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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Asiatische Probleme

sei das unaufhaltsame Erwachen des Nationalismus bei Burjäten und
Georgiern, bei Finnen und Tscherkessen, und eine Verstärkung des ohnehin
schon regen Volksgefühls bei Polen, Deutschen und Armeniern. Der Na¬
tionalitätenhader werde Nußland zerstören.

Von verschiednen Seiten ist Dr. Wirth wegen seiner Hypothese von der
Gefährlichkeit des Erwachens der Völker angegriffen worden, so unter anderm
von Kaether im "Tag". Ein solches Erwachen niedrer Völker sei nur zu
vergleichen, meint dieser, mit der Anmaßung eines beschränkten Proletariers,
der, erfüllt von den unverstandnen Lehren der Gleichheitstheorie, sich plötzlich
als Übermensch fühle und bar jeglichen Autoritätsgefühls sich jedem Geistes¬
aristokraten gleich fühle, ein Dünkel, der aber nichts an seiner Beschränktheit
ändere. Die Tatsachen haben unzweifelhaft Wirth recht gegeben. Wer will
heute noch leugnen, daß asiatische Völker erwachen, und daß sich die Wellen¬
bewegungen der japanischen Erfolge schon in Indien und in der islamischen
Welt zu äußern beginnen? Der verschlagne "Bismarck des fernen Ostens",
Li-sung-tschang, sagte einmal: Es ist töricht von euch Weißen, daß ihr uns
aus unserm Schlummer aufwecken wollt. Ihr werdet es bereuen, wenn wir
einmal erwacht sind, und werdet dann den frühern Schlummer zurückwünschen.
Wer zweifelt jetzt noch daran, daß sich diese Worte schneller verwirklichten,
als die meisten Politiker, fast allein der Deutsche Kaiser ausgenommen, an¬
genommen haben!

Es ist geradezu eine politische Tat, daß Wirth die gelbe Gefahr ihrem wahren
Charakter nach geschildert, zugleich aber auch mit Nachdruck darauf hingewiesen
hat, daß Asien immer überschätzt wird und noch sehr weit von einer Welt¬
herrschaft entfernt ist. Der Philosoph könne Nassensympathien hegen, der
Politiker dürfe nur Staaten in Rechnung stellen. Was in hundert Jahren
geschehen werde, darum könnten und dürften wir nicht sorgen. Wer hätte
vor neunzig Jahren geahnt, daß unser heißer Haß gegen Napoleon zunächst
lediglich die Vergrößerung Englands zur Folge haben würde? Wer 1870,
daß es jetzt Franzosen gebe, die sich ein Staatsoberhaupt wie den Deutschen
Kaiser wünschen? Wir dürften deshalb nicht dem Rade der Zeiten in die
Speichen greifen, denn wir wüßten kaum, von wannen es gekommen, und viel
weniger, wohin es fahren würde. Was in hundert Jahren sein werde, wisse
Gott allein. Unsre Pflicht gehe nicht weiter, als unser Auge reiche und
reichen könne, und unser Wille gehöre nicht einer unsichern, unenträselbaren
Zukunft, sondern einer lebendigen Gegenwart.

Das sind goldne Worte, die gegenüber den Phantasien unsrer Tages¬
presse beherzigt zu werden verdienen. Alle wirklichen Kenner des fernen
Ostens sind mit Wirth der Ansicht, daß das plötzliche Emporkommen Japans
nur eine Episode in der Weltgeschichte ist, daß sich China nie dazu hergeben
wird, von den von ihm seit Jahrtausenden verachteten Japanern, die nie
etwas aus sich selbst geschaffen, sondern immer nur die Kulturen andrer äffen-


Asiatische Probleme

sei das unaufhaltsame Erwachen des Nationalismus bei Burjäten und
Georgiern, bei Finnen und Tscherkessen, und eine Verstärkung des ohnehin
schon regen Volksgefühls bei Polen, Deutschen und Armeniern. Der Na¬
tionalitätenhader werde Nußland zerstören.

Von verschiednen Seiten ist Dr. Wirth wegen seiner Hypothese von der
Gefährlichkeit des Erwachens der Völker angegriffen worden, so unter anderm
von Kaether im „Tag". Ein solches Erwachen niedrer Völker sei nur zu
vergleichen, meint dieser, mit der Anmaßung eines beschränkten Proletariers,
der, erfüllt von den unverstandnen Lehren der Gleichheitstheorie, sich plötzlich
als Übermensch fühle und bar jeglichen Autoritätsgefühls sich jedem Geistes¬
aristokraten gleich fühle, ein Dünkel, der aber nichts an seiner Beschränktheit
ändere. Die Tatsachen haben unzweifelhaft Wirth recht gegeben. Wer will
heute noch leugnen, daß asiatische Völker erwachen, und daß sich die Wellen¬
bewegungen der japanischen Erfolge schon in Indien und in der islamischen
Welt zu äußern beginnen? Der verschlagne „Bismarck des fernen Ostens",
Li-sung-tschang, sagte einmal: Es ist töricht von euch Weißen, daß ihr uns
aus unserm Schlummer aufwecken wollt. Ihr werdet es bereuen, wenn wir
einmal erwacht sind, und werdet dann den frühern Schlummer zurückwünschen.
Wer zweifelt jetzt noch daran, daß sich diese Worte schneller verwirklichten,
als die meisten Politiker, fast allein der Deutsche Kaiser ausgenommen, an¬
genommen haben!

Es ist geradezu eine politische Tat, daß Wirth die gelbe Gefahr ihrem wahren
Charakter nach geschildert, zugleich aber auch mit Nachdruck darauf hingewiesen
hat, daß Asien immer überschätzt wird und noch sehr weit von einer Welt¬
herrschaft entfernt ist. Der Philosoph könne Nassensympathien hegen, der
Politiker dürfe nur Staaten in Rechnung stellen. Was in hundert Jahren
geschehen werde, darum könnten und dürften wir nicht sorgen. Wer hätte
vor neunzig Jahren geahnt, daß unser heißer Haß gegen Napoleon zunächst
lediglich die Vergrößerung Englands zur Folge haben würde? Wer 1870,
daß es jetzt Franzosen gebe, die sich ein Staatsoberhaupt wie den Deutschen
Kaiser wünschen? Wir dürften deshalb nicht dem Rade der Zeiten in die
Speichen greifen, denn wir wüßten kaum, von wannen es gekommen, und viel
weniger, wohin es fahren würde. Was in hundert Jahren sein werde, wisse
Gott allein. Unsre Pflicht gehe nicht weiter, als unser Auge reiche und
reichen könne, und unser Wille gehöre nicht einer unsichern, unenträselbaren
Zukunft, sondern einer lebendigen Gegenwart.

Das sind goldne Worte, die gegenüber den Phantasien unsrer Tages¬
presse beherzigt zu werden verdienen. Alle wirklichen Kenner des fernen
Ostens sind mit Wirth der Ansicht, daß das plötzliche Emporkommen Japans
nur eine Episode in der Weltgeschichte ist, daß sich China nie dazu hergeben
wird, von den von ihm seit Jahrtausenden verachteten Japanern, die nie
etwas aus sich selbst geschaffen, sondern immer nur die Kulturen andrer äffen-


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[0026] Asiatische Probleme sei das unaufhaltsame Erwachen des Nationalismus bei Burjäten und Georgiern, bei Finnen und Tscherkessen, und eine Verstärkung des ohnehin schon regen Volksgefühls bei Polen, Deutschen und Armeniern. Der Na¬ tionalitätenhader werde Nußland zerstören. Von verschiednen Seiten ist Dr. Wirth wegen seiner Hypothese von der Gefährlichkeit des Erwachens der Völker angegriffen worden, so unter anderm von Kaether im „Tag". Ein solches Erwachen niedrer Völker sei nur zu vergleichen, meint dieser, mit der Anmaßung eines beschränkten Proletariers, der, erfüllt von den unverstandnen Lehren der Gleichheitstheorie, sich plötzlich als Übermensch fühle und bar jeglichen Autoritätsgefühls sich jedem Geistes¬ aristokraten gleich fühle, ein Dünkel, der aber nichts an seiner Beschränktheit ändere. Die Tatsachen haben unzweifelhaft Wirth recht gegeben. Wer will heute noch leugnen, daß asiatische Völker erwachen, und daß sich die Wellen¬ bewegungen der japanischen Erfolge schon in Indien und in der islamischen Welt zu äußern beginnen? Der verschlagne „Bismarck des fernen Ostens", Li-sung-tschang, sagte einmal: Es ist töricht von euch Weißen, daß ihr uns aus unserm Schlummer aufwecken wollt. Ihr werdet es bereuen, wenn wir einmal erwacht sind, und werdet dann den frühern Schlummer zurückwünschen. Wer zweifelt jetzt noch daran, daß sich diese Worte schneller verwirklichten, als die meisten Politiker, fast allein der Deutsche Kaiser ausgenommen, an¬ genommen haben! Es ist geradezu eine politische Tat, daß Wirth die gelbe Gefahr ihrem wahren Charakter nach geschildert, zugleich aber auch mit Nachdruck darauf hingewiesen hat, daß Asien immer überschätzt wird und noch sehr weit von einer Welt¬ herrschaft entfernt ist. Der Philosoph könne Nassensympathien hegen, der Politiker dürfe nur Staaten in Rechnung stellen. Was in hundert Jahren geschehen werde, darum könnten und dürften wir nicht sorgen. Wer hätte vor neunzig Jahren geahnt, daß unser heißer Haß gegen Napoleon zunächst lediglich die Vergrößerung Englands zur Folge haben würde? Wer 1870, daß es jetzt Franzosen gebe, die sich ein Staatsoberhaupt wie den Deutschen Kaiser wünschen? Wir dürften deshalb nicht dem Rade der Zeiten in die Speichen greifen, denn wir wüßten kaum, von wannen es gekommen, und viel weniger, wohin es fahren würde. Was in hundert Jahren sein werde, wisse Gott allein. Unsre Pflicht gehe nicht weiter, als unser Auge reiche und reichen könne, und unser Wille gehöre nicht einer unsichern, unenträselbaren Zukunft, sondern einer lebendigen Gegenwart. Das sind goldne Worte, die gegenüber den Phantasien unsrer Tages¬ presse beherzigt zu werden verdienen. Alle wirklichen Kenner des fernen Ostens sind mit Wirth der Ansicht, daß das plötzliche Emporkommen Japans nur eine Episode in der Weltgeschichte ist, daß sich China nie dazu hergeben wird, von den von ihm seit Jahrtausenden verachteten Japanern, die nie etwas aus sich selbst geschaffen, sondern immer nur die Kulturen andrer äffen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/26>, abgerufen am 24.07.2024.