Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Russische Briefe Machtstellung der Monarchie, häufig sogar zum Schaden der polnischen Inter¬ Es konnte somit den Anschein erwecken, als befinde sich die polnische Im Leben der polnischen Gesellschaft begann dann nach dem Jahre 1864 "Auf dem Boden der Demokratisierung der Gesellschaft entwickelte sich ein Der polnische politische Gedanke erkennt, daß die Zeit des bewaffneten Die deutsche Bevölkerung des Großherzogtums Posen ist seit den 1870 er Dann heißt es weiter: "Zu derselben Zeit findet eine nationale Wieder¬ Russische Briefe Machtstellung der Monarchie, häufig sogar zum Schaden der polnischen Inter¬ Es konnte somit den Anschein erwecken, als befinde sich die polnische Im Leben der polnischen Gesellschaft begann dann nach dem Jahre 1864 „Auf dem Boden der Demokratisierung der Gesellschaft entwickelte sich ein Der polnische politische Gedanke erkennt, daß die Zeit des bewaffneten Die deutsche Bevölkerung des Großherzogtums Posen ist seit den 1870 er Dann heißt es weiter: „Zu derselben Zeit findet eine nationale Wieder¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312144"/> <fw type="header" place="top"> Russische Briefe</fw><lb/> <p xml:id="ID_1843" prev="#ID_1842"> Machtstellung der Monarchie, häufig sogar zum Schaden der polnischen Inter¬<lb/> essen (!). Die polnischen Volksvertreter setzten dem Bündnis mit Dentschland<lb/> keine Hindernisse entgegen; auch einer Annäherung an Rußland bereiteten sie<lb/> keinen Widerstand. Die Anerkennung der nationalen Rechte der Polen in<lb/> Österreich gestaltete sich somit zu einer glücklichen Maßnahme, die polnische<lb/> Frage zu regeln."</p><lb/> <p xml:id="ID_1844"> Es konnte somit den Anschein erwecken, als befinde sich die polnische<lb/> Frage überall auf dem Wege zur völligen Liquidation. „Jedoch nur in dem<lb/> Falle, wenn man das innere Leben des polnischen Volkes und seiner Gesell¬<lb/> schaft vollständig ignorierte." Dieser Satz des polnischen Führers sei ganz be¬<lb/> sonders Professor Delbrück vorgehalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1845"> Im Leben der polnischen Gesellschaft begann dann nach dem Jahre 1864<lb/> eine neue Periode der patriotischen Arbeit, die unter ganz andern Bedingungen<lb/> vonstattcn ging als zu früherer Zeit. Wegen dieses Teils der Entwicklung<lb/> möchte ich auf den zweiten Band meines Buches „Die Zukunft Polens" ver¬<lb/> weisen. Nach Dmowski richtete sich in dieser Periode die nationale Energie<lb/> nicht mehr nach außen oder nach oben, sondern nach innen hinein, in das<lb/> Herz des Volkes. „Dadurch wurde die ganze Struktur und der Charakter der<lb/> Gesellschaft verändert. Der Schwerpunkt des nationalen Lebens wurde immer<lb/> mehr von den obersten Schichten zu den Volksmassen abgelenkt; zugleich ent¬<lb/> wickelte sich innerhalb der Massen die nationale Selbsterkenntnis." Dmowski<lb/> Übersicht den stärkenden Einfluß des volontierten deutschen Elements.</p><lb/> <p xml:id="ID_1846"> „Auf dem Boden der Demokratisierung der Gesellschaft entwickelte sich ein<lb/> neuer Begriff der nationalen Stärke. Neue politische Energie verschafft sich<lb/> Geltung, die das neuheranwachsende Geschlecht vom alten unterscheidet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1847"> Der polnische politische Gedanke erkennt, daß die Zeit des bewaffneten<lb/> Kampfes um die Unabhängigkeit, die Zeit der Aufstände abgeschlossen sei; er<lb/> strebt danach, die Polenfrage, indem er sie verschärft, immer mehr zu einer<lb/> wesentlichen Frage innerhalb der einzelnen Teilungsmächte zu machen und sie auf<lb/> diese Weise zu einer Tagesfrage der internationalen Beziehungen zu erheben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1848"> Die deutsche Bevölkerung des Großherzogtums Posen ist seit den 1870 er<lb/> Jahren von 45 auf 38,5 Prozent zurückgegangen; die Städte werden polonisiert,<lb/> sie werden nicht nur von den Deutschen, sondern auch von germanisierten<lb/> Juden verlassen, deren Zahl unaufhörlich abgenommen hat und zurzeit bis<lb/> auf 1,5 Prozent gesunken ist." An dieser Stelle überschätzt jedoch Dmowski die<lb/> Stärke der Polen. Denn er übersieht den Grund für den Abzug des deutschen<lb/> Elements: die großen wirtschaftlichen Interessen im Westen des Reichs.</p><lb/> <p xml:id="ID_1849" next="#ID_1850"> Dann heißt es weiter: „Zu derselben Zeit findet eine nationale Wieder¬<lb/> geburt in Polnisch-Schlesien statt. Dies Gebiet schien endgiltig germanisiert.<lb/> Nicht nur die polnischen obersten Schichten waren geschwunden; die schlesische<lb/> Bauernschaft selbst hielt sich für durchaus treue Preußen. Der Kulturkampf<lb/> hat die polnische Bevölkerung erweckt. ... Die Abonnentenzahl der polnischen<lb/> Zeitungen in Schlesien übertrifft die der polnischen Zeitungen im Zartum und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0459]
Russische Briefe
Machtstellung der Monarchie, häufig sogar zum Schaden der polnischen Inter¬
essen (!). Die polnischen Volksvertreter setzten dem Bündnis mit Dentschland
keine Hindernisse entgegen; auch einer Annäherung an Rußland bereiteten sie
keinen Widerstand. Die Anerkennung der nationalen Rechte der Polen in
Österreich gestaltete sich somit zu einer glücklichen Maßnahme, die polnische
Frage zu regeln."
Es konnte somit den Anschein erwecken, als befinde sich die polnische
Frage überall auf dem Wege zur völligen Liquidation. „Jedoch nur in dem
Falle, wenn man das innere Leben des polnischen Volkes und seiner Gesell¬
schaft vollständig ignorierte." Dieser Satz des polnischen Führers sei ganz be¬
sonders Professor Delbrück vorgehalten.
Im Leben der polnischen Gesellschaft begann dann nach dem Jahre 1864
eine neue Periode der patriotischen Arbeit, die unter ganz andern Bedingungen
vonstattcn ging als zu früherer Zeit. Wegen dieses Teils der Entwicklung
möchte ich auf den zweiten Band meines Buches „Die Zukunft Polens" ver¬
weisen. Nach Dmowski richtete sich in dieser Periode die nationale Energie
nicht mehr nach außen oder nach oben, sondern nach innen hinein, in das
Herz des Volkes. „Dadurch wurde die ganze Struktur und der Charakter der
Gesellschaft verändert. Der Schwerpunkt des nationalen Lebens wurde immer
mehr von den obersten Schichten zu den Volksmassen abgelenkt; zugleich ent¬
wickelte sich innerhalb der Massen die nationale Selbsterkenntnis." Dmowski
Übersicht den stärkenden Einfluß des volontierten deutschen Elements.
„Auf dem Boden der Demokratisierung der Gesellschaft entwickelte sich ein
neuer Begriff der nationalen Stärke. Neue politische Energie verschafft sich
Geltung, die das neuheranwachsende Geschlecht vom alten unterscheidet.
Der polnische politische Gedanke erkennt, daß die Zeit des bewaffneten
Kampfes um die Unabhängigkeit, die Zeit der Aufstände abgeschlossen sei; er
strebt danach, die Polenfrage, indem er sie verschärft, immer mehr zu einer
wesentlichen Frage innerhalb der einzelnen Teilungsmächte zu machen und sie auf
diese Weise zu einer Tagesfrage der internationalen Beziehungen zu erheben.
Die deutsche Bevölkerung des Großherzogtums Posen ist seit den 1870 er
Jahren von 45 auf 38,5 Prozent zurückgegangen; die Städte werden polonisiert,
sie werden nicht nur von den Deutschen, sondern auch von germanisierten
Juden verlassen, deren Zahl unaufhörlich abgenommen hat und zurzeit bis
auf 1,5 Prozent gesunken ist." An dieser Stelle überschätzt jedoch Dmowski die
Stärke der Polen. Denn er übersieht den Grund für den Abzug des deutschen
Elements: die großen wirtschaftlichen Interessen im Westen des Reichs.
Dann heißt es weiter: „Zu derselben Zeit findet eine nationale Wieder¬
geburt in Polnisch-Schlesien statt. Dies Gebiet schien endgiltig germanisiert.
Nicht nur die polnischen obersten Schichten waren geschwunden; die schlesische
Bauernschaft selbst hielt sich für durchaus treue Preußen. Der Kulturkampf
hat die polnische Bevölkerung erweckt. ... Die Abonnentenzahl der polnischen
Zeitungen in Schlesien übertrifft die der polnischen Zeitungen im Zartum und
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