Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Johann vom Kreuz Gespräch mit Teresa begriffen, in die Luft emporgerissen. Man will beide Seinen Prosaschriften (nebst den Gedichten und einer Biographie deutsch Und die erste Strophe des zweiten, dem Hohenliede nachgebildeten: Die der Vereinigung mit Gott zustrebende Seele, lehrt Johann, hat zwei Johann vom Kreuz Gespräch mit Teresa begriffen, in die Luft emporgerissen. Man will beide Seinen Prosaschriften (nebst den Gedichten und einer Biographie deutsch Und die erste Strophe des zweiten, dem Hohenliede nachgebildeten: Die der Vereinigung mit Gott zustrebende Seele, lehrt Johann, hat zwei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312164"/> <fw type="header" place="top"> Johann vom Kreuz</fw><lb/> <p xml:id="ID_1929" prev="#ID_1928"> Gespräch mit Teresa begriffen, in die Luft emporgerissen. Man will beide<lb/> zugleich in der Luft schwebend gesehn haben. Zwei Nonnen befreite er mit<lb/> seinen überaus kräftigen Exorzismen vom Teufel, der des Heiligen Gestalt<lb/> annahm, in dieser Gestalt sie besuchte und sie durch schändliche, denen Johanns<lb/> entgegengesetzte Lehren zu verführen strebte; auch schriftliche Anweisungen über¬<lb/> brachte er ihnen als von ihrem Beichtvater gesandt, indem er dessen Handschrift<lb/> fälschte. Als 1576 die Karmeliter der milden Observanz beschlossen hatten, die<lb/> Reform zu unterdrücken, kamen ihre Bevollmächtigten nach Avila, erbrachen die<lb/> Hütte, in der Johann mit einem Laienbruder wohnte, und führten ihn nach<lb/> Toledo. In ihrem dortigen Kloster sperrten sie ihn in ein enges, fensterloses<lb/> stinkendes Kümmerchen, worin er die schönsten seiner Lieder gedichtet hat. All¬<lb/> abendlich wurde er in den Speisesaal befohlen, mußte sich entblößen und an<lb/> den in Reihe und Glied stehenden Brüdern vorüberschreiten, deren jeder ihm<lb/> eine vorgeschriebne Zahl von Geißelhieben versetzte. Während dann die übrigen<lb/> speisten, bekam er seine karge tägliche Brotportion mit Wasser, die er auf dem<lb/> Fußboden sitzend verzehren mußte. Bei der Mahlzeit, und auch sonst vor der<lb/> dünnen Bretterwand seines Gefängnisses, setzten die frommen Brüder die<lb/> Geißelung mit ihren Zungen fort, indem sie einander alle erdenklichen Schänd¬<lb/> lichkeiten von ihm erzählten. Als man wahrnahm, daß er die tägliche Geißelung<lb/> nicht länger aushielt, beschränkte man sie auf dreimal in der Woche und dann<lb/> auf jeden Freitag. Nach zwei Jahren erschien ihm die heilige Jungfrau und<lb/> verhieß ihm baldige Erlösung; dann erschien Christus selbst mit seiner Mutter,<lb/> die ihn beide zur Flucht ermunterten, und diese gelang unter wunderbarem<lb/> himmlischem Beistand. Es waren ihm noch einige Jahre friedlichen Wirkens<lb/> beschert, aber gegen sein Lebensende, das 1591 eintrat, wiederholte sich die<lb/> Verfolgung noch einmal.</p><lb/> <p xml:id="ID_1930"> Seinen Prosaschriften (nebst den Gedichten und einer Biographie deutsch<lb/> herausgegeben von Gallus Schwab und Magnus Jocham, Regensburg 1859)<lb/> hat Johann die Form von Kommentarien zu zweien seiner Lieder gegeben. In<lb/> Diepenbrocks Übersetzung lautet die erste Strophe des ersten:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_14" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1931"> Und die erste Strophe des zweiten, dem Hohenliede nachgebildeten:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_15" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1932" next="#ID_1933"> Die der Vereinigung mit Gott zustrebende Seele, lehrt Johann, hat zwei<lb/> Nächte zu durchwandern. Beide erzeugt sie selbst, die erste dadurch, daß sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
Johann vom Kreuz
Gespräch mit Teresa begriffen, in die Luft emporgerissen. Man will beide
zugleich in der Luft schwebend gesehn haben. Zwei Nonnen befreite er mit
seinen überaus kräftigen Exorzismen vom Teufel, der des Heiligen Gestalt
annahm, in dieser Gestalt sie besuchte und sie durch schändliche, denen Johanns
entgegengesetzte Lehren zu verführen strebte; auch schriftliche Anweisungen über¬
brachte er ihnen als von ihrem Beichtvater gesandt, indem er dessen Handschrift
fälschte. Als 1576 die Karmeliter der milden Observanz beschlossen hatten, die
Reform zu unterdrücken, kamen ihre Bevollmächtigten nach Avila, erbrachen die
Hütte, in der Johann mit einem Laienbruder wohnte, und führten ihn nach
Toledo. In ihrem dortigen Kloster sperrten sie ihn in ein enges, fensterloses
stinkendes Kümmerchen, worin er die schönsten seiner Lieder gedichtet hat. All¬
abendlich wurde er in den Speisesaal befohlen, mußte sich entblößen und an
den in Reihe und Glied stehenden Brüdern vorüberschreiten, deren jeder ihm
eine vorgeschriebne Zahl von Geißelhieben versetzte. Während dann die übrigen
speisten, bekam er seine karge tägliche Brotportion mit Wasser, die er auf dem
Fußboden sitzend verzehren mußte. Bei der Mahlzeit, und auch sonst vor der
dünnen Bretterwand seines Gefängnisses, setzten die frommen Brüder die
Geißelung mit ihren Zungen fort, indem sie einander alle erdenklichen Schänd¬
lichkeiten von ihm erzählten. Als man wahrnahm, daß er die tägliche Geißelung
nicht länger aushielt, beschränkte man sie auf dreimal in der Woche und dann
auf jeden Freitag. Nach zwei Jahren erschien ihm die heilige Jungfrau und
verhieß ihm baldige Erlösung; dann erschien Christus selbst mit seiner Mutter,
die ihn beide zur Flucht ermunterten, und diese gelang unter wunderbarem
himmlischem Beistand. Es waren ihm noch einige Jahre friedlichen Wirkens
beschert, aber gegen sein Lebensende, das 1591 eintrat, wiederholte sich die
Verfolgung noch einmal.
Seinen Prosaschriften (nebst den Gedichten und einer Biographie deutsch
herausgegeben von Gallus Schwab und Magnus Jocham, Regensburg 1859)
hat Johann die Form von Kommentarien zu zweien seiner Lieder gegeben. In
Diepenbrocks Übersetzung lautet die erste Strophe des ersten:
Und die erste Strophe des zweiten, dem Hohenliede nachgebildeten:
Die der Vereinigung mit Gott zustrebende Seele, lehrt Johann, hat zwei
Nächte zu durchwandern. Beide erzeugt sie selbst, die erste dadurch, daß sie
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |