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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Stadterrveiterung

einem andern Vorort kaufte ein Angestellter der Feldvermessung Stücke, von denen
er wußte, daß er sie als Zwangs- oder Sperrstücke werde verwenden können.

Erst wenn der Unternehmer endlich das nötige Land beisammen hatte,
konnte er mit der Stadtverwaltung in Unterhandlungen treten und die oben
angegebnen Bedingungen erfüllen. Und erst nachdem diese Geschäfte sämtlich
"bereinigt" waren, stand er vor dem zweiten Abschnitt seiner Unternehmer¬
tätigkeit, der für ihn, glücklichen Verlauf vorausgesetzt, der angenehmere war:
der Verwertung der Baustellen. Glatt verlief auch dieser Abschnitt gewöhnlich
nicht; Schwierigkeiten bereitete erstens die Mittellosigkeit mancher Käufer und
die Unsolidität andrer, sodann der Umstand, daß sich der Absatz nicht gleich¬
mäßig auf die Jahre verteilte, sondern in Perioden hoher Konjunktur zusammen¬
drängte. Als Käufer treten sowohl Bauunternehmer auf als Spekulanten, die
Bauplätze kaufen, um beim Wiederverkauf an Bauende zu verdienen. In Zeiten
guter Konjunktur überwiegen die Baustellenspekulanten oder Baustellenkaufleute.
Diese gehören allen möglichen kapitalkräftigen Ständen an. Auch Ziegelei¬
besitzer und sonstige Fabrikanten von Baumaterialien sind darunter, die sich
dann beim Verkauf an Bauunternehmer die Lieferung ihrer Ware sichern. Der
Absatz unmittelbar an die Bauenden kommt häufig in Villenvierteln vor.
Manchmal bauen die Baustellenkaufleute selbst und verkaufen dann die Häuser,
meist jedoch sind diese Kaufleute bloß Händler, die an Bauunternehmer oder
an andre Händler verkaufen, sodaß viele Baustellen durch mehrere Hände gehn,
ehe sie ihrer Bestimmung zugeführt werden. Findet der Baustellenbesitzer, es
mag nun der ursprüngliche oder ein späterer sein, keinen soliden Bauunter¬
nehmer, so muß er, wenn ihm das Land nicht als fressendes Kapital auf
dem Halse bleiben soll, mit einem unbemittelten oder unsolider vorlieb nehmen;
meist sind beide Eigenschaften in einer Person vereinigt. Auf diese Weise
ist der Bauschwindel mit Strohmännern entstanden. Auch wo Schwindel nicht
von vornherein beabsichtigt ist, wird in der Kreditgewährung Unglaubliches ge¬
leistet. Terrainunternehmer begnügen sich mit 10 bis 20 Prozent Anzahlung,
nur beim Verkauf ganzer Partien von Baustellen fordern sie 20 bis 33 Prozent;
Baustellenhändler verlangen vom Bauunternehmer nur 1 bis 5 Prozent oder
verzichten ganz auf Anzahlung, sodaß das zukünftige Haus zunächst mit dem
ganzen Bodenwert als Hypothek belastet ist, wozu dann die Bauhypotheken
kommen; denn besonders beim Strohmännersystem schießt der Baustellenbesitzer
auch noch die Baugelder vor bis zu dem Tage, wo er es für angezeigt hält,
die Schlinge zuzuziehen, den Strohmann Bankrott machen zu lassen und das
unvollendete Haus bei der Subhastation zu erstehn. Solche Vorkommnisse
beweisen, daß in der herrschenden Stadterweiterungspraxis etwas faul ist.
Sollte dieses Faule, fragt Mangoldt, "außer in unserm ganzen System der
Stadterweiterung nicht vor allem zu suchen sein in der verhängnisvoll starken
und weitreichenden Stellung, die unser Sachenrecht den Hypothekengläubigern
einräumt?"


Die Stadterrveiterung

einem andern Vorort kaufte ein Angestellter der Feldvermessung Stücke, von denen
er wußte, daß er sie als Zwangs- oder Sperrstücke werde verwenden können.

Erst wenn der Unternehmer endlich das nötige Land beisammen hatte,
konnte er mit der Stadtverwaltung in Unterhandlungen treten und die oben
angegebnen Bedingungen erfüllen. Und erst nachdem diese Geschäfte sämtlich
„bereinigt" waren, stand er vor dem zweiten Abschnitt seiner Unternehmer¬
tätigkeit, der für ihn, glücklichen Verlauf vorausgesetzt, der angenehmere war:
der Verwertung der Baustellen. Glatt verlief auch dieser Abschnitt gewöhnlich
nicht; Schwierigkeiten bereitete erstens die Mittellosigkeit mancher Käufer und
die Unsolidität andrer, sodann der Umstand, daß sich der Absatz nicht gleich¬
mäßig auf die Jahre verteilte, sondern in Perioden hoher Konjunktur zusammen¬
drängte. Als Käufer treten sowohl Bauunternehmer auf als Spekulanten, die
Bauplätze kaufen, um beim Wiederverkauf an Bauende zu verdienen. In Zeiten
guter Konjunktur überwiegen die Baustellenspekulanten oder Baustellenkaufleute.
Diese gehören allen möglichen kapitalkräftigen Ständen an. Auch Ziegelei¬
besitzer und sonstige Fabrikanten von Baumaterialien sind darunter, die sich
dann beim Verkauf an Bauunternehmer die Lieferung ihrer Ware sichern. Der
Absatz unmittelbar an die Bauenden kommt häufig in Villenvierteln vor.
Manchmal bauen die Baustellenkaufleute selbst und verkaufen dann die Häuser,
meist jedoch sind diese Kaufleute bloß Händler, die an Bauunternehmer oder
an andre Händler verkaufen, sodaß viele Baustellen durch mehrere Hände gehn,
ehe sie ihrer Bestimmung zugeführt werden. Findet der Baustellenbesitzer, es
mag nun der ursprüngliche oder ein späterer sein, keinen soliden Bauunter¬
nehmer, so muß er, wenn ihm das Land nicht als fressendes Kapital auf
dem Halse bleiben soll, mit einem unbemittelten oder unsolider vorlieb nehmen;
meist sind beide Eigenschaften in einer Person vereinigt. Auf diese Weise
ist der Bauschwindel mit Strohmännern entstanden. Auch wo Schwindel nicht
von vornherein beabsichtigt ist, wird in der Kreditgewährung Unglaubliches ge¬
leistet. Terrainunternehmer begnügen sich mit 10 bis 20 Prozent Anzahlung,
nur beim Verkauf ganzer Partien von Baustellen fordern sie 20 bis 33 Prozent;
Baustellenhändler verlangen vom Bauunternehmer nur 1 bis 5 Prozent oder
verzichten ganz auf Anzahlung, sodaß das zukünftige Haus zunächst mit dem
ganzen Bodenwert als Hypothek belastet ist, wozu dann die Bauhypotheken
kommen; denn besonders beim Strohmännersystem schießt der Baustellenbesitzer
auch noch die Baugelder vor bis zu dem Tage, wo er es für angezeigt hält,
die Schlinge zuzuziehen, den Strohmann Bankrott machen zu lassen und das
unvollendete Haus bei der Subhastation zu erstehn. Solche Vorkommnisse
beweisen, daß in der herrschenden Stadterweiterungspraxis etwas faul ist.
Sollte dieses Faule, fragt Mangoldt, „außer in unserm ganzen System der
Stadterweiterung nicht vor allem zu suchen sein in der verhängnisvoll starken
und weitreichenden Stellung, die unser Sachenrecht den Hypothekengläubigern
einräumt?"


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[0192] Die Stadterrveiterung einem andern Vorort kaufte ein Angestellter der Feldvermessung Stücke, von denen er wußte, daß er sie als Zwangs- oder Sperrstücke werde verwenden können. Erst wenn der Unternehmer endlich das nötige Land beisammen hatte, konnte er mit der Stadtverwaltung in Unterhandlungen treten und die oben angegebnen Bedingungen erfüllen. Und erst nachdem diese Geschäfte sämtlich „bereinigt" waren, stand er vor dem zweiten Abschnitt seiner Unternehmer¬ tätigkeit, der für ihn, glücklichen Verlauf vorausgesetzt, der angenehmere war: der Verwertung der Baustellen. Glatt verlief auch dieser Abschnitt gewöhnlich nicht; Schwierigkeiten bereitete erstens die Mittellosigkeit mancher Käufer und die Unsolidität andrer, sodann der Umstand, daß sich der Absatz nicht gleich¬ mäßig auf die Jahre verteilte, sondern in Perioden hoher Konjunktur zusammen¬ drängte. Als Käufer treten sowohl Bauunternehmer auf als Spekulanten, die Bauplätze kaufen, um beim Wiederverkauf an Bauende zu verdienen. In Zeiten guter Konjunktur überwiegen die Baustellenspekulanten oder Baustellenkaufleute. Diese gehören allen möglichen kapitalkräftigen Ständen an. Auch Ziegelei¬ besitzer und sonstige Fabrikanten von Baumaterialien sind darunter, die sich dann beim Verkauf an Bauunternehmer die Lieferung ihrer Ware sichern. Der Absatz unmittelbar an die Bauenden kommt häufig in Villenvierteln vor. Manchmal bauen die Baustellenkaufleute selbst und verkaufen dann die Häuser, meist jedoch sind diese Kaufleute bloß Händler, die an Bauunternehmer oder an andre Händler verkaufen, sodaß viele Baustellen durch mehrere Hände gehn, ehe sie ihrer Bestimmung zugeführt werden. Findet der Baustellenbesitzer, es mag nun der ursprüngliche oder ein späterer sein, keinen soliden Bauunter¬ nehmer, so muß er, wenn ihm das Land nicht als fressendes Kapital auf dem Halse bleiben soll, mit einem unbemittelten oder unsolider vorlieb nehmen; meist sind beide Eigenschaften in einer Person vereinigt. Auf diese Weise ist der Bauschwindel mit Strohmännern entstanden. Auch wo Schwindel nicht von vornherein beabsichtigt ist, wird in der Kreditgewährung Unglaubliches ge¬ leistet. Terrainunternehmer begnügen sich mit 10 bis 20 Prozent Anzahlung, nur beim Verkauf ganzer Partien von Baustellen fordern sie 20 bis 33 Prozent; Baustellenhändler verlangen vom Bauunternehmer nur 1 bis 5 Prozent oder verzichten ganz auf Anzahlung, sodaß das zukünftige Haus zunächst mit dem ganzen Bodenwert als Hypothek belastet ist, wozu dann die Bauhypotheken kommen; denn besonders beim Strohmännersystem schießt der Baustellenbesitzer auch noch die Baugelder vor bis zu dem Tage, wo er es für angezeigt hält, die Schlinge zuzuziehen, den Strohmann Bankrott machen zu lassen und das unvollendete Haus bei der Subhastation zu erstehn. Solche Vorkommnisse beweisen, daß in der herrschenden Stadterweiterungspraxis etwas faul ist. Sollte dieses Faule, fragt Mangoldt, „außer in unserm ganzen System der Stadterweiterung nicht vor allem zu suchen sein in der verhängnisvoll starken und weitreichenden Stellung, die unser Sachenrecht den Hypothekengläubigern einräumt?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/192>, abgerufen am 24.07.2024.