Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bertha von Suttner

gesteuert werden kann --, es gilt ihr vielmehr die Not als der mächtigste
Antrieb zum Fortschritt. Aufhören aller Not würde den Stillstand zur Folge
haben; es ist darum so wenig denkbar wie eine Welt von lauter guten Menschen,
die ein Widerspruch in sich selbst wäre, wie wenn man den Tag denken
wollte ohne die Nacht." Die Einsetzung eines allgemeinen Schiedsgerichts
sei im Gange, aber Bertha solle die Sache nicht fördern, weil ein Fiasko die
Sache der Friedensfreunde schädigen würde. Die Sitte, internationale Streitig¬
keiten friedlich zu schlichten, bürgere sich ein, Forcieren könne sie nur gefährden.
Sie möge sich daran gewöhnen, die Bestie Mensch mit Gleichmut zu be¬
trachten, dann werde sie sich herbe Enttäuschungen ersparen. Das alles ist,
wie gesagt, richtig, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Die Menschen sind
heute noch so rauf- und raublustig wie vor alters, trotzdem raufen und
rauben sie nicht mehr soviel, wenigstens nicht mehr mit Brachialgewalt, weil
sie nicht können. Der blutige Kleinkrieg und der blutige Raub, von dem der
montenegrinische Hammeldiebstahl noch ein schwacher Überrest ist, haben auf¬
gehört, weil die heutige Technik erstens die Völker in Großstaaten organisiert
hat, und zweitens die Zentralgewalt des Großstaats befähigt, jede an einem
beliebigen Punkte seines Gebiets auftauchende Unordnung mit Blitzesschnelle
und unwiderstehlicher Gewalt zu unterdrücken. Es gibt kein wüstes Gewoge
kleiner Revolutionen und kleiner Fehden mehr; nur große Kriege sind noch
möglich. Und es ist gar nicht undenkbar, daß dieselbe Technik, die den Klein¬
krieg unmöglich gemacht, auch den großen beseitigt. Ich meine nicht in der
Weise, wie es Block) dem Zaren demonstriert und nobel verstanden hat: daß
die Riesenheere die Völker im Frieden wirtschaftlich erdrücken und im Kriege
nicht operieren, namentlich nicht verpflegt werden können, und daß die Ver¬
vollkommnung der Zerstörungswerkzeugc die ganze männliche Bevölkerung der
kriegführenden Staaten der Vernichtung weihen würde -- über solche Dinge
lasse ich die militärischen Sachverständigen reden --, sondern weil der heutige
Weltverkehr die herrschenden Kulturnationen so eng miteinander versucht, daß
kein wie immer gearteter Siegespreis (als solcher kommt Eroberung eines
europäischen Territoriums zwischen diesen Knlturnationen nicht mehr in Frage)
den Schaden aufwiegen könnte, den beide dnrch die Zerreißung der wirt¬
schaftlichen Bänder erleiden würden. Die Wirtschaft ist ursprünglich teils
okkupatorische teils Raubwirtschaft gewesen. Sie hat diesen Charakter noch
jahrtausendelang bewahrt, nachdem die Menschen schon längst ihr Dasein auf
regelmäßige Arbeit gründen gelernt hatten, aber sie hat ihn in den letzten
Jahrhunderten, man darf sagen im letzten Jahrhundert rasch verloren. Im
sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert spielten die räuberische Ausbeutung
farbiger Völker und das Kapern von Edelmetall- und Gewürzflotten noch
eine bedeutende Rolle im Haushalt der Seemächte, und noch im achtzehnten
Jahrhundert ist Liverpool durch den Sklavenraub reich geworden. Damals
waren Kanonen geradezu das Instrument des Auslnndshandels. Heute


Bertha von Suttner

gesteuert werden kann —, es gilt ihr vielmehr die Not als der mächtigste
Antrieb zum Fortschritt. Aufhören aller Not würde den Stillstand zur Folge
haben; es ist darum so wenig denkbar wie eine Welt von lauter guten Menschen,
die ein Widerspruch in sich selbst wäre, wie wenn man den Tag denken
wollte ohne die Nacht." Die Einsetzung eines allgemeinen Schiedsgerichts
sei im Gange, aber Bertha solle die Sache nicht fördern, weil ein Fiasko die
Sache der Friedensfreunde schädigen würde. Die Sitte, internationale Streitig¬
keiten friedlich zu schlichten, bürgere sich ein, Forcieren könne sie nur gefährden.
Sie möge sich daran gewöhnen, die Bestie Mensch mit Gleichmut zu be¬
trachten, dann werde sie sich herbe Enttäuschungen ersparen. Das alles ist,
wie gesagt, richtig, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Die Menschen sind
heute noch so rauf- und raublustig wie vor alters, trotzdem raufen und
rauben sie nicht mehr soviel, wenigstens nicht mehr mit Brachialgewalt, weil
sie nicht können. Der blutige Kleinkrieg und der blutige Raub, von dem der
montenegrinische Hammeldiebstahl noch ein schwacher Überrest ist, haben auf¬
gehört, weil die heutige Technik erstens die Völker in Großstaaten organisiert
hat, und zweitens die Zentralgewalt des Großstaats befähigt, jede an einem
beliebigen Punkte seines Gebiets auftauchende Unordnung mit Blitzesschnelle
und unwiderstehlicher Gewalt zu unterdrücken. Es gibt kein wüstes Gewoge
kleiner Revolutionen und kleiner Fehden mehr; nur große Kriege sind noch
möglich. Und es ist gar nicht undenkbar, daß dieselbe Technik, die den Klein¬
krieg unmöglich gemacht, auch den großen beseitigt. Ich meine nicht in der
Weise, wie es Block) dem Zaren demonstriert und nobel verstanden hat: daß
die Riesenheere die Völker im Frieden wirtschaftlich erdrücken und im Kriege
nicht operieren, namentlich nicht verpflegt werden können, und daß die Ver¬
vollkommnung der Zerstörungswerkzeugc die ganze männliche Bevölkerung der
kriegführenden Staaten der Vernichtung weihen würde — über solche Dinge
lasse ich die militärischen Sachverständigen reden —, sondern weil der heutige
Weltverkehr die herrschenden Kulturnationen so eng miteinander versucht, daß
kein wie immer gearteter Siegespreis (als solcher kommt Eroberung eines
europäischen Territoriums zwischen diesen Knlturnationen nicht mehr in Frage)
den Schaden aufwiegen könnte, den beide dnrch die Zerreißung der wirt¬
schaftlichen Bänder erleiden würden. Die Wirtschaft ist ursprünglich teils
okkupatorische teils Raubwirtschaft gewesen. Sie hat diesen Charakter noch
jahrtausendelang bewahrt, nachdem die Menschen schon längst ihr Dasein auf
regelmäßige Arbeit gründen gelernt hatten, aber sie hat ihn in den letzten
Jahrhunderten, man darf sagen im letzten Jahrhundert rasch verloren. Im
sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert spielten die räuberische Ausbeutung
farbiger Völker und das Kapern von Edelmetall- und Gewürzflotten noch
eine bedeutende Rolle im Haushalt der Seemächte, und noch im achtzehnten
Jahrhundert ist Liverpool durch den Sklavenraub reich geworden. Damals
waren Kanonen geradezu das Instrument des Auslnndshandels. Heute


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312507"/>
          <fw type="header" place="top"> Bertha von Suttner</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_577" prev="#ID_576" next="#ID_578"> gesteuert werden kann &#x2014;, es gilt ihr vielmehr die Not als der mächtigste<lb/>
Antrieb zum Fortschritt. Aufhören aller Not würde den Stillstand zur Folge<lb/>
haben; es ist darum so wenig denkbar wie eine Welt von lauter guten Menschen,<lb/>
die ein Widerspruch in sich selbst wäre, wie wenn man den Tag denken<lb/>
wollte ohne die Nacht." Die Einsetzung eines allgemeinen Schiedsgerichts<lb/>
sei im Gange, aber Bertha solle die Sache nicht fördern, weil ein Fiasko die<lb/>
Sache der Friedensfreunde schädigen würde. Die Sitte, internationale Streitig¬<lb/>
keiten friedlich zu schlichten, bürgere sich ein, Forcieren könne sie nur gefährden.<lb/>
Sie möge sich daran gewöhnen, die Bestie Mensch mit Gleichmut zu be¬<lb/>
trachten, dann werde sie sich herbe Enttäuschungen ersparen. Das alles ist,<lb/>
wie gesagt, richtig, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Die Menschen sind<lb/>
heute noch so rauf- und raublustig wie vor alters, trotzdem raufen und<lb/>
rauben sie nicht mehr soviel, wenigstens nicht mehr mit Brachialgewalt, weil<lb/>
sie nicht können. Der blutige Kleinkrieg und der blutige Raub, von dem der<lb/>
montenegrinische Hammeldiebstahl noch ein schwacher Überrest ist, haben auf¬<lb/>
gehört, weil die heutige Technik erstens die Völker in Großstaaten organisiert<lb/>
hat, und zweitens die Zentralgewalt des Großstaats befähigt, jede an einem<lb/>
beliebigen Punkte seines Gebiets auftauchende Unordnung mit Blitzesschnelle<lb/>
und unwiderstehlicher Gewalt zu unterdrücken. Es gibt kein wüstes Gewoge<lb/>
kleiner Revolutionen und kleiner Fehden mehr; nur große Kriege sind noch<lb/>
möglich. Und es ist gar nicht undenkbar, daß dieselbe Technik, die den Klein¬<lb/>
krieg unmöglich gemacht, auch den großen beseitigt. Ich meine nicht in der<lb/>
Weise, wie es Block) dem Zaren demonstriert und nobel verstanden hat: daß<lb/>
die Riesenheere die Völker im Frieden wirtschaftlich erdrücken und im Kriege<lb/>
nicht operieren, namentlich nicht verpflegt werden können, und daß die Ver¬<lb/>
vollkommnung der Zerstörungswerkzeugc die ganze männliche Bevölkerung der<lb/>
kriegführenden Staaten der Vernichtung weihen würde &#x2014; über solche Dinge<lb/>
lasse ich die militärischen Sachverständigen reden &#x2014;, sondern weil der heutige<lb/>
Weltverkehr die herrschenden Kulturnationen so eng miteinander versucht, daß<lb/>
kein wie immer gearteter Siegespreis (als solcher kommt Eroberung eines<lb/>
europäischen Territoriums zwischen diesen Knlturnationen nicht mehr in Frage)<lb/>
den Schaden aufwiegen könnte, den beide dnrch die Zerreißung der wirt¬<lb/>
schaftlichen Bänder erleiden würden. Die Wirtschaft ist ursprünglich teils<lb/>
okkupatorische teils Raubwirtschaft gewesen. Sie hat diesen Charakter noch<lb/>
jahrtausendelang bewahrt, nachdem die Menschen schon längst ihr Dasein auf<lb/>
regelmäßige Arbeit gründen gelernt hatten, aber sie hat ihn in den letzten<lb/>
Jahrhunderten, man darf sagen im letzten Jahrhundert rasch verloren. Im<lb/>
sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert spielten die räuberische Ausbeutung<lb/>
farbiger Völker und das Kapern von Edelmetall- und Gewürzflotten noch<lb/>
eine bedeutende Rolle im Haushalt der Seemächte, und noch im achtzehnten<lb/>
Jahrhundert ist Liverpool durch den Sklavenraub reich geworden. Damals<lb/>
waren Kanonen geradezu das Instrument des Auslnndshandels. Heute</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0156] Bertha von Suttner gesteuert werden kann —, es gilt ihr vielmehr die Not als der mächtigste Antrieb zum Fortschritt. Aufhören aller Not würde den Stillstand zur Folge haben; es ist darum so wenig denkbar wie eine Welt von lauter guten Menschen, die ein Widerspruch in sich selbst wäre, wie wenn man den Tag denken wollte ohne die Nacht." Die Einsetzung eines allgemeinen Schiedsgerichts sei im Gange, aber Bertha solle die Sache nicht fördern, weil ein Fiasko die Sache der Friedensfreunde schädigen würde. Die Sitte, internationale Streitig¬ keiten friedlich zu schlichten, bürgere sich ein, Forcieren könne sie nur gefährden. Sie möge sich daran gewöhnen, die Bestie Mensch mit Gleichmut zu be¬ trachten, dann werde sie sich herbe Enttäuschungen ersparen. Das alles ist, wie gesagt, richtig, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Die Menschen sind heute noch so rauf- und raublustig wie vor alters, trotzdem raufen und rauben sie nicht mehr soviel, wenigstens nicht mehr mit Brachialgewalt, weil sie nicht können. Der blutige Kleinkrieg und der blutige Raub, von dem der montenegrinische Hammeldiebstahl noch ein schwacher Überrest ist, haben auf¬ gehört, weil die heutige Technik erstens die Völker in Großstaaten organisiert hat, und zweitens die Zentralgewalt des Großstaats befähigt, jede an einem beliebigen Punkte seines Gebiets auftauchende Unordnung mit Blitzesschnelle und unwiderstehlicher Gewalt zu unterdrücken. Es gibt kein wüstes Gewoge kleiner Revolutionen und kleiner Fehden mehr; nur große Kriege sind noch möglich. Und es ist gar nicht undenkbar, daß dieselbe Technik, die den Klein¬ krieg unmöglich gemacht, auch den großen beseitigt. Ich meine nicht in der Weise, wie es Block) dem Zaren demonstriert und nobel verstanden hat: daß die Riesenheere die Völker im Frieden wirtschaftlich erdrücken und im Kriege nicht operieren, namentlich nicht verpflegt werden können, und daß die Ver¬ vollkommnung der Zerstörungswerkzeugc die ganze männliche Bevölkerung der kriegführenden Staaten der Vernichtung weihen würde — über solche Dinge lasse ich die militärischen Sachverständigen reden —, sondern weil der heutige Weltverkehr die herrschenden Kulturnationen so eng miteinander versucht, daß kein wie immer gearteter Siegespreis (als solcher kommt Eroberung eines europäischen Territoriums zwischen diesen Knlturnationen nicht mehr in Frage) den Schaden aufwiegen könnte, den beide dnrch die Zerreißung der wirt¬ schaftlichen Bänder erleiden würden. Die Wirtschaft ist ursprünglich teils okkupatorische teils Raubwirtschaft gewesen. Sie hat diesen Charakter noch jahrtausendelang bewahrt, nachdem die Menschen schon längst ihr Dasein auf regelmäßige Arbeit gründen gelernt hatten, aber sie hat ihn in den letzten Jahrhunderten, man darf sagen im letzten Jahrhundert rasch verloren. Im sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert spielten die räuberische Ausbeutung farbiger Völker und das Kapern von Edelmetall- und Gewürzflotten noch eine bedeutende Rolle im Haushalt der Seemächte, und noch im achtzehnten Jahrhundert ist Liverpool durch den Sklavenraub reich geworden. Damals waren Kanonen geradezu das Instrument des Auslnndshandels. Heute

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/156
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/156>, abgerufen am 23.07.2024.