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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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solange es ihn mit fast all unsern illustrierten Zeitschriften, soweit sie Kunst¬
gewerbliches zeigen, teilt.

Kürzlich las ich in einem Berliner Blatte eine Anzeige ungefähr folgenden
Inhalts: ein Junggeselle bot seine Wohnungseinrichtung, bestehend aus drei
Zimmern, zum Kaufe an. Einer der ersten modernen Künstler hatte sie ihm
vor kurzem beschafft, aber nun war der Besitzer, ein Beamter, versetzt worden,
und da die Einrichtung für die bisherigen Mieträume zugeschnitten war, wollte
er die Harmonie nicht ohne Not zerstören.

Die Annonce scheint mir bezeichnend für eine ganz bestimmte Stellung des
Publikums oder doch eines gewissen Bruchteils vom Publikum zum neuen
Kunstgewerbe, zur modernen Wohnungsfrage überhaupt.

Auf der einen Seite haben wir die Produzenten, die künstlerischen Ver¬
treter des neuen Stils, oder besser der neuen, nicht mehr "stilvollen", sondern
möglichst zweckentsprechenden Gebrauchskunst. Auf der andern Seite hat sich
ein ziemlich ansehnliches Häuflein von Leuten zusammengefunden, die das plato¬
nische Freundschaftsverhältnis zu den hübschen Räumen und Dingen auf den
Ausstellungen satt haben und sich rechtschaffen auf die neue Art einrichten
wollen. Sie wollen womöglich nicht nur einzelne Möbel, sie wollen ganze
Räume ohne störendes Zubehör. Oho, sagt da eine sehr kräftige Stimme --
und wir? Und in stattlicher Reihe marschieren die Hausbesitzer auf und stellen
sich zwischen Produzenten und Konsumenten. Unsre Mietpaläste haben die
schönsten Räume von der Welt, sagen sie. Was soll nur das ewige Gerede
von der "Raumkunst"? Wir können euch die eine Etage oder gar nur die
halbe, die ihr uns aus den Zinshäusern abnehmen wollt, doch nicht eigens in
lauter Raumkunst verwandeln? Wände, Türen und Fenster stehn da, wie sie
stehn. Zu verrücken und umzugestalten ist hier nichts, höchstens tapezieren
lassen können wir. Da seufzt denn das Publikum, kauft sich die einzelnen
Möbelstücke je nach Geschmack zusammen und "gestaltet" mit ihnen, so gut es
eben gehn will, das städtische Nomadenheim. Wer weiß denn auch, wie lange
man darin wird Hausen können! Vereinzelte aber holen sich trotz alledem einen
Raumkünstler heran, damit er ihnen eine Einheit in der Wohnung schaffe. Das
sind dann jene, die, gleich dem oben zitierten Herrn, große Mühe aufwenden
müssen, wenn sie ans irgendeinem zwingenden Grunde ihre Wohnung wieder
loswerden wollen.

Dieser Grund, der für einen großen Teil unsrer Mitbürger besteht, für
die meisten höhern Beamten und Offiziere zum Beispiel, aber auch für zahl¬
reiche Angehörige der kaufmännischen, gewerblichen und Arbeiterkreise, dieser
Grund ist es auch, der die Bauentwicklung des Eigenhauses für die einzelne
Familie so sehr zurückhält. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Seßhaftig¬
keit sind nur für einen Teil der Bevölkerung gegeben. Sehen wir vom flachen
Lande ab, beschränken wir uns auf die Städte, und im besondern auf die größern
Städte als die natürlichen Ansatzpunkte für die neue Baugesinnung, so schätzen


solange es ihn mit fast all unsern illustrierten Zeitschriften, soweit sie Kunst¬
gewerbliches zeigen, teilt.

Kürzlich las ich in einem Berliner Blatte eine Anzeige ungefähr folgenden
Inhalts: ein Junggeselle bot seine Wohnungseinrichtung, bestehend aus drei
Zimmern, zum Kaufe an. Einer der ersten modernen Künstler hatte sie ihm
vor kurzem beschafft, aber nun war der Besitzer, ein Beamter, versetzt worden,
und da die Einrichtung für die bisherigen Mieträume zugeschnitten war, wollte
er die Harmonie nicht ohne Not zerstören.

Die Annonce scheint mir bezeichnend für eine ganz bestimmte Stellung des
Publikums oder doch eines gewissen Bruchteils vom Publikum zum neuen
Kunstgewerbe, zur modernen Wohnungsfrage überhaupt.

Auf der einen Seite haben wir die Produzenten, die künstlerischen Ver¬
treter des neuen Stils, oder besser der neuen, nicht mehr „stilvollen", sondern
möglichst zweckentsprechenden Gebrauchskunst. Auf der andern Seite hat sich
ein ziemlich ansehnliches Häuflein von Leuten zusammengefunden, die das plato¬
nische Freundschaftsverhältnis zu den hübschen Räumen und Dingen auf den
Ausstellungen satt haben und sich rechtschaffen auf die neue Art einrichten
wollen. Sie wollen womöglich nicht nur einzelne Möbel, sie wollen ganze
Räume ohne störendes Zubehör. Oho, sagt da eine sehr kräftige Stimme —
und wir? Und in stattlicher Reihe marschieren die Hausbesitzer auf und stellen
sich zwischen Produzenten und Konsumenten. Unsre Mietpaläste haben die
schönsten Räume von der Welt, sagen sie. Was soll nur das ewige Gerede
von der „Raumkunst"? Wir können euch die eine Etage oder gar nur die
halbe, die ihr uns aus den Zinshäusern abnehmen wollt, doch nicht eigens in
lauter Raumkunst verwandeln? Wände, Türen und Fenster stehn da, wie sie
stehn. Zu verrücken und umzugestalten ist hier nichts, höchstens tapezieren
lassen können wir. Da seufzt denn das Publikum, kauft sich die einzelnen
Möbelstücke je nach Geschmack zusammen und „gestaltet" mit ihnen, so gut es
eben gehn will, das städtische Nomadenheim. Wer weiß denn auch, wie lange
man darin wird Hausen können! Vereinzelte aber holen sich trotz alledem einen
Raumkünstler heran, damit er ihnen eine Einheit in der Wohnung schaffe. Das
sind dann jene, die, gleich dem oben zitierten Herrn, große Mühe aufwenden
müssen, wenn sie ans irgendeinem zwingenden Grunde ihre Wohnung wieder
loswerden wollen.

Dieser Grund, der für einen großen Teil unsrer Mitbürger besteht, für
die meisten höhern Beamten und Offiziere zum Beispiel, aber auch für zahl¬
reiche Angehörige der kaufmännischen, gewerblichen und Arbeiterkreise, dieser
Grund ist es auch, der die Bauentwicklung des Eigenhauses für die einzelne
Familie so sehr zurückhält. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Seßhaftig¬
keit sind nur für einen Teil der Bevölkerung gegeben. Sehen wir vom flachen
Lande ab, beschränken wir uns auf die Städte, und im besondern auf die größern
Städte als die natürlichen Ansatzpunkte für die neue Baugesinnung, so schätzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/93>, abgerufen am 24.07.2024.