Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Arbeitskammern

Die Hoffnung, daß die Arbeitskammern den sozialen Frieden fördern, daß
sie insbesondre die Kämpfe um die Arbeitsbedingungen vermindern oder gar
beseitigen werden, ist darum nichtig. Das Verhindern von Streiks ist aber die
große Aufgabe. Die Tätigkeit der Kammer nach dem Kampfe als Einigungs¬
amt bietet keinen Ersatz und wird ebensowenig ersprießlich sein können, wie
wir eben schon ausgeführt haben, und wie die Geschichte der ausländischen
Arbeitskammern und unsrer Gewerbegerichte erweist. Gerade den Frieden nach
dem Kampfe müssen die Organisationen selbst schließen, weil sie genau wissen,
worauf es ankommt.

Die kaiserliche Botschaft von 1390 fordert, daß die Arbeitervertretung den
Arbeitern den freien und friedlichen Ausdruck ihrer Wünsche und Beschwerden
ermögliche. Die Arbeiterorganisationen, die sich gegen paritätische Kammern
aussprechen, fügen hinzu, es müsse aber der reine und unbeeinflußte Ausdruck
der Arbeiterinteresfen sein, nicht ein mit den Unternehmern etwa geschloßner
Kompromiß; das sei keine Arbeitermeinung mehr.

Man könnte hierfür mehrere sehr charakteristische Äußerungen aus der
Arbeiterpresse anführen. An dieser Stelle möge nur ein Urteil des Reichstags-
abgeordneten Schack des Vertreters des Deutsch-nationalen Handlungsgehilfen¬
verbandes, über diese Frage Platz finden. Er sagte im Reichstage beim Justizetat
am 25. Februar 1903- ..Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß die Gut¬
achten der Kaufmannsgerichte in dieser Frage, auch von seiten des ReuHsjusüz-
amts. mit einer gewissen Reserve aufgenommen werden müssen, weil sie meiner
Ansicht nach, soweit sie mir bekannt geworden sind, nicht überall deutlich das
Zum Ausdruck bringen, was als tatsächliche Meinung der beteiligten Kreise
angesehn werden kann. Mir ist von verschiednen Seiten mitgeteilt worden. daß
in den Sitzungen der Kaufmannsgerichte, wo darüber verhandelt worden ist.
der Vorsitzende von vornherein erklärt hat: "Ein völliges Verbot der Konkurrenz¬
klausel werden wir doch nicht erreichen; es ist anzunehmen, daß die Regierung
darauf niemals eingehn wird; infolgedessen ist es besser, wir beschränken uns
von vornherein in unsern Wünschen, um ein möglichst übereinstimmendes
Gutachten der Prinzipale und Handlungsgehilfen beibringen zu können." Meiner
Ansicht nach ist das eine unrichtige Auffassung; denn die gutachtliche Tätigkeit
der Kaufmannsgerichte soll nicht auf Vergleichen und Kompromissen zwischen
den verschiednen Anschauungen beruhen. Die paritätische Zusammensetzung ist
Wohl da. damit Prinzipale und Handlungsgehilfen sich gegenseitig von ent¬
gegengesetzten Ansichten überzeugen können; aber da, wo das nicht möglich ist.
müssen die beiderseitigen Ansichten auch unverfälscht und deutlich zum Ausdruck
komme", was bei Kompromißvorschlägen naturgemäß nicht der Fall ist." Eine
solche Ansicht ist sehr wohl vertretbar, nur verneint sie in schärfster Weise die
Möglichkeit, in einer Arbeitskammer Gutes zu schaffen; sie widerspricht dem
Sinne der ganzen Einrichtung und nicht weniger der Begründung des Gesetz¬
entwurfs über die Arbeitskammern, die ausdrücklich sagt, die Arbeiten der


Arbeitskammern

Die Hoffnung, daß die Arbeitskammern den sozialen Frieden fördern, daß
sie insbesondre die Kämpfe um die Arbeitsbedingungen vermindern oder gar
beseitigen werden, ist darum nichtig. Das Verhindern von Streiks ist aber die
große Aufgabe. Die Tätigkeit der Kammer nach dem Kampfe als Einigungs¬
amt bietet keinen Ersatz und wird ebensowenig ersprießlich sein können, wie
wir eben schon ausgeführt haben, und wie die Geschichte der ausländischen
Arbeitskammern und unsrer Gewerbegerichte erweist. Gerade den Frieden nach
dem Kampfe müssen die Organisationen selbst schließen, weil sie genau wissen,
worauf es ankommt.

Die kaiserliche Botschaft von 1390 fordert, daß die Arbeitervertretung den
Arbeitern den freien und friedlichen Ausdruck ihrer Wünsche und Beschwerden
ermögliche. Die Arbeiterorganisationen, die sich gegen paritätische Kammern
aussprechen, fügen hinzu, es müsse aber der reine und unbeeinflußte Ausdruck
der Arbeiterinteresfen sein, nicht ein mit den Unternehmern etwa geschloßner
Kompromiß; das sei keine Arbeitermeinung mehr.

Man könnte hierfür mehrere sehr charakteristische Äußerungen aus der
Arbeiterpresse anführen. An dieser Stelle möge nur ein Urteil des Reichstags-
abgeordneten Schack des Vertreters des Deutsch-nationalen Handlungsgehilfen¬
verbandes, über diese Frage Platz finden. Er sagte im Reichstage beim Justizetat
am 25. Februar 1903- ..Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß die Gut¬
achten der Kaufmannsgerichte in dieser Frage, auch von seiten des ReuHsjusüz-
amts. mit einer gewissen Reserve aufgenommen werden müssen, weil sie meiner
Ansicht nach, soweit sie mir bekannt geworden sind, nicht überall deutlich das
Zum Ausdruck bringen, was als tatsächliche Meinung der beteiligten Kreise
angesehn werden kann. Mir ist von verschiednen Seiten mitgeteilt worden. daß
in den Sitzungen der Kaufmannsgerichte, wo darüber verhandelt worden ist.
der Vorsitzende von vornherein erklärt hat: »Ein völliges Verbot der Konkurrenz¬
klausel werden wir doch nicht erreichen; es ist anzunehmen, daß die Regierung
darauf niemals eingehn wird; infolgedessen ist es besser, wir beschränken uns
von vornherein in unsern Wünschen, um ein möglichst übereinstimmendes
Gutachten der Prinzipale und Handlungsgehilfen beibringen zu können.« Meiner
Ansicht nach ist das eine unrichtige Auffassung; denn die gutachtliche Tätigkeit
der Kaufmannsgerichte soll nicht auf Vergleichen und Kompromissen zwischen
den verschiednen Anschauungen beruhen. Die paritätische Zusammensetzung ist
Wohl da. damit Prinzipale und Handlungsgehilfen sich gegenseitig von ent¬
gegengesetzten Ansichten überzeugen können; aber da, wo das nicht möglich ist.
müssen die beiderseitigen Ansichten auch unverfälscht und deutlich zum Ausdruck
komme», was bei Kompromißvorschlägen naturgemäß nicht der Fall ist." Eine
solche Ansicht ist sehr wohl vertretbar, nur verneint sie in schärfster Weise die
Möglichkeit, in einer Arbeitskammer Gutes zu schaffen; sie widerspricht dem
Sinne der ganzen Einrichtung und nicht weniger der Begründung des Gesetz¬
entwurfs über die Arbeitskammern, die ausdrücklich sagt, die Arbeiten der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312054"/>
          <fw type="header" place="top"> Arbeitskammern</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1489"> Die Hoffnung, daß die Arbeitskammern den sozialen Frieden fördern, daß<lb/>
sie insbesondre die Kämpfe um die Arbeitsbedingungen vermindern oder gar<lb/>
beseitigen werden, ist darum nichtig. Das Verhindern von Streiks ist aber die<lb/>
große Aufgabe. Die Tätigkeit der Kammer nach dem Kampfe als Einigungs¬<lb/>
amt bietet keinen Ersatz und wird ebensowenig ersprießlich sein können, wie<lb/>
wir eben schon ausgeführt haben, und wie die Geschichte der ausländischen<lb/>
Arbeitskammern und unsrer Gewerbegerichte erweist. Gerade den Frieden nach<lb/>
dem Kampfe müssen die Organisationen selbst schließen, weil sie genau wissen,<lb/>
worauf es ankommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1490"> Die kaiserliche Botschaft von 1390 fordert, daß die Arbeitervertretung den<lb/>
Arbeitern den freien und friedlichen Ausdruck ihrer Wünsche und Beschwerden<lb/>
ermögliche. Die Arbeiterorganisationen, die sich gegen paritätische Kammern<lb/>
aussprechen, fügen hinzu, es müsse aber der reine und unbeeinflußte Ausdruck<lb/>
der Arbeiterinteresfen sein, nicht ein mit den Unternehmern etwa geschloßner<lb/>
Kompromiß; das sei keine Arbeitermeinung mehr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1491" next="#ID_1492"> Man könnte hierfür mehrere sehr charakteristische Äußerungen aus der<lb/>
Arbeiterpresse anführen. An dieser Stelle möge nur ein Urteil des Reichstags-<lb/>
abgeordneten Schack des Vertreters des Deutsch-nationalen Handlungsgehilfen¬<lb/>
verbandes, über diese Frage Platz finden. Er sagte im Reichstage beim Justizetat<lb/>
am 25. Februar 1903- ..Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß die Gut¬<lb/>
achten der Kaufmannsgerichte in dieser Frage, auch von seiten des ReuHsjusüz-<lb/>
amts. mit einer gewissen Reserve aufgenommen werden müssen, weil sie meiner<lb/>
Ansicht nach, soweit sie mir bekannt geworden sind, nicht überall deutlich das<lb/>
Zum Ausdruck bringen, was als tatsächliche Meinung der beteiligten Kreise<lb/>
angesehn werden kann. Mir ist von verschiednen Seiten mitgeteilt worden. daß<lb/>
in den Sitzungen der Kaufmannsgerichte, wo darüber verhandelt worden ist.<lb/>
der Vorsitzende von vornherein erklärt hat: »Ein völliges Verbot der Konkurrenz¬<lb/>
klausel werden wir doch nicht erreichen; es ist anzunehmen, daß die Regierung<lb/>
darauf niemals eingehn wird; infolgedessen ist es besser, wir beschränken uns<lb/>
von vornherein in unsern Wünschen, um ein möglichst übereinstimmendes<lb/>
Gutachten der Prinzipale und Handlungsgehilfen beibringen zu können.« Meiner<lb/>
Ansicht nach ist das eine unrichtige Auffassung; denn die gutachtliche Tätigkeit<lb/>
der Kaufmannsgerichte soll nicht auf Vergleichen und Kompromissen zwischen<lb/>
den verschiednen Anschauungen beruhen. Die paritätische Zusammensetzung ist<lb/>
Wohl da. damit Prinzipale und Handlungsgehilfen sich gegenseitig von ent¬<lb/>
gegengesetzten Ansichten überzeugen können; aber da, wo das nicht möglich ist.<lb/>
müssen die beiderseitigen Ansichten auch unverfälscht und deutlich zum Ausdruck<lb/>
komme», was bei Kompromißvorschlägen naturgemäß nicht der Fall ist." Eine<lb/>
solche Ansicht ist sehr wohl vertretbar, nur verneint sie in schärfster Weise die<lb/>
Möglichkeit, in einer Arbeitskammer Gutes zu schaffen; sie widerspricht dem<lb/>
Sinne der ganzen Einrichtung und nicht weniger der Begründung des Gesetz¬<lb/>
entwurfs über die Arbeitskammern, die ausdrücklich sagt, die Arbeiten der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0367] Arbeitskammern Die Hoffnung, daß die Arbeitskammern den sozialen Frieden fördern, daß sie insbesondre die Kämpfe um die Arbeitsbedingungen vermindern oder gar beseitigen werden, ist darum nichtig. Das Verhindern von Streiks ist aber die große Aufgabe. Die Tätigkeit der Kammer nach dem Kampfe als Einigungs¬ amt bietet keinen Ersatz und wird ebensowenig ersprießlich sein können, wie wir eben schon ausgeführt haben, und wie die Geschichte der ausländischen Arbeitskammern und unsrer Gewerbegerichte erweist. Gerade den Frieden nach dem Kampfe müssen die Organisationen selbst schließen, weil sie genau wissen, worauf es ankommt. Die kaiserliche Botschaft von 1390 fordert, daß die Arbeitervertretung den Arbeitern den freien und friedlichen Ausdruck ihrer Wünsche und Beschwerden ermögliche. Die Arbeiterorganisationen, die sich gegen paritätische Kammern aussprechen, fügen hinzu, es müsse aber der reine und unbeeinflußte Ausdruck der Arbeiterinteresfen sein, nicht ein mit den Unternehmern etwa geschloßner Kompromiß; das sei keine Arbeitermeinung mehr. Man könnte hierfür mehrere sehr charakteristische Äußerungen aus der Arbeiterpresse anführen. An dieser Stelle möge nur ein Urteil des Reichstags- abgeordneten Schack des Vertreters des Deutsch-nationalen Handlungsgehilfen¬ verbandes, über diese Frage Platz finden. Er sagte im Reichstage beim Justizetat am 25. Februar 1903- ..Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß die Gut¬ achten der Kaufmannsgerichte in dieser Frage, auch von seiten des ReuHsjusüz- amts. mit einer gewissen Reserve aufgenommen werden müssen, weil sie meiner Ansicht nach, soweit sie mir bekannt geworden sind, nicht überall deutlich das Zum Ausdruck bringen, was als tatsächliche Meinung der beteiligten Kreise angesehn werden kann. Mir ist von verschiednen Seiten mitgeteilt worden. daß in den Sitzungen der Kaufmannsgerichte, wo darüber verhandelt worden ist. der Vorsitzende von vornherein erklärt hat: »Ein völliges Verbot der Konkurrenz¬ klausel werden wir doch nicht erreichen; es ist anzunehmen, daß die Regierung darauf niemals eingehn wird; infolgedessen ist es besser, wir beschränken uns von vornherein in unsern Wünschen, um ein möglichst übereinstimmendes Gutachten der Prinzipale und Handlungsgehilfen beibringen zu können.« Meiner Ansicht nach ist das eine unrichtige Auffassung; denn die gutachtliche Tätigkeit der Kaufmannsgerichte soll nicht auf Vergleichen und Kompromissen zwischen den verschiednen Anschauungen beruhen. Die paritätische Zusammensetzung ist Wohl da. damit Prinzipale und Handlungsgehilfen sich gegenseitig von ent¬ gegengesetzten Ansichten überzeugen können; aber da, wo das nicht möglich ist. müssen die beiderseitigen Ansichten auch unverfälscht und deutlich zum Ausdruck komme», was bei Kompromißvorschlägen naturgemäß nicht der Fall ist." Eine solche Ansicht ist sehr wohl vertretbar, nur verneint sie in schärfster Weise die Möglichkeit, in einer Arbeitskammer Gutes zu schaffen; sie widerspricht dem Sinne der ganzen Einrichtung und nicht weniger der Begründung des Gesetz¬ entwurfs über die Arbeitskammern, die ausdrücklich sagt, die Arbeiten der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/367
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/367>, abgerufen am 24.07.2024.