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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Arbeitskammern

kammer zu Mainz den paritätischen Standpunkt am folgerichtigsten vertreten,
und der hessische Handelskammertag und nicht wenige andre Handelskammern
haben sich ihr angeschlossen. Die Mainzer Handelskammer sagt: "Durch eine
Zusammenfassung beider gemeinsamen Organe, paritätische Arbeitskammern,
würde unseres Erachtens weit mehr erreicht als durch die Bildung reiner
Arbeiterkammern. Vor allem würde damit der Tatsache Rechnung getragen,
daß die sozialen Verhältnisse der Angestellten Fragen sind, die durchaus nicht
rein vom Standpunkte dieser Angestellten richtig zu beurteilen sind, sondern
solche, bei denen die wirtschaftlichen Grundlagen und Existenzbedingungen des
ganzen Gewerbes in Berücksichtigung gezogen werden müssen. Sind Unter¬
nehmer und Arbeiter in denselben Körperschaften vereinigt, so ist jede Partei
genötigt, zum wenigsten auf die Ansichten der Gegenpartei Rücksicht zu nehmen,
sie anzuhören, auf sie einzugehen und andererseits auf Einwürfe gegen ihre
Ansichten zu erwidern. Hiermit ist aber schon viel gewonnen; denn wenn
auch vielleicht bei der Wahl der Mitglieder zu den Vertretungskörperschaften
sich noch extreme Bestrebungen geltend machen, so kann doch erwartet werden,
daß die einmal in die betreffenden Körperschaften gewählten Mitglieder bei
gemeinsamer Arbeit richtigen Argumenten sich nicht völlig verschließen. Dies
ist um so mehr zu erhoffen, als ihr Mandat einige Jahre läuft und sie
daher in ihrer Stellungnahme von den Tagesströmungen weniger abhängig
und objektiver zu urteilen befähigt sind als oft die Führer freier Vereinigungen,
die häufig nur durch radikales Auftreten ihr Ansehen und ihre Führerschaft
ZU behaupten vermögen. Es entsteht also durch paritätisch zusammengesetzte
Organe die Aussicht, daß bei widerstreitenden Interessen leichter eine Ver¬
ständigung, oder wenn dies nicht möglich ist, doch eine größere Klarstellung
der in Betracht kommenden Gesichtspunkte erzielt wird. Auf der anderen
Seite halten wir die Besorgnis nicht für gerechtfertigt, daß etwa in paritätischen
Organen die Angestellten und Arbeiter mit ihrer Ansicht nicht genügend zur
Geltung kommen würden. Sollte wirklich bei ihren Vertretern zunächst eine
gewisse Scheu in der Darlegung ihres Standpunktes bestehen, was wir
übrigens nicht glauben, so wird sich diese jedenfalls recht bald verlieren und
völliger Unbefangenheit Platz machen."

Andre Handelskammern, fast sämtliche industriellen Vereine, die sich über
die Frage ausgesprochen haben, und mit ihnen viele maßgebende Arbeiter¬
organisationen und die Sozialdemokratie nehmen einen ganz andern Stand¬
punkt ein, und es ist ein gewiß beachtenswerter Umstand, daß die pari¬
tätischen Körperschaften von großen Unternehmer- und Arbeitergruppen ver¬
worfen werden.

Gegen die Arbeitskammern kann man folgendes geltend machen:

Die Arbeitskammern sind ganz neue Gebilde, die mit keiner der jetzt be¬
stehenden Körperschaften, die den Namen Kammern tragen, zu' vergleichen
sind. In den Handelskammern, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern


Arbeitskammern

kammer zu Mainz den paritätischen Standpunkt am folgerichtigsten vertreten,
und der hessische Handelskammertag und nicht wenige andre Handelskammern
haben sich ihr angeschlossen. Die Mainzer Handelskammer sagt: „Durch eine
Zusammenfassung beider gemeinsamen Organe, paritätische Arbeitskammern,
würde unseres Erachtens weit mehr erreicht als durch die Bildung reiner
Arbeiterkammern. Vor allem würde damit der Tatsache Rechnung getragen,
daß die sozialen Verhältnisse der Angestellten Fragen sind, die durchaus nicht
rein vom Standpunkte dieser Angestellten richtig zu beurteilen sind, sondern
solche, bei denen die wirtschaftlichen Grundlagen und Existenzbedingungen des
ganzen Gewerbes in Berücksichtigung gezogen werden müssen. Sind Unter¬
nehmer und Arbeiter in denselben Körperschaften vereinigt, so ist jede Partei
genötigt, zum wenigsten auf die Ansichten der Gegenpartei Rücksicht zu nehmen,
sie anzuhören, auf sie einzugehen und andererseits auf Einwürfe gegen ihre
Ansichten zu erwidern. Hiermit ist aber schon viel gewonnen; denn wenn
auch vielleicht bei der Wahl der Mitglieder zu den Vertretungskörperschaften
sich noch extreme Bestrebungen geltend machen, so kann doch erwartet werden,
daß die einmal in die betreffenden Körperschaften gewählten Mitglieder bei
gemeinsamer Arbeit richtigen Argumenten sich nicht völlig verschließen. Dies
ist um so mehr zu erhoffen, als ihr Mandat einige Jahre läuft und sie
daher in ihrer Stellungnahme von den Tagesströmungen weniger abhängig
und objektiver zu urteilen befähigt sind als oft die Führer freier Vereinigungen,
die häufig nur durch radikales Auftreten ihr Ansehen und ihre Führerschaft
ZU behaupten vermögen. Es entsteht also durch paritätisch zusammengesetzte
Organe die Aussicht, daß bei widerstreitenden Interessen leichter eine Ver¬
ständigung, oder wenn dies nicht möglich ist, doch eine größere Klarstellung
der in Betracht kommenden Gesichtspunkte erzielt wird. Auf der anderen
Seite halten wir die Besorgnis nicht für gerechtfertigt, daß etwa in paritätischen
Organen die Angestellten und Arbeiter mit ihrer Ansicht nicht genügend zur
Geltung kommen würden. Sollte wirklich bei ihren Vertretern zunächst eine
gewisse Scheu in der Darlegung ihres Standpunktes bestehen, was wir
übrigens nicht glauben, so wird sich diese jedenfalls recht bald verlieren und
völliger Unbefangenheit Platz machen."

Andre Handelskammern, fast sämtliche industriellen Vereine, die sich über
die Frage ausgesprochen haben, und mit ihnen viele maßgebende Arbeiter¬
organisationen und die Sozialdemokratie nehmen einen ganz andern Stand¬
punkt ein, und es ist ein gewiß beachtenswerter Umstand, daß die pari¬
tätischen Körperschaften von großen Unternehmer- und Arbeitergruppen ver¬
worfen werden.

Gegen die Arbeitskammern kann man folgendes geltend machen:

Die Arbeitskammern sind ganz neue Gebilde, die mit keiner der jetzt be¬
stehenden Körperschaften, die den Namen Kammern tragen, zu' vergleichen
sind. In den Handelskammern, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern


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[0363] Arbeitskammern kammer zu Mainz den paritätischen Standpunkt am folgerichtigsten vertreten, und der hessische Handelskammertag und nicht wenige andre Handelskammern haben sich ihr angeschlossen. Die Mainzer Handelskammer sagt: „Durch eine Zusammenfassung beider gemeinsamen Organe, paritätische Arbeitskammern, würde unseres Erachtens weit mehr erreicht als durch die Bildung reiner Arbeiterkammern. Vor allem würde damit der Tatsache Rechnung getragen, daß die sozialen Verhältnisse der Angestellten Fragen sind, die durchaus nicht rein vom Standpunkte dieser Angestellten richtig zu beurteilen sind, sondern solche, bei denen die wirtschaftlichen Grundlagen und Existenzbedingungen des ganzen Gewerbes in Berücksichtigung gezogen werden müssen. Sind Unter¬ nehmer und Arbeiter in denselben Körperschaften vereinigt, so ist jede Partei genötigt, zum wenigsten auf die Ansichten der Gegenpartei Rücksicht zu nehmen, sie anzuhören, auf sie einzugehen und andererseits auf Einwürfe gegen ihre Ansichten zu erwidern. Hiermit ist aber schon viel gewonnen; denn wenn auch vielleicht bei der Wahl der Mitglieder zu den Vertretungskörperschaften sich noch extreme Bestrebungen geltend machen, so kann doch erwartet werden, daß die einmal in die betreffenden Körperschaften gewählten Mitglieder bei gemeinsamer Arbeit richtigen Argumenten sich nicht völlig verschließen. Dies ist um so mehr zu erhoffen, als ihr Mandat einige Jahre läuft und sie daher in ihrer Stellungnahme von den Tagesströmungen weniger abhängig und objektiver zu urteilen befähigt sind als oft die Führer freier Vereinigungen, die häufig nur durch radikales Auftreten ihr Ansehen und ihre Führerschaft ZU behaupten vermögen. Es entsteht also durch paritätisch zusammengesetzte Organe die Aussicht, daß bei widerstreitenden Interessen leichter eine Ver¬ ständigung, oder wenn dies nicht möglich ist, doch eine größere Klarstellung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte erzielt wird. Auf der anderen Seite halten wir die Besorgnis nicht für gerechtfertigt, daß etwa in paritätischen Organen die Angestellten und Arbeiter mit ihrer Ansicht nicht genügend zur Geltung kommen würden. Sollte wirklich bei ihren Vertretern zunächst eine gewisse Scheu in der Darlegung ihres Standpunktes bestehen, was wir übrigens nicht glauben, so wird sich diese jedenfalls recht bald verlieren und völliger Unbefangenheit Platz machen." Andre Handelskammern, fast sämtliche industriellen Vereine, die sich über die Frage ausgesprochen haben, und mit ihnen viele maßgebende Arbeiter¬ organisationen und die Sozialdemokratie nehmen einen ganz andern Stand¬ punkt ein, und es ist ein gewiß beachtenswerter Umstand, daß die pari¬ tätischen Körperschaften von großen Unternehmer- und Arbeitergruppen ver¬ worfen werden. Gegen die Arbeitskammern kann man folgendes geltend machen: Die Arbeitskammern sind ganz neue Gebilde, die mit keiner der jetzt be¬ stehenden Körperschaften, die den Namen Kammern tragen, zu' vergleichen sind. In den Handelskammern, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/363>, abgerufen am 24.07.2024.