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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Paul Gerhardt und der Große Kurfürst

schließungen des Herrschers; und als beide vergeblich aufeinander gewartet
hatten, da war der Dichter gestorben, wenn mich der Mensch noch wenige Jahre
in Lübben freudlos sein Pfarramt verwaltete.

Eine ganz anders geartete Persönlichkeit war der Kurfürst. Er war die
führende Persönlichkeit für die Interessen des Protestantismus in Deutschland
geworden; er hatte es durchgesetzt, daß die Reformierten staatsrechtliche Aner¬
kennung im Westfälischen Frieden erlangt hatten,") Und über Deutschland
hinaus ging die Fürsorge des Kurfürsten für den Protestantismus; er suchte
alle protestantischen Mächte, ob lutherisch oder reformiert, zu gemeinsamer Ab¬
wehr des Katholizismus zu vereinigen. Das war uicht möglich, wenn die
beiden protestantischen Konfessionen nicht in friedlichem und freundlichem Ver¬
hältnis zueinander standen. Der Kurfürst mußte alle dahingehender Bestrebungen
unterstützen. In seineu eiguen Landen ergriff er die Initiative. Er schaltete
darum die Bekenntnisschriften aus, die den Gegensatz zwischen beiden Konfessionen
scharf betonen, die Artikel der Dordrechter Synode auf der reformierten, die
Konkvrdienformel auf der lutherischen Seite. Sein letztes Ziel ist die Union beider
Kirchen, aber solange diese nicht zu erreichen ist, gegenseitige Duldung und
Anerkennung. Diesem Zwecke dienen die Edikte. Er hat taktisch fehlgegriffen,
daß er Präventivmaßregeln statt Repressivmaßregeln anwandte; auch darin, daß
er die in der Mark zu Recht bestehende Konkvrdienformel aufgehoben hat.
Aber was er wollte, muß voll und ganz gebilligt werden. Seine Bestrebungen
dienten dem Fortschritt. Auf seinem Wege sind die Träger der preußischen
Krone weiter gegangen, und die Geschichte hat ihnen Recht gegeben.

Gerhardt und der Große Kurfürst haben beide gehandelt, von den Impulsen
ihres Gewissens bestimmt; der eine folgte den Verpflichtungen seines Ordinations-
gelübdes, des andre der Verpflichtung, den gesamten Protestantismus vor den
ihm drohenden Gefahren zu schützen. Ein individuell und ein universell be¬
stimmtes Gewissen traten miteinander in Widerspruch. Jenes vertrat die Ten¬
denzen einer Zeit, die bald der Vergangenheit angehören sollte, dieser Tendenzen,
denen die Zukunft gehörte. Der Konflikt zwischen dem Großen Kurfürsten und
Paul Gerhardt ist eine Tragödie, nichts Kleinliches spielt eine entscheidende
Rolle, beide Gegner schätzen sich. Der Kampf entbrennt nicht zwischen Personen,
sondern zwischen Prinzipien. Deshalb geht von dem Kampfe eine sittlich
stärkende Kraft aus. Sieger und Besiegte fesseln uns durch die Treue, mit der
sie für die Heiligtümer ihres Gewissens streiten.""")






*) Vgl. Landwehr, Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten.
Berlin, 1894. S, 32 bis 61.
Vgl. die zutreffende Beurteilung des Konflikts bei Haupt, Der Konflikt zwischen Paul
Gerhardt und dem Großen Kurfürsten. (Deutsch-evangelische Blätter, 1907, Heft 2.)
Paul Gerhardt und der Große Kurfürst

schließungen des Herrschers; und als beide vergeblich aufeinander gewartet
hatten, da war der Dichter gestorben, wenn mich der Mensch noch wenige Jahre
in Lübben freudlos sein Pfarramt verwaltete.

Eine ganz anders geartete Persönlichkeit war der Kurfürst. Er war die
führende Persönlichkeit für die Interessen des Protestantismus in Deutschland
geworden; er hatte es durchgesetzt, daß die Reformierten staatsrechtliche Aner¬
kennung im Westfälischen Frieden erlangt hatten,") Und über Deutschland
hinaus ging die Fürsorge des Kurfürsten für den Protestantismus; er suchte
alle protestantischen Mächte, ob lutherisch oder reformiert, zu gemeinsamer Ab¬
wehr des Katholizismus zu vereinigen. Das war uicht möglich, wenn die
beiden protestantischen Konfessionen nicht in friedlichem und freundlichem Ver¬
hältnis zueinander standen. Der Kurfürst mußte alle dahingehender Bestrebungen
unterstützen. In seineu eiguen Landen ergriff er die Initiative. Er schaltete
darum die Bekenntnisschriften aus, die den Gegensatz zwischen beiden Konfessionen
scharf betonen, die Artikel der Dordrechter Synode auf der reformierten, die
Konkvrdienformel auf der lutherischen Seite. Sein letztes Ziel ist die Union beider
Kirchen, aber solange diese nicht zu erreichen ist, gegenseitige Duldung und
Anerkennung. Diesem Zwecke dienen die Edikte. Er hat taktisch fehlgegriffen,
daß er Präventivmaßregeln statt Repressivmaßregeln anwandte; auch darin, daß
er die in der Mark zu Recht bestehende Konkvrdienformel aufgehoben hat.
Aber was er wollte, muß voll und ganz gebilligt werden. Seine Bestrebungen
dienten dem Fortschritt. Auf seinem Wege sind die Träger der preußischen
Krone weiter gegangen, und die Geschichte hat ihnen Recht gegeben.

Gerhardt und der Große Kurfürst haben beide gehandelt, von den Impulsen
ihres Gewissens bestimmt; der eine folgte den Verpflichtungen seines Ordinations-
gelübdes, des andre der Verpflichtung, den gesamten Protestantismus vor den
ihm drohenden Gefahren zu schützen. Ein individuell und ein universell be¬
stimmtes Gewissen traten miteinander in Widerspruch. Jenes vertrat die Ten¬
denzen einer Zeit, die bald der Vergangenheit angehören sollte, dieser Tendenzen,
denen die Zukunft gehörte. Der Konflikt zwischen dem Großen Kurfürsten und
Paul Gerhardt ist eine Tragödie, nichts Kleinliches spielt eine entscheidende
Rolle, beide Gegner schätzen sich. Der Kampf entbrennt nicht zwischen Personen,
sondern zwischen Prinzipien. Deshalb geht von dem Kampfe eine sittlich
stärkende Kraft aus. Sieger und Besiegte fesseln uns durch die Treue, mit der
sie für die Heiligtümer ihres Gewissens streiten.""")






*) Vgl. Landwehr, Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten.
Berlin, 1894. S, 32 bis 61.
Vgl. die zutreffende Beurteilung des Konflikts bei Haupt, Der Konflikt zwischen Paul
Gerhardt und dem Großen Kurfürsten. (Deutsch-evangelische Blätter, 1907, Heft 2.)
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[0294] Paul Gerhardt und der Große Kurfürst schließungen des Herrschers; und als beide vergeblich aufeinander gewartet hatten, da war der Dichter gestorben, wenn mich der Mensch noch wenige Jahre in Lübben freudlos sein Pfarramt verwaltete. Eine ganz anders geartete Persönlichkeit war der Kurfürst. Er war die führende Persönlichkeit für die Interessen des Protestantismus in Deutschland geworden; er hatte es durchgesetzt, daß die Reformierten staatsrechtliche Aner¬ kennung im Westfälischen Frieden erlangt hatten,") Und über Deutschland hinaus ging die Fürsorge des Kurfürsten für den Protestantismus; er suchte alle protestantischen Mächte, ob lutherisch oder reformiert, zu gemeinsamer Ab¬ wehr des Katholizismus zu vereinigen. Das war uicht möglich, wenn die beiden protestantischen Konfessionen nicht in friedlichem und freundlichem Ver¬ hältnis zueinander standen. Der Kurfürst mußte alle dahingehender Bestrebungen unterstützen. In seineu eiguen Landen ergriff er die Initiative. Er schaltete darum die Bekenntnisschriften aus, die den Gegensatz zwischen beiden Konfessionen scharf betonen, die Artikel der Dordrechter Synode auf der reformierten, die Konkvrdienformel auf der lutherischen Seite. Sein letztes Ziel ist die Union beider Kirchen, aber solange diese nicht zu erreichen ist, gegenseitige Duldung und Anerkennung. Diesem Zwecke dienen die Edikte. Er hat taktisch fehlgegriffen, daß er Präventivmaßregeln statt Repressivmaßregeln anwandte; auch darin, daß er die in der Mark zu Recht bestehende Konkvrdienformel aufgehoben hat. Aber was er wollte, muß voll und ganz gebilligt werden. Seine Bestrebungen dienten dem Fortschritt. Auf seinem Wege sind die Träger der preußischen Krone weiter gegangen, und die Geschichte hat ihnen Recht gegeben. Gerhardt und der Große Kurfürst haben beide gehandelt, von den Impulsen ihres Gewissens bestimmt; der eine folgte den Verpflichtungen seines Ordinations- gelübdes, des andre der Verpflichtung, den gesamten Protestantismus vor den ihm drohenden Gefahren zu schützen. Ein individuell und ein universell be¬ stimmtes Gewissen traten miteinander in Widerspruch. Jenes vertrat die Ten¬ denzen einer Zeit, die bald der Vergangenheit angehören sollte, dieser Tendenzen, denen die Zukunft gehörte. Der Konflikt zwischen dem Großen Kurfürsten und Paul Gerhardt ist eine Tragödie, nichts Kleinliches spielt eine entscheidende Rolle, beide Gegner schätzen sich. Der Kampf entbrennt nicht zwischen Personen, sondern zwischen Prinzipien. Deshalb geht von dem Kampfe eine sittlich stärkende Kraft aus. Sieger und Besiegte fesseln uns durch die Treue, mit der sie für die Heiligtümer ihres Gewissens streiten.""") *) Vgl. Landwehr, Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten. Berlin, 1894. S, 32 bis 61. Vgl. die zutreffende Beurteilung des Konflikts bei Haupt, Der Konflikt zwischen Paul Gerhardt und dem Großen Kurfürsten. (Deutsch-evangelische Blätter, 1907, Heft 2.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/294>, abgerufen am 04.07.2024.