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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Uarl Schurz

unsers Vaterlandes spielen und darum des höchsten Interesses gewiß sind,
machten den ersten Band zu einem anziehenden Lesestoff, obgleich er nichts
wesentlich neues brachte, aber die meisten Darstellungen jener Zeit an fesselnder
Gestaltungskraft überragte. Und er hatte auch noch einen andern Vorzug.
Wer einen Blick in die Erinnerungsliteratur der Achtundvierziger geworfen
hat mit der häufig aufdringlichen Selbstbespiegelung in großen Worten, der
Verdächtigung der Mitkämpfer, von Unfähigkeit angefangen bis zum Verrat,
der wiederholten Versicherung des Erzählers, wenn es nach seinem Sinne ge¬
gangen sei, wäre dies oder jenes Ereignis und damit der Traum einer deutschen
Republik nicht mißglückt -- wer dergleichen gelesen hat, den muß die einfache,
jedes Bombastes, doch nicht des Humors bare Darstellung der Erlebnisse in
jener stürmischen Zeit wohltuend berühren, und der Verfasser hätte doch,
nachdem er wohl auch alle Mißgeschicke der pfülzisch-badischen Revolution, den
Ruhm jener, mitgemacht, aber später eine wirkliche Tat, die Befreiung Kinkels,
mit außerordentlicher Geschicklichkeit und kühlem Mut vollendet hatte, eher einen
Anflug von Ruhmredigkeit verraten dürfen als die meisten andern jener Tage.
Daß ihn nicht erst die Reife des Alters, in dem er seine Aufzeichnungen zu¬
nächst für seine Kinder niederschrieb, zu dieser Enthaltsamkeit bewog, geht aus
seinem gesamten Verhalten hervor.

Er ist Republikaner aus innerster Überzeugung und folgt nicht bloß dem
gewaltigen Zuge der Zeit, sondern er bleibt ihr sein ganzes Leben hindurch
treu. Mit einer für seine Jugend sehr beachtenswerten Objektivität durchschaut
er bald die Aussichtslosigkeit der revolutionären Strömung in Europa, die
seine Flüchtlingsgenossen noch lange Zeit in ihrem Banne gefangen erhält,
und wendet sich schon im Jahre 1852 der nordamerikanischen Republik zu,
die allein seinem Staatsideal entspricht. Damit geht Schurz dem deutschen
Vaterlande dauernd verloren, die glänzende Erflehung des Deutschen Reichs
läßt ihn ziemlich kalt, denn sie befriedigt sein republikanisches Ideal nicht. Die
nationale Ader, die viele seiner Schicksalsgenossen mitbewegt und sie dem neuen
deutschen Vaterlande schließlich wieder, wenn auch äußerer Umstände halber
meist nur mit dem Herzen, zugeführt hat, ist bei ihm wenig entwickelt, er bleibt
Amerikaner im vollsten Sinne des Worts, weil er ausschließlich Republikaner ist.
Nicht Deutschland, sondern die Republik ist seine Heimat. Diese eigenartige
Entwicklung, die mau wegen seiner persönlichen Bedeutung wohl gern anders
gewünscht hätte, läßt sich ans seinen Lebensverhältnissen begreifen. Aus jenen
neuprenßischen Gebieten der früher erzbischöflichen Rheinland? stammend, die
ebenso wie die rheinbündischen süddeutschen Lande die große nationale Erregung
Kor i8iZ "ur an sich vorüberrauschen gesehen aber nicht selbst mitgemacht
haben, ist ihm das Wesen des preußischen Staats vollkommen unverstanden
geblieben. Das ist selbst viel ältern seiner Gesinnungs- und Schicksalsgenossen,
wie Temme n. a,, auch so gegangen. Man schimpft ja auch heute noch aus
ähnlichem Beweggrunde im gesamten Süden Deutschlands weiter auf Preußen,


Uarl Schurz

unsers Vaterlandes spielen und darum des höchsten Interesses gewiß sind,
machten den ersten Band zu einem anziehenden Lesestoff, obgleich er nichts
wesentlich neues brachte, aber die meisten Darstellungen jener Zeit an fesselnder
Gestaltungskraft überragte. Und er hatte auch noch einen andern Vorzug.
Wer einen Blick in die Erinnerungsliteratur der Achtundvierziger geworfen
hat mit der häufig aufdringlichen Selbstbespiegelung in großen Worten, der
Verdächtigung der Mitkämpfer, von Unfähigkeit angefangen bis zum Verrat,
der wiederholten Versicherung des Erzählers, wenn es nach seinem Sinne ge¬
gangen sei, wäre dies oder jenes Ereignis und damit der Traum einer deutschen
Republik nicht mißglückt — wer dergleichen gelesen hat, den muß die einfache,
jedes Bombastes, doch nicht des Humors bare Darstellung der Erlebnisse in
jener stürmischen Zeit wohltuend berühren, und der Verfasser hätte doch,
nachdem er wohl auch alle Mißgeschicke der pfülzisch-badischen Revolution, den
Ruhm jener, mitgemacht, aber später eine wirkliche Tat, die Befreiung Kinkels,
mit außerordentlicher Geschicklichkeit und kühlem Mut vollendet hatte, eher einen
Anflug von Ruhmredigkeit verraten dürfen als die meisten andern jener Tage.
Daß ihn nicht erst die Reife des Alters, in dem er seine Aufzeichnungen zu¬
nächst für seine Kinder niederschrieb, zu dieser Enthaltsamkeit bewog, geht aus
seinem gesamten Verhalten hervor.

Er ist Republikaner aus innerster Überzeugung und folgt nicht bloß dem
gewaltigen Zuge der Zeit, sondern er bleibt ihr sein ganzes Leben hindurch
treu. Mit einer für seine Jugend sehr beachtenswerten Objektivität durchschaut
er bald die Aussichtslosigkeit der revolutionären Strömung in Europa, die
seine Flüchtlingsgenossen noch lange Zeit in ihrem Banne gefangen erhält,
und wendet sich schon im Jahre 1852 der nordamerikanischen Republik zu,
die allein seinem Staatsideal entspricht. Damit geht Schurz dem deutschen
Vaterlande dauernd verloren, die glänzende Erflehung des Deutschen Reichs
läßt ihn ziemlich kalt, denn sie befriedigt sein republikanisches Ideal nicht. Die
nationale Ader, die viele seiner Schicksalsgenossen mitbewegt und sie dem neuen
deutschen Vaterlande schließlich wieder, wenn auch äußerer Umstände halber
meist nur mit dem Herzen, zugeführt hat, ist bei ihm wenig entwickelt, er bleibt
Amerikaner im vollsten Sinne des Worts, weil er ausschließlich Republikaner ist.
Nicht Deutschland, sondern die Republik ist seine Heimat. Diese eigenartige
Entwicklung, die mau wegen seiner persönlichen Bedeutung wohl gern anders
gewünscht hätte, läßt sich ans seinen Lebensverhältnissen begreifen. Aus jenen
neuprenßischen Gebieten der früher erzbischöflichen Rheinland? stammend, die
ebenso wie die rheinbündischen süddeutschen Lande die große nationale Erregung
Kor i8iZ „ur an sich vorüberrauschen gesehen aber nicht selbst mitgemacht
haben, ist ihm das Wesen des preußischen Staats vollkommen unverstanden
geblieben. Das ist selbst viel ältern seiner Gesinnungs- und Schicksalsgenossen,
wie Temme n. a,, auch so gegangen. Man schimpft ja auch heute noch aus
ähnlichem Beweggrunde im gesamten Süden Deutschlands weiter auf Preußen,


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[0293] Uarl Schurz unsers Vaterlandes spielen und darum des höchsten Interesses gewiß sind, machten den ersten Band zu einem anziehenden Lesestoff, obgleich er nichts wesentlich neues brachte, aber die meisten Darstellungen jener Zeit an fesselnder Gestaltungskraft überragte. Und er hatte auch noch einen andern Vorzug. Wer einen Blick in die Erinnerungsliteratur der Achtundvierziger geworfen hat mit der häufig aufdringlichen Selbstbespiegelung in großen Worten, der Verdächtigung der Mitkämpfer, von Unfähigkeit angefangen bis zum Verrat, der wiederholten Versicherung des Erzählers, wenn es nach seinem Sinne ge¬ gangen sei, wäre dies oder jenes Ereignis und damit der Traum einer deutschen Republik nicht mißglückt — wer dergleichen gelesen hat, den muß die einfache, jedes Bombastes, doch nicht des Humors bare Darstellung der Erlebnisse in jener stürmischen Zeit wohltuend berühren, und der Verfasser hätte doch, nachdem er wohl auch alle Mißgeschicke der pfülzisch-badischen Revolution, den Ruhm jener, mitgemacht, aber später eine wirkliche Tat, die Befreiung Kinkels, mit außerordentlicher Geschicklichkeit und kühlem Mut vollendet hatte, eher einen Anflug von Ruhmredigkeit verraten dürfen als die meisten andern jener Tage. Daß ihn nicht erst die Reife des Alters, in dem er seine Aufzeichnungen zu¬ nächst für seine Kinder niederschrieb, zu dieser Enthaltsamkeit bewog, geht aus seinem gesamten Verhalten hervor. Er ist Republikaner aus innerster Überzeugung und folgt nicht bloß dem gewaltigen Zuge der Zeit, sondern er bleibt ihr sein ganzes Leben hindurch treu. Mit einer für seine Jugend sehr beachtenswerten Objektivität durchschaut er bald die Aussichtslosigkeit der revolutionären Strömung in Europa, die seine Flüchtlingsgenossen noch lange Zeit in ihrem Banne gefangen erhält, und wendet sich schon im Jahre 1852 der nordamerikanischen Republik zu, die allein seinem Staatsideal entspricht. Damit geht Schurz dem deutschen Vaterlande dauernd verloren, die glänzende Erflehung des Deutschen Reichs läßt ihn ziemlich kalt, denn sie befriedigt sein republikanisches Ideal nicht. Die nationale Ader, die viele seiner Schicksalsgenossen mitbewegt und sie dem neuen deutschen Vaterlande schließlich wieder, wenn auch äußerer Umstände halber meist nur mit dem Herzen, zugeführt hat, ist bei ihm wenig entwickelt, er bleibt Amerikaner im vollsten Sinne des Worts, weil er ausschließlich Republikaner ist. Nicht Deutschland, sondern die Republik ist seine Heimat. Diese eigenartige Entwicklung, die mau wegen seiner persönlichen Bedeutung wohl gern anders gewünscht hätte, läßt sich ans seinen Lebensverhältnissen begreifen. Aus jenen neuprenßischen Gebieten der früher erzbischöflichen Rheinland? stammend, die ebenso wie die rheinbündischen süddeutschen Lande die große nationale Erregung Kor i8iZ „ur an sich vorüberrauschen gesehen aber nicht selbst mitgemacht haben, ist ihm das Wesen des preußischen Staats vollkommen unverstanden geblieben. Das ist selbst viel ältern seiner Gesinnungs- und Schicksalsgenossen, wie Temme n. a,, auch so gegangen. Man schimpft ja auch heute noch aus ähnlichem Beweggrunde im gesamten Süden Deutschlands weiter auf Preußen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/293>, abgerufen am 12.12.2024.