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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Sie Geschichte der Wilhelmshöhe

Wasser und staunen die mächtigen, dem Naturbilde malerisch eingefügten Stein¬
bauten an, die den Wasserkünsten als Grotten, Bassins, Aquädukte und der¬
gleichen dienen, oder die, wie zum Beispiel die Löwenburg, für sich allein
zwischen Buchen und dunkeln Tannen aus dem Habichtswalde aufragen. Und
wer auch nur an der Wilhelmshöhe im Eisenbahnzug vorübereilt, dem ergehts
wohl wie dem alten Guttmann in Wilhelm Raabes Buch von Guttmanns Reisen,
der sich aus dem Fenster hing, solange der farnesische Herkules von der Bahn
zu erblicken war. Der große Christoffel spielt eine Rolle bei den Dichtern, er
hat auch ein gut Stück Weltgeschichte miterlebt und angeschaut: das französische
Regiment mitten im Herzen Deutschlands, die galanten Abenteuer des Jerömeschen
Hoflagers, die Flucht des letzten Kurfürsten und den Einzug der Preußen, und
er hat einen ganzen Winter lang einen ernsten Mann in schwere Gedanken
versunken und den Traum vergangner Größe weiterträumend über die beschneiten
Kieswege der Wilhelmshöhe wandeln sehen. Von den Tagen des lustigen Königs,
auch von dem unfreiwilligen Winteraufenthalt Napoleons des Dritten wird noch
manches, Wahrheit und Dichtung zugleich, von Mund zu Munde erzählt. Wenig
aber weiß man für gewöhnlich von den menschlichen Schicksalen, die sich sonst
noch auf diesem wundervollen Erdenfleck abgespielt haben, und am wenigsten
weiß man von der Entstehung der Wilhelmshöhe selbst und von denen, die
dieses Werk geschaffen haben. Oder was man davon weiß, hat gar nicht selten
die Wirkung, das frohe Guttmannslächeln in melancholischen Ernst umschlagen
zu lassen. Wir würden uns gern an allen den reichen Schönheiten erfreuen,
heißt es in einem Aufsatz des Meyerschen Universums, wenn nur die bösen
Träume nicht wären.

Der Aussatz sagt uns auch, was das für böse Träume sind, die die volle
Freude an diesen großen Schönheiten nicht aufkommen lassen: "Das Spielen
der Wasser ist ein charakteristisches Merkmal des achtzehnten Jahrhunderts.
Alles sollte sich den Launen fürstlicher Willkür fügen, warum nicht auch die
Elemente, warum nicht auch das Wasser? Es durch kunstreiche Bauten und
alle möglichen Zwangsmaßregeln bergauf zu treiben, statt ihm seinen natür¬
lichen Lauf zu lassen, Hunderttausende zu vergeuden, um so das Wasser in
des Menschen Dienst zu zwingen, nicht etwa zum Nutzen und Segen der Mit¬
menschen, sondern um die Prunksucht der Gebieter und die Schaulust müßiger
Gaffer zu befriedigen -- das war so recht im Geiste jener übermütigen Großen,
die in allem, was zu ihrer Umgebung gehörte, nichts sahen als Werkzeuge
ihrer Unterhaltung, ihres Vergnügens. Was kümmerte es den Landgrafen
Karl, der die Wasserwerke anlegte und überhaupt den Karlsberg zu einem
Lustort wandelte, wenn während dem, daß er so Erstaunenswürdiges schuf,
sein Volk immer mehr ächzte und verkümmerte unter den auferlegten Steuern
und sein Land entvölkert ward, weil der spanische Successionskrieg seine besten
Söhne hinwegraffte, während die holländischen und englischen Subsidien des
Fürsten Taschen füllten!"


Sie Geschichte der Wilhelmshöhe

Wasser und staunen die mächtigen, dem Naturbilde malerisch eingefügten Stein¬
bauten an, die den Wasserkünsten als Grotten, Bassins, Aquädukte und der¬
gleichen dienen, oder die, wie zum Beispiel die Löwenburg, für sich allein
zwischen Buchen und dunkeln Tannen aus dem Habichtswalde aufragen. Und
wer auch nur an der Wilhelmshöhe im Eisenbahnzug vorübereilt, dem ergehts
wohl wie dem alten Guttmann in Wilhelm Raabes Buch von Guttmanns Reisen,
der sich aus dem Fenster hing, solange der farnesische Herkules von der Bahn
zu erblicken war. Der große Christoffel spielt eine Rolle bei den Dichtern, er
hat auch ein gut Stück Weltgeschichte miterlebt und angeschaut: das französische
Regiment mitten im Herzen Deutschlands, die galanten Abenteuer des Jerömeschen
Hoflagers, die Flucht des letzten Kurfürsten und den Einzug der Preußen, und
er hat einen ganzen Winter lang einen ernsten Mann in schwere Gedanken
versunken und den Traum vergangner Größe weiterträumend über die beschneiten
Kieswege der Wilhelmshöhe wandeln sehen. Von den Tagen des lustigen Königs,
auch von dem unfreiwilligen Winteraufenthalt Napoleons des Dritten wird noch
manches, Wahrheit und Dichtung zugleich, von Mund zu Munde erzählt. Wenig
aber weiß man für gewöhnlich von den menschlichen Schicksalen, die sich sonst
noch auf diesem wundervollen Erdenfleck abgespielt haben, und am wenigsten
weiß man von der Entstehung der Wilhelmshöhe selbst und von denen, die
dieses Werk geschaffen haben. Oder was man davon weiß, hat gar nicht selten
die Wirkung, das frohe Guttmannslächeln in melancholischen Ernst umschlagen
zu lassen. Wir würden uns gern an allen den reichen Schönheiten erfreuen,
heißt es in einem Aufsatz des Meyerschen Universums, wenn nur die bösen
Träume nicht wären.

Der Aussatz sagt uns auch, was das für böse Träume sind, die die volle
Freude an diesen großen Schönheiten nicht aufkommen lassen: „Das Spielen
der Wasser ist ein charakteristisches Merkmal des achtzehnten Jahrhunderts.
Alles sollte sich den Launen fürstlicher Willkür fügen, warum nicht auch die
Elemente, warum nicht auch das Wasser? Es durch kunstreiche Bauten und
alle möglichen Zwangsmaßregeln bergauf zu treiben, statt ihm seinen natür¬
lichen Lauf zu lassen, Hunderttausende zu vergeuden, um so das Wasser in
des Menschen Dienst zu zwingen, nicht etwa zum Nutzen und Segen der Mit¬
menschen, sondern um die Prunksucht der Gebieter und die Schaulust müßiger
Gaffer zu befriedigen — das war so recht im Geiste jener übermütigen Großen,
die in allem, was zu ihrer Umgebung gehörte, nichts sahen als Werkzeuge
ihrer Unterhaltung, ihres Vergnügens. Was kümmerte es den Landgrafen
Karl, der die Wasserwerke anlegte und überhaupt den Karlsberg zu einem
Lustort wandelte, wenn während dem, daß er so Erstaunenswürdiges schuf,
sein Volk immer mehr ächzte und verkümmerte unter den auferlegten Steuern
und sein Land entvölkert ward, weil der spanische Successionskrieg seine besten
Söhne hinwegraffte, während die holländischen und englischen Subsidien des
Fürsten Taschen füllten!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/134>, abgerufen am 23.07.2024.