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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das vorgoethische Weimar

Ständen muß ich öffentlich nachrühmen, daß sie sich als rechtschaffene Patrioten
erwiesen und die unumgängliche notwendige Landesbedürfnisse ohne Zurückhaltung
gerne bewilliget."

Dieser Ton paßte vollkommen in eine Zeit, wo sich die Bevölkerung eines
deutschen Kleinstaates noch als eine große Familie fühlte und in dem Landes¬
herrn tatsächlich auch den Landesvater sah.

Die Fürstentümer Weimar und Eisenach waren wirtschaftlich durchaus nicht
auf das "Ausland" angewiesen, sie produzierten alles, was sie brauchten, vielleicht
mit Ausnahme einiger Luxusartikel, selbst. Handel und Wandel waren durch
gesetzliche Vorschriften, Privilegien und Taxen geregelt, gesichert und bis zu
einem gewissen Grade auch eingeschränkt; Grundsatz war, daß "Erzeuger und
Verbraucher einander in die Augen sehn mußten". Am besten standen sich die
Handwerker. Sie waren durch ihre Innungen vor unliebsamer Konkurrenz
geschützt, sie arbeiteten nicht gerade mit Überstürzung, dafür aber mit Geschick-
lichkeit und Liebe und waren in ihrem Fache mehr oder weniger Künstler. Der
Zwischenhandel galt noch als Wucher, "nur Ernte und Arbeitslohn galten als
ehrliche und christliche Einnahmen". Wenn sich bei außerordentlichen Ereignissen
die bestehenden Verordnungen als unzureichend erwiesen, griff die Landesherr¬
schaft fürsorglich ein: so verbot Amalie bei schlechten Ernten die Verwendung
von Korn zum Branntweinbrennen oder bei einer Fleischteuerung die Viehausfuhr.
Den Judenzoll hob sie auf, beließ es jedoch bei der Bestimmung, daß die Juden
für jeden Tag Aufenthalt im Lande einen Taler zu zahlen hatten.

Der Großgrundbesitz galt noch nicht als beliebig veräußer- oder teilbares
Eigentum, sondern als Lehn. Der Erbe mußte den Lehnseid leisten und dabei
gewisse Abgaben zahlen. Starb die Familie aus, oder machte sich der Lehns¬
träger eines gemeinen Verbrechens schuldig, so fiel das Gut an die Herrschaft
zurück. Dafür waren die Gutsbesitzer auch hoffähig, regierten als "Stände" mit,
..hatten im Theater einen besonderen Platz und konnten in Weimar mit vollem
Geläut Schlitten fahren".

Viel schlimmer waren die Bauern daran, da sie für ihre Produkte an
bestimmte Absatzgebiete und Preise gebunden waren und bedeutende Abgaben an
Geld und Naturalien zu entrichten hatten. Am schwersten empfanden sie wohl
ihre Verpflichtung zu Hand- und Spanndiensten. Doch schaffte Amalie hier
Wandlung, indem sie die Fromm bei fürstlichen Bauten durch eine sehr mäßige
Steuer ablöste und die Holzfuhren der "Küchenamts-Untertanen" in eine Geld¬
abgabe verwandelte.

Die Häuser, sogar die in der Residenz, waren aus Holz und Lehm gebaut
und mit Stroh oder Schindeln gedeckt. Ihr Wert war deshalb gering, die
Feuersgefahr dafür um so größer. Die Herzogin suchte darauf hinzuwirken, daß
'hre Untertanen zur Bedachung mit Ziegeln übergingen, für Neubauten ordnete
sie solche durch eine Vorschrift von 1768 an; wer alte Häuser mit Ziegeln deckte,
erhielt den fünften Teil der Kosten ersetzt. Die wichtigste Regierungshandlung


Grenzboten II 1908 S3
Das vorgoethische Weimar

Ständen muß ich öffentlich nachrühmen, daß sie sich als rechtschaffene Patrioten
erwiesen und die unumgängliche notwendige Landesbedürfnisse ohne Zurückhaltung
gerne bewilliget."

Dieser Ton paßte vollkommen in eine Zeit, wo sich die Bevölkerung eines
deutschen Kleinstaates noch als eine große Familie fühlte und in dem Landes¬
herrn tatsächlich auch den Landesvater sah.

Die Fürstentümer Weimar und Eisenach waren wirtschaftlich durchaus nicht
auf das „Ausland" angewiesen, sie produzierten alles, was sie brauchten, vielleicht
mit Ausnahme einiger Luxusartikel, selbst. Handel und Wandel waren durch
gesetzliche Vorschriften, Privilegien und Taxen geregelt, gesichert und bis zu
einem gewissen Grade auch eingeschränkt; Grundsatz war, daß „Erzeuger und
Verbraucher einander in die Augen sehn mußten". Am besten standen sich die
Handwerker. Sie waren durch ihre Innungen vor unliebsamer Konkurrenz
geschützt, sie arbeiteten nicht gerade mit Überstürzung, dafür aber mit Geschick-
lichkeit und Liebe und waren in ihrem Fache mehr oder weniger Künstler. Der
Zwischenhandel galt noch als Wucher, „nur Ernte und Arbeitslohn galten als
ehrliche und christliche Einnahmen". Wenn sich bei außerordentlichen Ereignissen
die bestehenden Verordnungen als unzureichend erwiesen, griff die Landesherr¬
schaft fürsorglich ein: so verbot Amalie bei schlechten Ernten die Verwendung
von Korn zum Branntweinbrennen oder bei einer Fleischteuerung die Viehausfuhr.
Den Judenzoll hob sie auf, beließ es jedoch bei der Bestimmung, daß die Juden
für jeden Tag Aufenthalt im Lande einen Taler zu zahlen hatten.

Der Großgrundbesitz galt noch nicht als beliebig veräußer- oder teilbares
Eigentum, sondern als Lehn. Der Erbe mußte den Lehnseid leisten und dabei
gewisse Abgaben zahlen. Starb die Familie aus, oder machte sich der Lehns¬
träger eines gemeinen Verbrechens schuldig, so fiel das Gut an die Herrschaft
zurück. Dafür waren die Gutsbesitzer auch hoffähig, regierten als „Stände" mit,
..hatten im Theater einen besonderen Platz und konnten in Weimar mit vollem
Geläut Schlitten fahren".

Viel schlimmer waren die Bauern daran, da sie für ihre Produkte an
bestimmte Absatzgebiete und Preise gebunden waren und bedeutende Abgaben an
Geld und Naturalien zu entrichten hatten. Am schwersten empfanden sie wohl
ihre Verpflichtung zu Hand- und Spanndiensten. Doch schaffte Amalie hier
Wandlung, indem sie die Fromm bei fürstlichen Bauten durch eine sehr mäßige
Steuer ablöste und die Holzfuhren der „Küchenamts-Untertanen" in eine Geld¬
abgabe verwandelte.

Die Häuser, sogar die in der Residenz, waren aus Holz und Lehm gebaut
und mit Stroh oder Schindeln gedeckt. Ihr Wert war deshalb gering, die
Feuersgefahr dafür um so größer. Die Herzogin suchte darauf hinzuwirken, daß
'hre Untertanen zur Bedachung mit Ziegeln übergingen, für Neubauten ordnete
sie solche durch eine Vorschrift von 1768 an; wer alte Häuser mit Ziegeln deckte,
erhielt den fünften Teil der Kosten ersetzt. Die wichtigste Regierungshandlung


Grenzboten II 1908 S3
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[0421] Das vorgoethische Weimar Ständen muß ich öffentlich nachrühmen, daß sie sich als rechtschaffene Patrioten erwiesen und die unumgängliche notwendige Landesbedürfnisse ohne Zurückhaltung gerne bewilliget." Dieser Ton paßte vollkommen in eine Zeit, wo sich die Bevölkerung eines deutschen Kleinstaates noch als eine große Familie fühlte und in dem Landes¬ herrn tatsächlich auch den Landesvater sah. Die Fürstentümer Weimar und Eisenach waren wirtschaftlich durchaus nicht auf das „Ausland" angewiesen, sie produzierten alles, was sie brauchten, vielleicht mit Ausnahme einiger Luxusartikel, selbst. Handel und Wandel waren durch gesetzliche Vorschriften, Privilegien und Taxen geregelt, gesichert und bis zu einem gewissen Grade auch eingeschränkt; Grundsatz war, daß „Erzeuger und Verbraucher einander in die Augen sehn mußten". Am besten standen sich die Handwerker. Sie waren durch ihre Innungen vor unliebsamer Konkurrenz geschützt, sie arbeiteten nicht gerade mit Überstürzung, dafür aber mit Geschick- lichkeit und Liebe und waren in ihrem Fache mehr oder weniger Künstler. Der Zwischenhandel galt noch als Wucher, „nur Ernte und Arbeitslohn galten als ehrliche und christliche Einnahmen". Wenn sich bei außerordentlichen Ereignissen die bestehenden Verordnungen als unzureichend erwiesen, griff die Landesherr¬ schaft fürsorglich ein: so verbot Amalie bei schlechten Ernten die Verwendung von Korn zum Branntweinbrennen oder bei einer Fleischteuerung die Viehausfuhr. Den Judenzoll hob sie auf, beließ es jedoch bei der Bestimmung, daß die Juden für jeden Tag Aufenthalt im Lande einen Taler zu zahlen hatten. Der Großgrundbesitz galt noch nicht als beliebig veräußer- oder teilbares Eigentum, sondern als Lehn. Der Erbe mußte den Lehnseid leisten und dabei gewisse Abgaben zahlen. Starb die Familie aus, oder machte sich der Lehns¬ träger eines gemeinen Verbrechens schuldig, so fiel das Gut an die Herrschaft zurück. Dafür waren die Gutsbesitzer auch hoffähig, regierten als „Stände" mit, ..hatten im Theater einen besonderen Platz und konnten in Weimar mit vollem Geläut Schlitten fahren". Viel schlimmer waren die Bauern daran, da sie für ihre Produkte an bestimmte Absatzgebiete und Preise gebunden waren und bedeutende Abgaben an Geld und Naturalien zu entrichten hatten. Am schwersten empfanden sie wohl ihre Verpflichtung zu Hand- und Spanndiensten. Doch schaffte Amalie hier Wandlung, indem sie die Fromm bei fürstlichen Bauten durch eine sehr mäßige Steuer ablöste und die Holzfuhren der „Küchenamts-Untertanen" in eine Geld¬ abgabe verwandelte. Die Häuser, sogar die in der Residenz, waren aus Holz und Lehm gebaut und mit Stroh oder Schindeln gedeckt. Ihr Wert war deshalb gering, die Feuersgefahr dafür um so größer. Die Herzogin suchte darauf hinzuwirken, daß 'hre Untertanen zur Bedachung mit Ziegeln übergingen, für Neubauten ordnete sie solche durch eine Vorschrift von 1768 an; wer alte Häuser mit Ziegeln deckte, erhielt den fünften Teil der Kosten ersetzt. Die wichtigste Regierungshandlung Grenzboten II 1908 S3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/421>, abgerufen am 24.07.2024.