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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

angesichts dieser staatlichen Forderung jede Widerstandsfähigkeit verloren hat.
Zweifellos wird auch jeder, der etwa die gegen die Nachlaßsteuer vorgebrachten
allgemeinen Phrasen sachlich verteidigen wollte, sehr bald daran scheitern, weil ihn
die Empfindung des Widerspruchs zwischen dem ernsten Gegenstand und der unfrei¬
willigen Komik dieser Phrasen überwältigen muß. Daß das nicht so empfunden wird,
erklärt sich eben aus dem rein demagogischen Zweck aller solcher Auseinandersetzungen.

Wie wird sich nun aber die konservative Partei als rein politische Organisation
damit abfinden? Wer die Eigenheiten des Parteilebens kennt, wird sich nicht
Wundern, daß die Stellungnahme des Bundes der Landwirte, der stärksten volks¬
tümlichen und unabhängigen Stütze, die die Konservativen haben, zunächst auf ihre
Entschlüsse stark abfärben muß. Denn die Rücksicht auf eine besonders stark und
deutlich hervortretende Stimmung der Wähler bedeutet für jede parlamentarische
Fraktion, mag sie rechts oder links stehn, immer die Stelle, wo sie sterblich ist.
Zwar enthält'die Reichsverfassung in Artikel 29 den aus Artikel 83 der preußischen
Verfassungsurkunde übernommnen, stolz klingenden Satz: "Die Mitglieder des
Reichstags sind Vertreter des gesamten Volks und an Aufträge und Instruktionen
nicht gebunden." Die Preußische Verfassungsurkunde schiebt sogar noch ein: "Sie
stimmen nach ihrer freien Überzeugung." Aber das ist ein Ideal, dem die Wirk¬
lichkeit nicht immer entspricht. Der Neigung, der Stimmung der Wähler nach¬
zuforschen, von denen zwar nicht das gegenwärtige Mandat, wohl aber die Wieder¬
wahl abhängt, unterliegt manche "freie Überzeugung", die freilich nach außen hin
sorgfältig den Schein wahrt, als ob sie ganz aufrecht wandelte.

Es ist, wenn man die Lage verstehn will, notwendig, auf die Gefahr hin¬
zuweisen, die aus der Beeinflussung der konservativen Partei durch agrarische
Stimmungen droht. Aber man soll auch diese Gefahr nicht überschätzen oder
vor ihr mutlos die Waffen strecken. Man darf wenigstens zwei Tatsachen nicht
unbeachtet lassen. Erstens hat die konservative Partei immerhin die Tradition
für sich, daß sie sich von der geschilderten Abhängigkeit von der Stimmung der
Wähler in der Regel relativ freier gezeigt hat als manche andre Parteien. Daß
sie sich von dieser Tradition in demselben Augenblick lossagen sollte, wo gerade
auch die liberalen Blockparteien angefangen haben, in ihren parlamentarischen Frak¬
tionen einiges Rückgrat gegenüber dem alten Parteischlendrian zu zeige" und ihr
gutes Recht eigner politischer Einsicht und Erfahrung gegen den Phrasenseligen
Unverstand der Wählermassen geltend zu machen, ist nicht anzunehmen; wenigstens
würde sich die Partei in einen starken Widerspruch mit ihrer Vergangenheit setzen.
Zweitens kann die konservative Partei, so gern sie sich sonst auf die agrarische
Bewegung stützt und den besondern Schutz der landwirtschaftlichen Interessen in
ihr Programm aufnimmt, doch nicht so völlig vor dem Bund der Landwirte kapitu¬
lieren, daß sie ihm die Betätigung ihrer allgemeinen Politischen Grundsätze preis¬
gibt. Das hat sie nicht einmal bei der Beratung des Zolltarifs getan, obwohl
es damals eher zu rechtfertigen gewesen wäre als jetzt. Denn damals konnte man
die Lage immerhin dahin verstehn. daß die Landwirte der Meinung waren, mit
der Zustimmung zum Zolltarif wirklich der Allgemeinheit ein großes Opfer zu
bringen; jetzt aber handelt es sich nicht um einen wirklichen Schaden für die
Landwirtschaft, ja nicht einmal um ein Opfer überhaupt, sondern um einen einge¬
bildeten Nachteil, um eine künstlich erregte Stimmung gegen eine "unsympathische"
Einrichtung. Um deswillen soll die konservative Partei das Odium für das
Scheitern der Reichsfinanzreform auf sich nehmen, mit andern Worten den Staat
bei einer der wichtigsten Reformen, die die Zukunft des Reichs sichern soll und
durchaus keine Parteisache ist, völlig im Stich lassen? Gewiß liegt das nicht außer
dem Bereich der Möglichkeit, aber wahrscheinlich ist es nicht, daß diese Partei so
vollständig ihre besten Überlieferungen verleugnen sollte.


Grenzboten I 1909 . . 35
Maßgebliches und Unmaßgebliches

angesichts dieser staatlichen Forderung jede Widerstandsfähigkeit verloren hat.
Zweifellos wird auch jeder, der etwa die gegen die Nachlaßsteuer vorgebrachten
allgemeinen Phrasen sachlich verteidigen wollte, sehr bald daran scheitern, weil ihn
die Empfindung des Widerspruchs zwischen dem ernsten Gegenstand und der unfrei¬
willigen Komik dieser Phrasen überwältigen muß. Daß das nicht so empfunden wird,
erklärt sich eben aus dem rein demagogischen Zweck aller solcher Auseinandersetzungen.

Wie wird sich nun aber die konservative Partei als rein politische Organisation
damit abfinden? Wer die Eigenheiten des Parteilebens kennt, wird sich nicht
Wundern, daß die Stellungnahme des Bundes der Landwirte, der stärksten volks¬
tümlichen und unabhängigen Stütze, die die Konservativen haben, zunächst auf ihre
Entschlüsse stark abfärben muß. Denn die Rücksicht auf eine besonders stark und
deutlich hervortretende Stimmung der Wähler bedeutet für jede parlamentarische
Fraktion, mag sie rechts oder links stehn, immer die Stelle, wo sie sterblich ist.
Zwar enthält'die Reichsverfassung in Artikel 29 den aus Artikel 83 der preußischen
Verfassungsurkunde übernommnen, stolz klingenden Satz: „Die Mitglieder des
Reichstags sind Vertreter des gesamten Volks und an Aufträge und Instruktionen
nicht gebunden." Die Preußische Verfassungsurkunde schiebt sogar noch ein: „Sie
stimmen nach ihrer freien Überzeugung." Aber das ist ein Ideal, dem die Wirk¬
lichkeit nicht immer entspricht. Der Neigung, der Stimmung der Wähler nach¬
zuforschen, von denen zwar nicht das gegenwärtige Mandat, wohl aber die Wieder¬
wahl abhängt, unterliegt manche „freie Überzeugung", die freilich nach außen hin
sorgfältig den Schein wahrt, als ob sie ganz aufrecht wandelte.

Es ist, wenn man die Lage verstehn will, notwendig, auf die Gefahr hin¬
zuweisen, die aus der Beeinflussung der konservativen Partei durch agrarische
Stimmungen droht. Aber man soll auch diese Gefahr nicht überschätzen oder
vor ihr mutlos die Waffen strecken. Man darf wenigstens zwei Tatsachen nicht
unbeachtet lassen. Erstens hat die konservative Partei immerhin die Tradition
für sich, daß sie sich von der geschilderten Abhängigkeit von der Stimmung der
Wähler in der Regel relativ freier gezeigt hat als manche andre Parteien. Daß
sie sich von dieser Tradition in demselben Augenblick lossagen sollte, wo gerade
auch die liberalen Blockparteien angefangen haben, in ihren parlamentarischen Frak¬
tionen einiges Rückgrat gegenüber dem alten Parteischlendrian zu zeige« und ihr
gutes Recht eigner politischer Einsicht und Erfahrung gegen den Phrasenseligen
Unverstand der Wählermassen geltend zu machen, ist nicht anzunehmen; wenigstens
würde sich die Partei in einen starken Widerspruch mit ihrer Vergangenheit setzen.
Zweitens kann die konservative Partei, so gern sie sich sonst auf die agrarische
Bewegung stützt und den besondern Schutz der landwirtschaftlichen Interessen in
ihr Programm aufnimmt, doch nicht so völlig vor dem Bund der Landwirte kapitu¬
lieren, daß sie ihm die Betätigung ihrer allgemeinen Politischen Grundsätze preis¬
gibt. Das hat sie nicht einmal bei der Beratung des Zolltarifs getan, obwohl
es damals eher zu rechtfertigen gewesen wäre als jetzt. Denn damals konnte man
die Lage immerhin dahin verstehn. daß die Landwirte der Meinung waren, mit
der Zustimmung zum Zolltarif wirklich der Allgemeinheit ein großes Opfer zu
bringen; jetzt aber handelt es sich nicht um einen wirklichen Schaden für die
Landwirtschaft, ja nicht einmal um ein Opfer überhaupt, sondern um einen einge¬
bildeten Nachteil, um eine künstlich erregte Stimmung gegen eine „unsympathische"
Einrichtung. Um deswillen soll die konservative Partei das Odium für das
Scheitern der Reichsfinanzreform auf sich nehmen, mit andern Worten den Staat
bei einer der wichtigsten Reformen, die die Zukunft des Reichs sichern soll und
durchaus keine Parteisache ist, völlig im Stich lassen? Gewiß liegt das nicht außer
dem Bereich der Möglichkeit, aber wahrscheinlich ist es nicht, daß diese Partei so
vollständig ihre besten Überlieferungen verleugnen sollte.


Grenzboten I 1909 . . 35
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[0277] Maßgebliches und Unmaßgebliches angesichts dieser staatlichen Forderung jede Widerstandsfähigkeit verloren hat. Zweifellos wird auch jeder, der etwa die gegen die Nachlaßsteuer vorgebrachten allgemeinen Phrasen sachlich verteidigen wollte, sehr bald daran scheitern, weil ihn die Empfindung des Widerspruchs zwischen dem ernsten Gegenstand und der unfrei¬ willigen Komik dieser Phrasen überwältigen muß. Daß das nicht so empfunden wird, erklärt sich eben aus dem rein demagogischen Zweck aller solcher Auseinandersetzungen. Wie wird sich nun aber die konservative Partei als rein politische Organisation damit abfinden? Wer die Eigenheiten des Parteilebens kennt, wird sich nicht Wundern, daß die Stellungnahme des Bundes der Landwirte, der stärksten volks¬ tümlichen und unabhängigen Stütze, die die Konservativen haben, zunächst auf ihre Entschlüsse stark abfärben muß. Denn die Rücksicht auf eine besonders stark und deutlich hervortretende Stimmung der Wähler bedeutet für jede parlamentarische Fraktion, mag sie rechts oder links stehn, immer die Stelle, wo sie sterblich ist. Zwar enthält'die Reichsverfassung in Artikel 29 den aus Artikel 83 der preußischen Verfassungsurkunde übernommnen, stolz klingenden Satz: „Die Mitglieder des Reichstags sind Vertreter des gesamten Volks und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden." Die Preußische Verfassungsurkunde schiebt sogar noch ein: „Sie stimmen nach ihrer freien Überzeugung." Aber das ist ein Ideal, dem die Wirk¬ lichkeit nicht immer entspricht. Der Neigung, der Stimmung der Wähler nach¬ zuforschen, von denen zwar nicht das gegenwärtige Mandat, wohl aber die Wieder¬ wahl abhängt, unterliegt manche „freie Überzeugung", die freilich nach außen hin sorgfältig den Schein wahrt, als ob sie ganz aufrecht wandelte. Es ist, wenn man die Lage verstehn will, notwendig, auf die Gefahr hin¬ zuweisen, die aus der Beeinflussung der konservativen Partei durch agrarische Stimmungen droht. Aber man soll auch diese Gefahr nicht überschätzen oder vor ihr mutlos die Waffen strecken. Man darf wenigstens zwei Tatsachen nicht unbeachtet lassen. Erstens hat die konservative Partei immerhin die Tradition für sich, daß sie sich von der geschilderten Abhängigkeit von der Stimmung der Wähler in der Regel relativ freier gezeigt hat als manche andre Parteien. Daß sie sich von dieser Tradition in demselben Augenblick lossagen sollte, wo gerade auch die liberalen Blockparteien angefangen haben, in ihren parlamentarischen Frak¬ tionen einiges Rückgrat gegenüber dem alten Parteischlendrian zu zeige« und ihr gutes Recht eigner politischer Einsicht und Erfahrung gegen den Phrasenseligen Unverstand der Wählermassen geltend zu machen, ist nicht anzunehmen; wenigstens würde sich die Partei in einen starken Widerspruch mit ihrer Vergangenheit setzen. Zweitens kann die konservative Partei, so gern sie sich sonst auf die agrarische Bewegung stützt und den besondern Schutz der landwirtschaftlichen Interessen in ihr Programm aufnimmt, doch nicht so völlig vor dem Bund der Landwirte kapitu¬ lieren, daß sie ihm die Betätigung ihrer allgemeinen Politischen Grundsätze preis¬ gibt. Das hat sie nicht einmal bei der Beratung des Zolltarifs getan, obwohl es damals eher zu rechtfertigen gewesen wäre als jetzt. Denn damals konnte man die Lage immerhin dahin verstehn. daß die Landwirte der Meinung waren, mit der Zustimmung zum Zolltarif wirklich der Allgemeinheit ein großes Opfer zu bringen; jetzt aber handelt es sich nicht um einen wirklichen Schaden für die Landwirtschaft, ja nicht einmal um ein Opfer überhaupt, sondern um einen einge¬ bildeten Nachteil, um eine künstlich erregte Stimmung gegen eine „unsympathische" Einrichtung. Um deswillen soll die konservative Partei das Odium für das Scheitern der Reichsfinanzreform auf sich nehmen, mit andern Worten den Staat bei einer der wichtigsten Reformen, die die Zukunft des Reichs sichern soll und durchaus keine Parteisache ist, völlig im Stich lassen? Gewiß liegt das nicht außer dem Bereich der Möglichkeit, aber wahrscheinlich ist es nicht, daß diese Partei so vollständig ihre besten Überlieferungen verleugnen sollte. Grenzboten I 1909 . . 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/277>, abgerufen am 12.12.2024.