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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürstin Pauline zur Lippe

errichtet, und die Spalten der Lemgoer Jntelligenzblätter füllten sich mit den
Verzeichnissen der freiwilligen Liebesgaben. Im Feldzuge von 1815 erwarb
sich das lippische Kontingent besondern Ruhm bei der Erstürmung der Festung
Montmedy, Blücher selbst teilte das der Fürstin in einem schmeichelhaften
Schreiben mit, und "dieses Zeugnis des verehrungs- und bewunderungswürdigen
Helden" machte sie öffentlich bekannt, um das ganze Land ihre eigne Freude
mitgenießen zu lassen.

Die äußere Politik Paulinens, die immer nur die Unabhängigkeit ihres
kleinen Staates im Auge gehabt und diesem Zweck alle andern Rücksichten unter¬
geordnet hatte, ist jetzt zu einem gewissen Abschluß gelangt. Frankreich war
nicht mehr zu fürchten, und in dem friedlichen und schläfrigen Deutschen Bunde
mit seinen neununddreißig Staaten war die lippische Souveränität auch vor
allen Anfechtungen des einst so unbequemen Preußischen Nachbars gesichert.

Paulinens äußere Politik ist aber doch trotz aller Geschicklichkeit und aller
Erfolge nur ein Teil ihres Wesens. Das, was sie hauptsächlich zur großen
Regentin gemacht hat und, wie Treitschke einmal sagt, den wenigen bedeutenden
Frauen der Geschichte an die Seite stellt, ist ihre innere Verwaltung. Daukbcir
gedachte sie, als sie Regentin geworden war, des Vaters, der ihr eine so un¬
gewöhnliche Erziehung hatte zuteil werden lassen. In seinem Kabinett, als
sein Geheimsekretär, hatte sie sich die nötige Geschäftsgewandtheit angeeignet;
schon damals, als sie noch mit dem alten Gleim von einem stillen Musensitz
schwärmte, war sie doch weit davon entfernt, sich ganz "der süßen Ruhe" hin¬
zugeben. Ihre lebensfrische Natur konnte sich nur in angestrengter Tätigkeit
wahrhaft glücklich fühlen. Lust und Liebe zum Wirken für ein größeres Ganze
waren ihr angeboren. Nicht gering schätzte sie die Freuden des Regierens ein;
es erlabte und ermutigte sie, auch nur für den Augenblick zu hoffen: siehe,
Tausende hängen an dir, erwarten alles von dir, lieben dich kindlich . . . Vor
dieser Sorge für das ihr anvertraute Land mußten alle andern Interessen und
Neigungen zurücktreten. Auch die Musen, denen sie in ihrer Jugend so gern
gehuldigt hatte, vernachlässigte sie jetzt. Sehr hübsch erklärt sie in einem Ge¬
burtstagsgedicht an die von ihr hochverehrte Stiefmutter ihres verstorbnen
Gatten:

Die Akten waren ihr jetzt wichtiger als alles, was die schöne Literatur
an neuen Werken hervorbrachte. Mechanisch griff ihre Hand nach dem Akten¬
stoß, und Matthissons Liedersammlung oder Goethes "Dichtung und Wahrheit"


Fürstin Pauline zur Lippe

errichtet, und die Spalten der Lemgoer Jntelligenzblätter füllten sich mit den
Verzeichnissen der freiwilligen Liebesgaben. Im Feldzuge von 1815 erwarb
sich das lippische Kontingent besondern Ruhm bei der Erstürmung der Festung
Montmedy, Blücher selbst teilte das der Fürstin in einem schmeichelhaften
Schreiben mit, und „dieses Zeugnis des verehrungs- und bewunderungswürdigen
Helden" machte sie öffentlich bekannt, um das ganze Land ihre eigne Freude
mitgenießen zu lassen.

Die äußere Politik Paulinens, die immer nur die Unabhängigkeit ihres
kleinen Staates im Auge gehabt und diesem Zweck alle andern Rücksichten unter¬
geordnet hatte, ist jetzt zu einem gewissen Abschluß gelangt. Frankreich war
nicht mehr zu fürchten, und in dem friedlichen und schläfrigen Deutschen Bunde
mit seinen neununddreißig Staaten war die lippische Souveränität auch vor
allen Anfechtungen des einst so unbequemen Preußischen Nachbars gesichert.

Paulinens äußere Politik ist aber doch trotz aller Geschicklichkeit und aller
Erfolge nur ein Teil ihres Wesens. Das, was sie hauptsächlich zur großen
Regentin gemacht hat und, wie Treitschke einmal sagt, den wenigen bedeutenden
Frauen der Geschichte an die Seite stellt, ist ihre innere Verwaltung. Daukbcir
gedachte sie, als sie Regentin geworden war, des Vaters, der ihr eine so un¬
gewöhnliche Erziehung hatte zuteil werden lassen. In seinem Kabinett, als
sein Geheimsekretär, hatte sie sich die nötige Geschäftsgewandtheit angeeignet;
schon damals, als sie noch mit dem alten Gleim von einem stillen Musensitz
schwärmte, war sie doch weit davon entfernt, sich ganz „der süßen Ruhe" hin¬
zugeben. Ihre lebensfrische Natur konnte sich nur in angestrengter Tätigkeit
wahrhaft glücklich fühlen. Lust und Liebe zum Wirken für ein größeres Ganze
waren ihr angeboren. Nicht gering schätzte sie die Freuden des Regierens ein;
es erlabte und ermutigte sie, auch nur für den Augenblick zu hoffen: siehe,
Tausende hängen an dir, erwarten alles von dir, lieben dich kindlich . . . Vor
dieser Sorge für das ihr anvertraute Land mußten alle andern Interessen und
Neigungen zurücktreten. Auch die Musen, denen sie in ihrer Jugend so gern
gehuldigt hatte, vernachlässigte sie jetzt. Sehr hübsch erklärt sie in einem Ge¬
burtstagsgedicht an die von ihr hochverehrte Stiefmutter ihres verstorbnen
Gatten:

Die Akten waren ihr jetzt wichtiger als alles, was die schöne Literatur
an neuen Werken hervorbrachte. Mechanisch griff ihre Hand nach dem Akten¬
stoß, und Matthissons Liedersammlung oder Goethes „Dichtung und Wahrheit"


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[0331] Fürstin Pauline zur Lippe errichtet, und die Spalten der Lemgoer Jntelligenzblätter füllten sich mit den Verzeichnissen der freiwilligen Liebesgaben. Im Feldzuge von 1815 erwarb sich das lippische Kontingent besondern Ruhm bei der Erstürmung der Festung Montmedy, Blücher selbst teilte das der Fürstin in einem schmeichelhaften Schreiben mit, und „dieses Zeugnis des verehrungs- und bewunderungswürdigen Helden" machte sie öffentlich bekannt, um das ganze Land ihre eigne Freude mitgenießen zu lassen. Die äußere Politik Paulinens, die immer nur die Unabhängigkeit ihres kleinen Staates im Auge gehabt und diesem Zweck alle andern Rücksichten unter¬ geordnet hatte, ist jetzt zu einem gewissen Abschluß gelangt. Frankreich war nicht mehr zu fürchten, und in dem friedlichen und schläfrigen Deutschen Bunde mit seinen neununddreißig Staaten war die lippische Souveränität auch vor allen Anfechtungen des einst so unbequemen Preußischen Nachbars gesichert. Paulinens äußere Politik ist aber doch trotz aller Geschicklichkeit und aller Erfolge nur ein Teil ihres Wesens. Das, was sie hauptsächlich zur großen Regentin gemacht hat und, wie Treitschke einmal sagt, den wenigen bedeutenden Frauen der Geschichte an die Seite stellt, ist ihre innere Verwaltung. Daukbcir gedachte sie, als sie Regentin geworden war, des Vaters, der ihr eine so un¬ gewöhnliche Erziehung hatte zuteil werden lassen. In seinem Kabinett, als sein Geheimsekretär, hatte sie sich die nötige Geschäftsgewandtheit angeeignet; schon damals, als sie noch mit dem alten Gleim von einem stillen Musensitz schwärmte, war sie doch weit davon entfernt, sich ganz „der süßen Ruhe" hin¬ zugeben. Ihre lebensfrische Natur konnte sich nur in angestrengter Tätigkeit wahrhaft glücklich fühlen. Lust und Liebe zum Wirken für ein größeres Ganze waren ihr angeboren. Nicht gering schätzte sie die Freuden des Regierens ein; es erlabte und ermutigte sie, auch nur für den Augenblick zu hoffen: siehe, Tausende hängen an dir, erwarten alles von dir, lieben dich kindlich . . . Vor dieser Sorge für das ihr anvertraute Land mußten alle andern Interessen und Neigungen zurücktreten. Auch die Musen, denen sie in ihrer Jugend so gern gehuldigt hatte, vernachlässigte sie jetzt. Sehr hübsch erklärt sie in einem Ge¬ burtstagsgedicht an die von ihr hochverehrte Stiefmutter ihres verstorbnen Gatten: Die Akten waren ihr jetzt wichtiger als alles, was die schöne Literatur an neuen Werken hervorbrachte. Mechanisch griff ihre Hand nach dem Akten¬ stoß, und Matthissons Liedersammlung oder Goethes „Dichtung und Wahrheit"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/331>, abgerufen am 24.07.2024.