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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika

schnell darin geäußert, daß der Neger dem Weißen gegenüber äußerst frech,
anmaßend geworden ist. Der Diebstahl von Gütern, die einem Weißen ge¬
hören, wird von Schwarzen als erlaubt betrachtet, und des Europäers eigne
Diener stehlen gewöhnlich am meisten. Auf der Stelle bestrafen, wie die
Neger es unter sich zu tun pflegen, darf der Weiße nicht. Der Schwarze würde
einfach zur "Bona" laufen, und der Weiße hätte dem Diebe ein Schmerzens¬
geld und der Regierung eine Strafe zu zahlen. Einbruchdiebstähle geschehen
sehr selten. Güterraub jedoch passiert häusig, und nur gar zu oft erfahren
wir, daß die Lastenträger, auf denen der ganze Verkehr in Britisch-Zentralafrika
beruht, mit den ihnen anvertrauten Gütern spurlos verschwunden sind. Mut¬
willige Beschädigung von fremdem Eigentum ist den Gerichten hier unbekannt.
Doch werden zum Beispiel Wachthunde der Europäer von den Schwarzen mit
Vorliebe durch Gift aus dem Wege geschafft.

Am meisten hat aber der Collector in solchen Gerichtssachen zu ent¬
scheiden, die das "ewig Weibliche" betreffen. Raub, Verführung und Wieder¬
herstellung der Ehe -- das sind die häufigsten Fälle. Nach H. L. Duff handelten
im Verwaltungsjahre 1901/02 im Distrikte Zomba von einer Gesamtsumme von
669 Gerichtsentscheidungen nicht weniger als 417 vom wertvollsten Besitze
des Mannes, dem Weibe. Der Neger ist entfernt von dem Gedanken, ein
Weib zu unterhalten, im Gegenteil, es muß ihn füttern. Das Weib hat alle
rauhen und schmutzigen Arbeiten gewissenhaft auszuführen. Die harte Feld¬
arbeit liegt der Frau ob. Währenddessen liegt der Herr des Hauses vor seiner
Hütte und läßt sich von der Sonne bescheinen. Seine Weiber schenken ihm
in der Regel viele Kinder, die, da sie billig zu unterhalten sind, von ihm als
wertvoller Zugang geschätzt werden, denn die Kinder beginnen schon im frühen
Alter, den Müttern mitzuhelfen. Am wertvollsten sind die Töchter, die vor
oder bald nach der Geburt schon vom Vater an einen zukünftigen Ehemann
verschachert werden.

Es darf jedoch nicht etwa geglaubt werden, daß der Neger irgendeinen
Begriff von Moral hat. Ist zum Beispiel eins seiner Weiber von einem
andern Neger verführt worden, so wird er ihn nur deswegen töten, weil er
seinem Besitze, seinem Eigentum eine Beschädigung zugefügt hat. Ja er
ist unter Umstünden sogar bereit, sich durch eine Geldentschädigung versöhnen
zu lassen.

Bei der Beurteilung von Streitigkeiten zwischen Eheleuten werden von
den Collectors folgende Punkte als Pflichten eines jeden Ehegatten be¬
trachtet. Nach Negerrecht hat der Mann dem Weib ein oder mehrere Tücher
zu geben (was ihn jedoch nicht mehr als zwei bis drei Mark im Jahre kosten
dürfte); er hat die Hütte roh fertigzustellen; dem Weibe liegt die Vollendung
ob, indem sie das rohe Gestell mit verschiednen Lagen Gras zu bedecken hat.
Weiter hat der Mann die Hüttensteuer zu zahlen, das heißt drei Mark, falls
er für einen Europäer mindestens einen Kalendermonat gearbeitet hat; im


Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika

schnell darin geäußert, daß der Neger dem Weißen gegenüber äußerst frech,
anmaßend geworden ist. Der Diebstahl von Gütern, die einem Weißen ge¬
hören, wird von Schwarzen als erlaubt betrachtet, und des Europäers eigne
Diener stehlen gewöhnlich am meisten. Auf der Stelle bestrafen, wie die
Neger es unter sich zu tun pflegen, darf der Weiße nicht. Der Schwarze würde
einfach zur „Bona" laufen, und der Weiße hätte dem Diebe ein Schmerzens¬
geld und der Regierung eine Strafe zu zahlen. Einbruchdiebstähle geschehen
sehr selten. Güterraub jedoch passiert häusig, und nur gar zu oft erfahren
wir, daß die Lastenträger, auf denen der ganze Verkehr in Britisch-Zentralafrika
beruht, mit den ihnen anvertrauten Gütern spurlos verschwunden sind. Mut¬
willige Beschädigung von fremdem Eigentum ist den Gerichten hier unbekannt.
Doch werden zum Beispiel Wachthunde der Europäer von den Schwarzen mit
Vorliebe durch Gift aus dem Wege geschafft.

Am meisten hat aber der Collector in solchen Gerichtssachen zu ent¬
scheiden, die das „ewig Weibliche" betreffen. Raub, Verführung und Wieder¬
herstellung der Ehe — das sind die häufigsten Fälle. Nach H. L. Duff handelten
im Verwaltungsjahre 1901/02 im Distrikte Zomba von einer Gesamtsumme von
669 Gerichtsentscheidungen nicht weniger als 417 vom wertvollsten Besitze
des Mannes, dem Weibe. Der Neger ist entfernt von dem Gedanken, ein
Weib zu unterhalten, im Gegenteil, es muß ihn füttern. Das Weib hat alle
rauhen und schmutzigen Arbeiten gewissenhaft auszuführen. Die harte Feld¬
arbeit liegt der Frau ob. Währenddessen liegt der Herr des Hauses vor seiner
Hütte und läßt sich von der Sonne bescheinen. Seine Weiber schenken ihm
in der Regel viele Kinder, die, da sie billig zu unterhalten sind, von ihm als
wertvoller Zugang geschätzt werden, denn die Kinder beginnen schon im frühen
Alter, den Müttern mitzuhelfen. Am wertvollsten sind die Töchter, die vor
oder bald nach der Geburt schon vom Vater an einen zukünftigen Ehemann
verschachert werden.

Es darf jedoch nicht etwa geglaubt werden, daß der Neger irgendeinen
Begriff von Moral hat. Ist zum Beispiel eins seiner Weiber von einem
andern Neger verführt worden, so wird er ihn nur deswegen töten, weil er
seinem Besitze, seinem Eigentum eine Beschädigung zugefügt hat. Ja er
ist unter Umstünden sogar bereit, sich durch eine Geldentschädigung versöhnen
zu lassen.

Bei der Beurteilung von Streitigkeiten zwischen Eheleuten werden von
den Collectors folgende Punkte als Pflichten eines jeden Ehegatten be¬
trachtet. Nach Negerrecht hat der Mann dem Weib ein oder mehrere Tücher
zu geben (was ihn jedoch nicht mehr als zwei bis drei Mark im Jahre kosten
dürfte); er hat die Hütte roh fertigzustellen; dem Weibe liegt die Vollendung
ob, indem sie das rohe Gestell mit verschiednen Lagen Gras zu bedecken hat.
Weiter hat der Mann die Hüttensteuer zu zahlen, das heißt drei Mark, falls
er für einen Europäer mindestens einen Kalendermonat gearbeitet hat; im


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[0036] Das Gerichtswesen bei den Negern in Britisch-Zentralafrika schnell darin geäußert, daß der Neger dem Weißen gegenüber äußerst frech, anmaßend geworden ist. Der Diebstahl von Gütern, die einem Weißen ge¬ hören, wird von Schwarzen als erlaubt betrachtet, und des Europäers eigne Diener stehlen gewöhnlich am meisten. Auf der Stelle bestrafen, wie die Neger es unter sich zu tun pflegen, darf der Weiße nicht. Der Schwarze würde einfach zur „Bona" laufen, und der Weiße hätte dem Diebe ein Schmerzens¬ geld und der Regierung eine Strafe zu zahlen. Einbruchdiebstähle geschehen sehr selten. Güterraub jedoch passiert häusig, und nur gar zu oft erfahren wir, daß die Lastenträger, auf denen der ganze Verkehr in Britisch-Zentralafrika beruht, mit den ihnen anvertrauten Gütern spurlos verschwunden sind. Mut¬ willige Beschädigung von fremdem Eigentum ist den Gerichten hier unbekannt. Doch werden zum Beispiel Wachthunde der Europäer von den Schwarzen mit Vorliebe durch Gift aus dem Wege geschafft. Am meisten hat aber der Collector in solchen Gerichtssachen zu ent¬ scheiden, die das „ewig Weibliche" betreffen. Raub, Verführung und Wieder¬ herstellung der Ehe — das sind die häufigsten Fälle. Nach H. L. Duff handelten im Verwaltungsjahre 1901/02 im Distrikte Zomba von einer Gesamtsumme von 669 Gerichtsentscheidungen nicht weniger als 417 vom wertvollsten Besitze des Mannes, dem Weibe. Der Neger ist entfernt von dem Gedanken, ein Weib zu unterhalten, im Gegenteil, es muß ihn füttern. Das Weib hat alle rauhen und schmutzigen Arbeiten gewissenhaft auszuführen. Die harte Feld¬ arbeit liegt der Frau ob. Währenddessen liegt der Herr des Hauses vor seiner Hütte und läßt sich von der Sonne bescheinen. Seine Weiber schenken ihm in der Regel viele Kinder, die, da sie billig zu unterhalten sind, von ihm als wertvoller Zugang geschätzt werden, denn die Kinder beginnen schon im frühen Alter, den Müttern mitzuhelfen. Am wertvollsten sind die Töchter, die vor oder bald nach der Geburt schon vom Vater an einen zukünftigen Ehemann verschachert werden. Es darf jedoch nicht etwa geglaubt werden, daß der Neger irgendeinen Begriff von Moral hat. Ist zum Beispiel eins seiner Weiber von einem andern Neger verführt worden, so wird er ihn nur deswegen töten, weil er seinem Besitze, seinem Eigentum eine Beschädigung zugefügt hat. Ja er ist unter Umstünden sogar bereit, sich durch eine Geldentschädigung versöhnen zu lassen. Bei der Beurteilung von Streitigkeiten zwischen Eheleuten werden von den Collectors folgende Punkte als Pflichten eines jeden Ehegatten be¬ trachtet. Nach Negerrecht hat der Mann dem Weib ein oder mehrere Tücher zu geben (was ihn jedoch nicht mehr als zwei bis drei Mark im Jahre kosten dürfte); er hat die Hütte roh fertigzustellen; dem Weibe liegt die Vollendung ob, indem sie das rohe Gestell mit verschiednen Lagen Gras zu bedecken hat. Weiter hat der Mann die Hüttensteuer zu zahlen, das heißt drei Mark, falls er für einen Europäer mindestens einen Kalendermonat gearbeitet hat; im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/36>, abgerufen am 21.06.2024.