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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Karl Schurz

Er ist dabei immer vollkommner Amerikaner, und seine Opposition ist
nichts als Sorge um die Union und namentlich um ihre republikanische
Staatsform. Für den sachlich Urteilenden geht er in seiner Schätzung alles
Amerikanischen und der dortigen republikanischen Einrichtungen und Schöpfungen
vielfach zu weit. Wenn er beispielsweise behauptet, daß der amerikanische
Soldat sich in einem längern Kampfe schließlich nach einiger Erfahrung allen
andern überlegen erweisen würde, so hat er schon 1863 die Zustimmung
Bismarcks dafür nicht gefunden. Er bleibt aber trotzdem auch nach den
Leistungen der Soldaten der allgemeinen Wehrpflicht 1870/71 doch dabei.
Er unterliegt selbst spezifisch amerikanischen Schwächen und hält etwas von
dem in den sechziger Jahren grassierenden Spiritismus. So erzählt er in
den Erinnerungen aus Paris und aus Philadelphia einige Vorkommnisse, bei
dem letzten ist die Täuschung unverkennbar. Eine Tochter des Dr. Tiedemann
in Philadelphia, des Schwagers von Friedrich Hecker, hatte nämlich auffallendes
Talent zum Medium gezeigt, sie tröstet die Mutter durch spiritistische Grüße
von ihren im Sezessionskriege gefallnen Söhnen, prophezeit Schurz, daß er
in Missouri zum Senator gewühlt werden wird, und schreibt auf seine Auf¬
forderung, Schillers Geist zu zitieren und sich einige Verse von ihm diktieren
zu lassen, die deutschen Worte: "Ich höre rauschende Musik, das Schloß ist
von Lichtern hell. Wer sind die Fröhlichen?" Allgemeines Erstaunen, endlich
besinnt man sich auf Schillers Wallenstein. Der Band wird gebracht, und
man findet die Verse am Anfang des letzten Akts. Die Tochter hatte
"Wallensteins Tod" unzweifelhaft nicht gelesen, wohl aber ebenso sicher Hauffs
..Lichtenstein", wo sich die Verse als Überschrift des dritten Kapitels finden
und dem talentierten Medium als recht geeignet erschienen sein mochten, einmal
Schillers Geist zu zitieren.

Diese Nebensachen tun jedoch der Persönlichkeit Karl Schurzens keinen
Abbruch, sie beweisen bloß den ungeheuern Einfluß alles Amerikanischen in
ihm. Seine Bedeutung liegt aber dennoch in allem, wo er sein Deutschtum
dem Amerikanismus gegenüber zur Geltung brachte. Es ist schon erwähnt
worden, welche Wendung in der Stellung des Deutschtums in den Vereinigten
Staaten seinem Verdienst zuzurechnen ist. Fast noch mehr muß man an¬
erkennen, was er für die Berechtigung der Erhaltung der deutschen Sprache
in Amerika gesprochen und getan hat. Seine Ausführungen darüber in den
Erinnerungen wirken überzeugend und erhebend, und er hat bis an sein Ende
dafür gearbeitet. Die Verehrung aller Deutschen in der Welt ist ihm dafür
dauernd gesichert. Er ist am 14. Mai 1906 gestorben, und die Deutschen
wie die Nordamerikaner feierten ihn mit Recht als den größten Deutsch¬
-y- amerikaner,




Karl Schurz

Er ist dabei immer vollkommner Amerikaner, und seine Opposition ist
nichts als Sorge um die Union und namentlich um ihre republikanische
Staatsform. Für den sachlich Urteilenden geht er in seiner Schätzung alles
Amerikanischen und der dortigen republikanischen Einrichtungen und Schöpfungen
vielfach zu weit. Wenn er beispielsweise behauptet, daß der amerikanische
Soldat sich in einem längern Kampfe schließlich nach einiger Erfahrung allen
andern überlegen erweisen würde, so hat er schon 1863 die Zustimmung
Bismarcks dafür nicht gefunden. Er bleibt aber trotzdem auch nach den
Leistungen der Soldaten der allgemeinen Wehrpflicht 1870/71 doch dabei.
Er unterliegt selbst spezifisch amerikanischen Schwächen und hält etwas von
dem in den sechziger Jahren grassierenden Spiritismus. So erzählt er in
den Erinnerungen aus Paris und aus Philadelphia einige Vorkommnisse, bei
dem letzten ist die Täuschung unverkennbar. Eine Tochter des Dr. Tiedemann
in Philadelphia, des Schwagers von Friedrich Hecker, hatte nämlich auffallendes
Talent zum Medium gezeigt, sie tröstet die Mutter durch spiritistische Grüße
von ihren im Sezessionskriege gefallnen Söhnen, prophezeit Schurz, daß er
in Missouri zum Senator gewühlt werden wird, und schreibt auf seine Auf¬
forderung, Schillers Geist zu zitieren und sich einige Verse von ihm diktieren
zu lassen, die deutschen Worte: „Ich höre rauschende Musik, das Schloß ist
von Lichtern hell. Wer sind die Fröhlichen?" Allgemeines Erstaunen, endlich
besinnt man sich auf Schillers Wallenstein. Der Band wird gebracht, und
man findet die Verse am Anfang des letzten Akts. Die Tochter hatte
„Wallensteins Tod" unzweifelhaft nicht gelesen, wohl aber ebenso sicher Hauffs
..Lichtenstein", wo sich die Verse als Überschrift des dritten Kapitels finden
und dem talentierten Medium als recht geeignet erschienen sein mochten, einmal
Schillers Geist zu zitieren.

Diese Nebensachen tun jedoch der Persönlichkeit Karl Schurzens keinen
Abbruch, sie beweisen bloß den ungeheuern Einfluß alles Amerikanischen in
ihm. Seine Bedeutung liegt aber dennoch in allem, wo er sein Deutschtum
dem Amerikanismus gegenüber zur Geltung brachte. Es ist schon erwähnt
worden, welche Wendung in der Stellung des Deutschtums in den Vereinigten
Staaten seinem Verdienst zuzurechnen ist. Fast noch mehr muß man an¬
erkennen, was er für die Berechtigung der Erhaltung der deutschen Sprache
in Amerika gesprochen und getan hat. Seine Ausführungen darüber in den
Erinnerungen wirken überzeugend und erhebend, und er hat bis an sein Ende
dafür gearbeitet. Die Verehrung aller Deutschen in der Welt ist ihm dafür
dauernd gesichert. Er ist am 14. Mai 1906 gestorben, und die Deutschen
wie die Nordamerikaner feierten ihn mit Recht als den größten Deutsch¬
-y- amerikaner,




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/301>, abgerufen am 12.12.2024.