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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Militärische Rückblicke auf das Jahr 1.903

unsre Kraft aus, sagte General Picquart. Die Kommission, der wir die Prüfung
aller artilleristischen Fragen anvertraut haben, weiß, wie wir unsre Reserven
organisiert haben, die zu Friedenszeiten auf den Truppenübungsplätzen eingeübt
werden sollen. Auf diese Weise gewinnen wir Verstärkungsbatterien, die Deutsch¬
land nicht besitzt. Alles in allem ist unsre Organisation besser als die deutsche.
Die Zahl unsrer Geschütze ist bedeutend größer, als es im Augenblick den An¬
schein hat. Wir können uns daher mindestens als ebenbürtig betrachten." Der
Minister wies dann daraus hin, daß die französischen Geschütze 522 Schuß gegen
350 der deutschen haben, und rechtfertigte die Schaffung neuer Artillerieregimenter
mit der Notwendigkeit, eine ausgezeichnete Führung in der Feuerlinie sicherzustellen.
Der Appell an die patriotische Gesinnung der Volksvertreter ist denn auch nicht
ohne Erfolg geblieben, denn mit großer Majorität wurde am 23. Dezember 1908
die Bildung von 24 neuen Artillerieregimentern zu je 4 Geschützen mit der
Maßgabe angenommen, daß die ganze Neuorganisation der Artillerie nach zwei
Jahren durchgeführt sein soll, wonach jedes Armeekorps des französischen Heeres
mit 120 Geschützen ausgerüstet sein wird.

Von weitern wichtigen Neuerungen, die der Kriegsminister im vergangnen
Jahre verfügt hat, ist die durchgreifende Änderung der Vorschrift für die Wett¬
bewerbsprüfungen und die Zulassung zur obern Kriegsschule (unsre Kriegs¬
akademie) zunächst zu nennen. Nach den bisherigen Bestimmungen mußten die
Anwärter in dem Korpsstabsquartier eine schriftliche Prüfung und dann in
Paris eine mündliche Prüfung ablegen und auch ihre Reitfertigkeit nachweisen.
Fortan sind zwei schriftliche Examen am Sitz des Generalkommandos zu machen,
nach jedem von ihnen findet eine engere Auswahl statt, dann folgt in Paris
eine mündliche Prüfung der Bewerber, die die beiden schriftlichen Prüfungen
bestanden haben, sowie die Prüfung der Reitfertigkeit. Vom Ausfall der
mündlichen Prüfung hängt die endgiltige Aufnahme in die höchste militärische
Bildungsanstalt ab innerhalb des Umfangs der überhaupt zuzulassenden Offiziere.
Mit Erfolg hat sich Minister Picquart den Versuchen der Kammer und des
Senats widersetzt, die Übungen der Reservisten wesentlich zu kürzen und die
der Territorialen ganz ausfallen zu lassen. Allerdings hat es harte Kämpfe
gegeben, denn die Volksvertreter hatten von ihren Wählern sehr bestimmte
Weisungen erhalten, die darauf hinzielten, eine Verminderung der Lasten und
Unbequemlichkeiten langer Dienstperioden im Reserve- und Landwehrverhältnis
zu erreichen. Das endliche Resultat dieser langen Diskussionen ist nicht von
großer Bedeutung gewesen, denn die Übungsdauer wurde für die Reservisten,
die Tage des Eintritts und der Entlassung miteingerechnet, nur von 28 auf
23 Tage und für die Territorialen von 13 auf 9 Tage herabgesetzt. Im
Zusammenhang mit diesen Bemühungen des Kriegsministers im Interesse der
Bereitschaft des Feldheeres wie der Formationen zweiter Linie muß erwähnt
werden, daß sich der Minister auch der besondern Ausbildung der Reserve- und
Territorialoffiziere in geradezu vorbildlicher Weise angenommen hat. Und zwar


Militärische Rückblicke auf das Jahr 1.903

unsre Kraft aus, sagte General Picquart. Die Kommission, der wir die Prüfung
aller artilleristischen Fragen anvertraut haben, weiß, wie wir unsre Reserven
organisiert haben, die zu Friedenszeiten auf den Truppenübungsplätzen eingeübt
werden sollen. Auf diese Weise gewinnen wir Verstärkungsbatterien, die Deutsch¬
land nicht besitzt. Alles in allem ist unsre Organisation besser als die deutsche.
Die Zahl unsrer Geschütze ist bedeutend größer, als es im Augenblick den An¬
schein hat. Wir können uns daher mindestens als ebenbürtig betrachten." Der
Minister wies dann daraus hin, daß die französischen Geschütze 522 Schuß gegen
350 der deutschen haben, und rechtfertigte die Schaffung neuer Artillerieregimenter
mit der Notwendigkeit, eine ausgezeichnete Führung in der Feuerlinie sicherzustellen.
Der Appell an die patriotische Gesinnung der Volksvertreter ist denn auch nicht
ohne Erfolg geblieben, denn mit großer Majorität wurde am 23. Dezember 1908
die Bildung von 24 neuen Artillerieregimentern zu je 4 Geschützen mit der
Maßgabe angenommen, daß die ganze Neuorganisation der Artillerie nach zwei
Jahren durchgeführt sein soll, wonach jedes Armeekorps des französischen Heeres
mit 120 Geschützen ausgerüstet sein wird.

Von weitern wichtigen Neuerungen, die der Kriegsminister im vergangnen
Jahre verfügt hat, ist die durchgreifende Änderung der Vorschrift für die Wett¬
bewerbsprüfungen und die Zulassung zur obern Kriegsschule (unsre Kriegs¬
akademie) zunächst zu nennen. Nach den bisherigen Bestimmungen mußten die
Anwärter in dem Korpsstabsquartier eine schriftliche Prüfung und dann in
Paris eine mündliche Prüfung ablegen und auch ihre Reitfertigkeit nachweisen.
Fortan sind zwei schriftliche Examen am Sitz des Generalkommandos zu machen,
nach jedem von ihnen findet eine engere Auswahl statt, dann folgt in Paris
eine mündliche Prüfung der Bewerber, die die beiden schriftlichen Prüfungen
bestanden haben, sowie die Prüfung der Reitfertigkeit. Vom Ausfall der
mündlichen Prüfung hängt die endgiltige Aufnahme in die höchste militärische
Bildungsanstalt ab innerhalb des Umfangs der überhaupt zuzulassenden Offiziere.
Mit Erfolg hat sich Minister Picquart den Versuchen der Kammer und des
Senats widersetzt, die Übungen der Reservisten wesentlich zu kürzen und die
der Territorialen ganz ausfallen zu lassen. Allerdings hat es harte Kämpfe
gegeben, denn die Volksvertreter hatten von ihren Wählern sehr bestimmte
Weisungen erhalten, die darauf hinzielten, eine Verminderung der Lasten und
Unbequemlichkeiten langer Dienstperioden im Reserve- und Landwehrverhältnis
zu erreichen. Das endliche Resultat dieser langen Diskussionen ist nicht von
großer Bedeutung gewesen, denn die Übungsdauer wurde für die Reservisten,
die Tage des Eintritts und der Entlassung miteingerechnet, nur von 28 auf
23 Tage und für die Territorialen von 13 auf 9 Tage herabgesetzt. Im
Zusammenhang mit diesen Bemühungen des Kriegsministers im Interesse der
Bereitschaft des Feldheeres wie der Formationen zweiter Linie muß erwähnt
werden, daß sich der Minister auch der besondern Ausbildung der Reserve- und
Territorialoffiziere in geradezu vorbildlicher Weise angenommen hat. Und zwar


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[0127] Militärische Rückblicke auf das Jahr 1.903 unsre Kraft aus, sagte General Picquart. Die Kommission, der wir die Prüfung aller artilleristischen Fragen anvertraut haben, weiß, wie wir unsre Reserven organisiert haben, die zu Friedenszeiten auf den Truppenübungsplätzen eingeübt werden sollen. Auf diese Weise gewinnen wir Verstärkungsbatterien, die Deutsch¬ land nicht besitzt. Alles in allem ist unsre Organisation besser als die deutsche. Die Zahl unsrer Geschütze ist bedeutend größer, als es im Augenblick den An¬ schein hat. Wir können uns daher mindestens als ebenbürtig betrachten." Der Minister wies dann daraus hin, daß die französischen Geschütze 522 Schuß gegen 350 der deutschen haben, und rechtfertigte die Schaffung neuer Artillerieregimenter mit der Notwendigkeit, eine ausgezeichnete Führung in der Feuerlinie sicherzustellen. Der Appell an die patriotische Gesinnung der Volksvertreter ist denn auch nicht ohne Erfolg geblieben, denn mit großer Majorität wurde am 23. Dezember 1908 die Bildung von 24 neuen Artillerieregimentern zu je 4 Geschützen mit der Maßgabe angenommen, daß die ganze Neuorganisation der Artillerie nach zwei Jahren durchgeführt sein soll, wonach jedes Armeekorps des französischen Heeres mit 120 Geschützen ausgerüstet sein wird. Von weitern wichtigen Neuerungen, die der Kriegsminister im vergangnen Jahre verfügt hat, ist die durchgreifende Änderung der Vorschrift für die Wett¬ bewerbsprüfungen und die Zulassung zur obern Kriegsschule (unsre Kriegs¬ akademie) zunächst zu nennen. Nach den bisherigen Bestimmungen mußten die Anwärter in dem Korpsstabsquartier eine schriftliche Prüfung und dann in Paris eine mündliche Prüfung ablegen und auch ihre Reitfertigkeit nachweisen. Fortan sind zwei schriftliche Examen am Sitz des Generalkommandos zu machen, nach jedem von ihnen findet eine engere Auswahl statt, dann folgt in Paris eine mündliche Prüfung der Bewerber, die die beiden schriftlichen Prüfungen bestanden haben, sowie die Prüfung der Reitfertigkeit. Vom Ausfall der mündlichen Prüfung hängt die endgiltige Aufnahme in die höchste militärische Bildungsanstalt ab innerhalb des Umfangs der überhaupt zuzulassenden Offiziere. Mit Erfolg hat sich Minister Picquart den Versuchen der Kammer und des Senats widersetzt, die Übungen der Reservisten wesentlich zu kürzen und die der Territorialen ganz ausfallen zu lassen. Allerdings hat es harte Kämpfe gegeben, denn die Volksvertreter hatten von ihren Wählern sehr bestimmte Weisungen erhalten, die darauf hinzielten, eine Verminderung der Lasten und Unbequemlichkeiten langer Dienstperioden im Reserve- und Landwehrverhältnis zu erreichen. Das endliche Resultat dieser langen Diskussionen ist nicht von großer Bedeutung gewesen, denn die Übungsdauer wurde für die Reservisten, die Tage des Eintritts und der Entlassung miteingerechnet, nur von 28 auf 23 Tage und für die Territorialen von 13 auf 9 Tage herabgesetzt. Im Zusammenhang mit diesen Bemühungen des Kriegsministers im Interesse der Bereitschaft des Feldheeres wie der Formationen zweiter Linie muß erwähnt werden, daß sich der Minister auch der besondern Ausbildung der Reserve- und Territorialoffiziere in geradezu vorbildlicher Weise angenommen hat. Und zwar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/127>, abgerufen am 23.07.2024.