Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Paul Gerhardt und der Große Uurfürst Glauben in der Gestalt lutherischer Lehre aneignete, und daß ihm die Er¬ Auch derVeruch. den Exorzismus. die Teufelsaustreibmig bei der Taufe, Fassen wir die Eindrücke, die Gerhardt von den Ereignissen auf kirchlichem ') Vgl. Petrich, Paul Gerhardt. Seine Lieder und seine Zeit. Gütersloh. 1907. S. 20. Vgl. Petrich a. a. O. S. 9. Böttiger-Flache, Geschichte von Sachsen. Zweite Auflage. Band 2. Gotha, 1870. S. 94 bis 144. Grenzboten II 1908 25
Paul Gerhardt und der Große Uurfürst Glauben in der Gestalt lutherischer Lehre aneignete, und daß ihm die Er¬ Auch derVeruch. den Exorzismus. die Teufelsaustreibmig bei der Taufe, Fassen wir die Eindrücke, die Gerhardt von den Ereignissen auf kirchlichem ') Vgl. Petrich, Paul Gerhardt. Seine Lieder und seine Zeit. Gütersloh. 1907. S. 20. Vgl. Petrich a. a. O. S. 9. Böttiger-Flache, Geschichte von Sachsen. Zweite Auflage. Band 2. Gotha, 1870. S. 94 bis 144. Grenzboten II 1908 25
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Paul Gerhardt und der Große Uurfürst
Glauben in der Gestalt lutherischer Lehre aneignete, und daß ihm die Er¬
kenntnis dieser Lehre nach Maßgabe lutherischer Orthodoxie vorgetragen wurde.
Diese Voraussetzung wird uns durch die Tatsache bestätigt, daß auf der Fursteu-
sckule '
.u Grimma. der Gerhardt überwiesen wurde, der Religionsunterricht nach
dem Lehrbuch Hutters vorgetragen wurde, worm die wtherische Theologie nach
den Normen der strengsten Orthodoxie, >me scharfer Polenn gegen die Refor¬
mierten und gegen Melanchthon zur Darstellung kam. Und dieses Lehrbuch mußte
Wort für Wort auswendig gelernt werden, sonst wurde der Schuler nicht al»
reif zur Universität entlassen.') Freilich wäre es ein Irrtum zu meinen die
extreme lutherische Orthodoxie, die außerhalb ihrer Grenzen nicht mehr Christen¬
tum oder Protestantismus wahrzunehmen vermochte, hatte ununterbrochen ,n
Kursachsen geherrscht. Wir wissen, daß or längere Zeit die milde Theologie
Melan lthons bestimmend gewesen ist. die den Reformierte.i die Hand weit ent-
aeaenstreckte daß sodann diese Strömung mit Gewaltmitteln bekämpft und besiegt
wurde, daß'sie dann wieder im Ausgang des sechzehnten Jahrhunderts Be-
günstiauna rfuhr. Kurfürst Christian der Erste, vom politischen Standpuut
aus zum Zusammengehn mit reformierten Fürs en bewöge^ hat dies auch aus
kirchl chem Gebiet betätigt. Im Jahre 1587 hob er die Verpflichtung auf die
Konkordienformel auf. diese lutherische Bekeuntnisschrift. die die Ort odoxie vor
allen wirkt chen oder vermeintlichen Lehrlrrtumern zu schützen suchte, und die
freundlichere Re!iebunaen den Re ormerten ausschloß. Auch verbot er das
to?K und Kathedern und bestimmte, daß alle theo-
loaiscke. ^rncksckrikten der Zensur unterwor en werden sollten. Freilich zeigte
ick? i^t hies theologische Partei ebenso unduldsam wie die gestürzte.
Wer dem Edl t At^ s^es Pfarramts entsetzt, so der Super-
weude?^ G^euB und Gerhardts eigner Großvater. N.Kaspar
Starke in Eilenbura Die Melanchthomsche Lehre sowie reformierte An-
scha eng n our n wangsweise zur Gewmg gebracht. Aber der Kurfürst hatte
weder die Mehrzahl'der- Geistlichen noch die Stande auf seiner Seite.
Auch derVeruch. den Exorzismus. die Teufelsaustreibmig bei der Taufe,
zu beseitigen, fand den heftigsten Widerspruch bei den G^ und bei dem
Volke. Aber die Herrschaft des Melanchthomschen Geistes kurze
Episode sein; der frühzeitige Tod des Kurfürsten vernichtete alle Hoffnungen
der dem Kalvinismus freundlich gesinnten Partei. Die Orthodoxie siegte von
neuem und übertraf in gewalttätiger Ausnutzung ihrer Siege die früher mäch¬
tigen Gegner. Im Jahre 1602 wurde den sächsischen Beamten die eidliche Ver¬
pflichtung auf die Konkordienformel auferlegt und damit der Bruch nur dem
Geiste Melanchthons in Kursachsen endMg wllzogen Für den Geist, der
nun am Dresdner Hofe herrschte, ist charak enstchh daß das ärgste ^wort, das Johann Georg der Erste gebrauchte, lautete: „Du Kalviwst."^)
Fassen wir die Eindrücke, die Gerhardt von den Ereignissen auf kirchlichem
Gebiete bis zum Beziehen der Wittenberger Universität empfangen mußte zu¬
sammen, so müssen wir urteilen: Gerhardt wußte daß das sächsische Volk mit
unerschütterlicher Festigkeit auf dem Boden der lutherischen Orthodoxie stand,
und daß an dieser Festigkeit alle Versuche des Hofes gescheitert waren, eme
') Vgl. Petrich, Paul Gerhardt. Seine Lieder und seine Zeit. Gütersloh. 1907. S. 20.
Vgl. Petrich a. a. O. S. 9.
Böttiger-Flache, Geschichte von Sachsen. Zweite Auflage. Band 2. Gotha, 1870.
S. 94 bis 144.
Grenzboten II 1908 25
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