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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Neue Uunstbücher

Adam kommen, um von dem einzelnen eine Vorstellung zu geben, gegen hundert
Artikel. 42 davon betreffen französische, 32 deutsche Meister; die beiden englischen
Joseph Adam, wohl Vater und Sohn, hätten sich vielleicht noch besser zu"
einander passend fassen lassen. Im ganzen sind wir nach Einsicht in den vorliegenden
ersten Band der Meinung, daß dieses Unternehmen, so erwünscht und nützlich
es allen eindringendem Interessen für bildende Kunst entgegenkommt, heute nicht
besser ausgeführt werden könnte, und wünschen ihm guten Fortgang, günstige
Teilnahme und dankbare Benutzung.

Gehört ein solches Werk zunächst in alle öffentlichen Sammlungen und statt¬
lichem Liebhaberbibliotheken, so halten wir "Die Kunst der Jahrhunderte" -- einen
über achthundert Seiten starken, bis gegen Ende der italienischen Hochrenaissance
erzählenden Band von Anton Kisa (Spemann) -- für besonders geeignetem
wissenschaftlich anspruchslosern Kreisen aus ihm vorzulesen. Kisa gibt in fließender,
zum Teil altfeuilletonistischer Erzählungsweise alles das, was neuerdings, um
für spezielle moderne Zwecke Raum zu gewinnen, aus den Kunstgeschichten
weggelassen zu werden pflegt, besonders Kulturunterbau und Anekdoten. Als
ich Gymnasiast war, war es in unsrer Schule Brauch, den Klassenlehrer in der
letzten Stunde vor Weihnachten zu bitten, etwas vorzulesen oder vorlesen zu
lassen. Die Stimmung dieser Dezembernachmittagsstunde, in einer sich unmittelbar
vor Weihnachten gelassen und traulich beisammen fühlenden Sekunda bei einem
Dutzend leise singender Gasflammen, hat für mich Kisas Buch. Was er und
wie er von Karls des Großen Kunstpflege oder von Michelangelo, von Pompeji
oder von Bernward von Hildesheim erzählt -- mit Seitenlängen Zitaten aus
Bulwer, Goethe, Taine, Vasari -- oder von den Gebrüdern Boisseree als Ein¬
leitung zur altdeutschen Malerei, als ob er mit ihnen in dem alten Kölner
Schutt herumgestöbert Hütte, das enthält so viel Erfahrung und wird so behaglich
geboten, daß es für den Neuling wohl besonders anziehend und unterrichtend ist.

Als eine moderne Ergänzung zu Kisa könnte man das neuste Buch des
kunstschriftstellerisch recht fruchtbaren Königsberger Professors Haendcke bezeichnen
"Kunstanalysen aus neunzehn Jahrhunderten" (G. Westermann). Haendcke, nun
auch zu der Gefolgschaft jener modernen Kunsthistorikergruppe zu zählen, die
eigentlich nur mit künstlerischem Bewußtsein sehen lehren will, verzichtet auf das
biographische und anekdotische, ja auch auf den historischen Zusammenhang und
fragt bloß: Was kann ich über dieses oder jenes Kunstwerk aussagen so. daß
ich feine charakteristischsten Reize auf mein Auge ausspreche? Man hat diese
Frage bis jetzt mit voller Energie erst an eine kleine Anzahl hervorragender
Werke klassischer Zeiten und ihrer Nachbarschaft und an Modernes gestellt;
Haendcke legt sie hier zum erstenmal systematisch einem Gang durch die gesamte
Kunstgeschichte der christlichen Zeitrechnung zugrunde. Natürlich kann er da nur
auswählen; von Dürers Gemälden zum Beispiel bespricht er nur das Nosen-
kranzfest. den Dresdner Christus und die Apostel, von denen Rembrandts nur
die Mühle, die Berliner Susanna und die erste Anatomie. Da ihn aber dabei


Neue Uunstbücher

Adam kommen, um von dem einzelnen eine Vorstellung zu geben, gegen hundert
Artikel. 42 davon betreffen französische, 32 deutsche Meister; die beiden englischen
Joseph Adam, wohl Vater und Sohn, hätten sich vielleicht noch besser zu«
einander passend fassen lassen. Im ganzen sind wir nach Einsicht in den vorliegenden
ersten Band der Meinung, daß dieses Unternehmen, so erwünscht und nützlich
es allen eindringendem Interessen für bildende Kunst entgegenkommt, heute nicht
besser ausgeführt werden könnte, und wünschen ihm guten Fortgang, günstige
Teilnahme und dankbare Benutzung.

Gehört ein solches Werk zunächst in alle öffentlichen Sammlungen und statt¬
lichem Liebhaberbibliotheken, so halten wir „Die Kunst der Jahrhunderte" — einen
über achthundert Seiten starken, bis gegen Ende der italienischen Hochrenaissance
erzählenden Band von Anton Kisa (Spemann) — für besonders geeignetem
wissenschaftlich anspruchslosern Kreisen aus ihm vorzulesen. Kisa gibt in fließender,
zum Teil altfeuilletonistischer Erzählungsweise alles das, was neuerdings, um
für spezielle moderne Zwecke Raum zu gewinnen, aus den Kunstgeschichten
weggelassen zu werden pflegt, besonders Kulturunterbau und Anekdoten. Als
ich Gymnasiast war, war es in unsrer Schule Brauch, den Klassenlehrer in der
letzten Stunde vor Weihnachten zu bitten, etwas vorzulesen oder vorlesen zu
lassen. Die Stimmung dieser Dezembernachmittagsstunde, in einer sich unmittelbar
vor Weihnachten gelassen und traulich beisammen fühlenden Sekunda bei einem
Dutzend leise singender Gasflammen, hat für mich Kisas Buch. Was er und
wie er von Karls des Großen Kunstpflege oder von Michelangelo, von Pompeji
oder von Bernward von Hildesheim erzählt — mit Seitenlängen Zitaten aus
Bulwer, Goethe, Taine, Vasari — oder von den Gebrüdern Boisseree als Ein¬
leitung zur altdeutschen Malerei, als ob er mit ihnen in dem alten Kölner
Schutt herumgestöbert Hütte, das enthält so viel Erfahrung und wird so behaglich
geboten, daß es für den Neuling wohl besonders anziehend und unterrichtend ist.

Als eine moderne Ergänzung zu Kisa könnte man das neuste Buch des
kunstschriftstellerisch recht fruchtbaren Königsberger Professors Haendcke bezeichnen
„Kunstanalysen aus neunzehn Jahrhunderten" (G. Westermann). Haendcke, nun
auch zu der Gefolgschaft jener modernen Kunsthistorikergruppe zu zählen, die
eigentlich nur mit künstlerischem Bewußtsein sehen lehren will, verzichtet auf das
biographische und anekdotische, ja auch auf den historischen Zusammenhang und
fragt bloß: Was kann ich über dieses oder jenes Kunstwerk aussagen so. daß
ich feine charakteristischsten Reize auf mein Auge ausspreche? Man hat diese
Frage bis jetzt mit voller Energie erst an eine kleine Anzahl hervorragender
Werke klassischer Zeiten und ihrer Nachbarschaft und an Modernes gestellt;
Haendcke legt sie hier zum erstenmal systematisch einem Gang durch die gesamte
Kunstgeschichte der christlichen Zeitrechnung zugrunde. Natürlich kann er da nur
auswählen; von Dürers Gemälden zum Beispiel bespricht er nur das Nosen-
kranzfest. den Dresdner Christus und die Apostel, von denen Rembrandts nur
die Mühle, die Berliner Susanna und die erste Anatomie. Da ihn aber dabei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/39>, abgerufen am 04.07.2024.