, denn Uoshihide kannte natürlich die Sitte und den Fanatismus
der Zweischwertermänner, die keine Furcht vor Strafe, Wunden oder Tod von
ihrem Vorhaben abgebracht hätte.



*) Nach Hugo v. d. Bergh.
Grenzboten I 1909 4
tvas können wir von Japan lernen?

Wird er verständlich, wenn wir uns in den Gedankengang des Samurais
über Ehrverletzung hineinversetzen. Der Japaner verlegt wie die Griechen
den Sitz des Lebens in die Bauchhöhle und will dieses mit Sicherheit
treffen. Nun ist diese Zeremonie des Selbstmordes gar nicht so einfach,
sondern recht umständlich und sehr schmerzhaft, sie kann nur bei voller Über¬
legung ausgeführt werden, das will der Samurai gerade, denn nur dadurch
kann er den größten Mut und die äußerste Selbstbeherrschung beweisen; man
soll sich eben nicht mit einer Pille Arsenik oder einer Pistolenkugel „aus dem
Leben stehlen", sondern jeder Schritt des Unternehmens soll von klarem Be¬
wußtsein zeugen: Selbstbeherrschung in der höchsten Potenz, das ist die
Vollendung der Ehrenanschauung.

Seppuku beging der edle Japaner, um ein Vergehen zu sühnen, auch
konnte früher der Gerichtshof darauf erkennen. Aber auch der unschuldig
Angeklagte beging oft Selbstmord, um zu zeigen, wie verächtlich ihm jenes
Ding, um das man ihn beschuldigt, war, wie wenig er das Leben, wie hoch
er seine Ehre einschätzte. Der umständliche „Tod auf der Matte" wurde
dann auch dem auf dem Schlachtfelde nahezu gleichgestellt. Es hieß von dem
Entleibten: „Er hat nichts vermieden, was der Mut erfordert." Wenn man
von diesem Standpunkt aus die Selbstentleibung betrachtet, so wird man
volles Verständnis dafür gewinnen können und ihr die Zubilligung einer
heroischen Großartigkeit der Anschauung von Leben und Ehre nicht versagen
können. Nach diesen Grundsätzen erzog Japan sein Volk und sein Heer. Die
Samurais trugen diese Auffassung in das ganze gebildete Volk, und mit
staatsmännischer Weisheit gab die Erziehung in Haus und Schule die breite
Grundlage, in der echte Soldatentugend, Liebe zum Kampf, Todesverachtung,
Treue zum Vaterland und Nationalstolz wurzeln konnten.

Immer und immer werden ritterliche Taten der Sage und der Geschichte,
an denen Japan so unendlich reich ist, als nachahmenswerte Vorbilder für
die jüngste wie auch für die heranwachsende Jugend hingestellt. Hier als
Beispiel eine für viele, ist die Geschichte der 47 Ronins*) (Ronin — ver¬
lumptes, ehrloses Gesindel). Ein kleiner Fürst Asano Nagaroni wurde bei
einer Audienz am kaiserlichen Hofe von dem Höfling Aoshihide beleidigt und
zog das Schwert. Wegen dieses Vergehens gegen die Hofetikette zum Tode
verurteilt, mußte er sich selbst entleihen. Die 47 Samurais dieses Fürsten
mußten dem Bushido gemäß den Tod ihres Fürsten rächen, sonst wären sie
in den Augen ganz Japans ehrlose Schurken gewesen. Diese Rache war
nicht leicht, denn Uoshihide kannte natürlich die Sitte und den Fanatismus
der Zweischwertermänner, die keine Furcht vor Strafe, Wunden oder Tod von
ihrem Vorhaben abgebracht hätte.



*) Nach Hugo v. d. Bergh.
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[0033] tvas können wir von Japan lernen? Wird er verständlich, wenn wir uns in den Gedankengang des Samurais über Ehrverletzung hineinversetzen. Der Japaner verlegt wie die Griechen den Sitz des Lebens in die Bauchhöhle und will dieses mit Sicherheit treffen. Nun ist diese Zeremonie des Selbstmordes gar nicht so einfach, sondern recht umständlich und sehr schmerzhaft, sie kann nur bei voller Über¬ legung ausgeführt werden, das will der Samurai gerade, denn nur dadurch kann er den größten Mut und die äußerste Selbstbeherrschung beweisen; man soll sich eben nicht mit einer Pille Arsenik oder einer Pistolenkugel „aus dem Leben stehlen", sondern jeder Schritt des Unternehmens soll von klarem Be¬ wußtsein zeugen: Selbstbeherrschung in der höchsten Potenz, das ist die Vollendung der Ehrenanschauung. Seppuku beging der edle Japaner, um ein Vergehen zu sühnen, auch konnte früher der Gerichtshof darauf erkennen. Aber auch der unschuldig Angeklagte beging oft Selbstmord, um zu zeigen, wie verächtlich ihm jenes Ding, um das man ihn beschuldigt, war, wie wenig er das Leben, wie hoch er seine Ehre einschätzte. Der umständliche „Tod auf der Matte" wurde dann auch dem auf dem Schlachtfelde nahezu gleichgestellt. Es hieß von dem Entleibten: „Er hat nichts vermieden, was der Mut erfordert." Wenn man von diesem Standpunkt aus die Selbstentleibung betrachtet, so wird man volles Verständnis dafür gewinnen können und ihr die Zubilligung einer heroischen Großartigkeit der Anschauung von Leben und Ehre nicht versagen können. Nach diesen Grundsätzen erzog Japan sein Volk und sein Heer. Die Samurais trugen diese Auffassung in das ganze gebildete Volk, und mit staatsmännischer Weisheit gab die Erziehung in Haus und Schule die breite Grundlage, in der echte Soldatentugend, Liebe zum Kampf, Todesverachtung, Treue zum Vaterland und Nationalstolz wurzeln konnten. Immer und immer werden ritterliche Taten der Sage und der Geschichte, an denen Japan so unendlich reich ist, als nachahmenswerte Vorbilder für die jüngste wie auch für die heranwachsende Jugend hingestellt. Hier als Beispiel eine für viele, ist die Geschichte der 47 Ronins*) (Ronin — ver¬ lumptes, ehrloses Gesindel). Ein kleiner Fürst Asano Nagaroni wurde bei einer Audienz am kaiserlichen Hofe von dem Höfling Aoshihide beleidigt und zog das Schwert. Wegen dieses Vergehens gegen die Hofetikette zum Tode verurteilt, mußte er sich selbst entleihen. Die 47 Samurais dieses Fürsten mußten dem Bushido gemäß den Tod ihres Fürsten rächen, sonst wären sie in den Augen ganz Japans ehrlose Schurken gewesen. Diese Rache war nicht leicht, denn Uoshihide kannte natürlich die Sitte und den Fanatismus der Zweischwertermänner, die keine Furcht vor Strafe, Wunden oder Tod von ihrem Vorhaben abgebracht hätte. *) Nach Hugo v. d. Bergh. Grenzboten I 1909 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/33>, abgerufen am 12.12.2024.