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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die modernen chinesischen Truppen in petschili

ebene. Rund oder quadratisch, von einem Lehmwall eingerahmt, ist der Platz,
der ein Soldatenlager bildet. Ein solches birgt gewöhnlich ein Bataillon
Infanterie (etwa 500 Mann), zwei Eskadrons (etwa 200 Mann) oder eine
Artillerieabteilung (etwa 350 Mann).

Die Truppen liegen in einfachen Lehmhäusern, die Offiziere dicht bei
den Mannschaften. Familien des Militärs wohnen außerhalb des Lagers;
weibliche Personen haben keinen Zutritt zum Lager. Es kommt aber auch
vor, daß dieses Verbot übertreten wird, wie beifolgende kleine Episode beweist:
Eines Tages wurde in einem Lager bei Paotingfu ein junger Diener von
heftigen Leibschmerzen befallen. Als man ihm helfen wollte und ihn unter¬
suchte, ergab sich, daß der Junge ein Mädchen war, und alsbald vollzog sich
auch die Entbindung. Das Mädchen hatte sich mit seinem Liebhaber zu¬
sammen den Werbern gestellt. Beide waren genommen worden, "er" als
Soldat, "sie" als Diener, und nun fand der Liebestraum ein so jähes Ende!

Solche "Fälle" sind die Folge davon, daß die cmgeworbnen Mannschaften
vielfach körperlich nicht untersucht werden; kündigt doch zum Beispiel ein
allerdings in Schankung seinerzeit erschienener Aufruf, der mit dem Zweck des
Einstellens die gute Absicht verbindet, den Soldaten Ehrgefühl beizubringen,
selbst an, daß die Leute bei der Untersuchung von der Entblößung des Körpers
befreit werden sollten.

Dieser Aufruf spricht übrigens in großen Tönen zum Volke. Er ver¬
urteilt die, die sich schämen, Soldat zu werden, verspricht ehrerbietige Be¬
handlung und sucht zu beweisen, daß es dem Eingestellten möglich sein wird,
seine Angehörigen zu unterstützen, was die Chinesen bei der ihnen (dem Kon-
fuzicmismus entsprechenden) anerzognen Elternverehrung vielleicht am meisten
anlockt.

Gebildeter" wird schnelleres Aufsteigen in den Chargen verheißen, es
wird ferner die Versicherung gegeben, daß die Ortsältesten, bei denen sich
der Bewerbende meldet, nicht, wie üblich im Reiche der Mitte, als profitierende
Zwischenhändler dienen dürfen, widrigenfalls sie schwere Strafe treffen soll.

Es ist oben von ehrerbietiger Behandlung die Rede gewesen -- nun, wer ge¬
sehen hat, wie der Korporalstock zwischen den chinesischen Kriegern arbeitet, der
wird diese "Ehrerbietung" nicht so genau nehmen, besonders wenn er weiter
von einer einstigen Kundgebung hört und liest, die ein Truppenkommandant bei
Peking seinen Soldaten zugehn ließ. Mit drakonischer Schürfe ist sie zum
Teil geschrieben: Strenges, tägliches Exerzieren nach vorhergehendem nament¬
lichem Verlesen soll stattfinden, ohne Urlaubskarten kein Urlaub, Revision
durch die Offiziere. Belästigung der Bevölkerung ist streng zu ahnden.

Todesstrafe trifft den, der im Kriege flieht oder desertiert, wer sich der
Plünderung, Vergewaltigung der Frauen, der Zugehörigkeit zu geheimen Ver¬
bindungen, des Verkaufs von Waffen und Munition schuldig macht. Mit
Pranger und Abschneiden des rechten Ohres wird bestraft, wer Kameraden


Die modernen chinesischen Truppen in petschili

ebene. Rund oder quadratisch, von einem Lehmwall eingerahmt, ist der Platz,
der ein Soldatenlager bildet. Ein solches birgt gewöhnlich ein Bataillon
Infanterie (etwa 500 Mann), zwei Eskadrons (etwa 200 Mann) oder eine
Artillerieabteilung (etwa 350 Mann).

Die Truppen liegen in einfachen Lehmhäusern, die Offiziere dicht bei
den Mannschaften. Familien des Militärs wohnen außerhalb des Lagers;
weibliche Personen haben keinen Zutritt zum Lager. Es kommt aber auch
vor, daß dieses Verbot übertreten wird, wie beifolgende kleine Episode beweist:
Eines Tages wurde in einem Lager bei Paotingfu ein junger Diener von
heftigen Leibschmerzen befallen. Als man ihm helfen wollte und ihn unter¬
suchte, ergab sich, daß der Junge ein Mädchen war, und alsbald vollzog sich
auch die Entbindung. Das Mädchen hatte sich mit seinem Liebhaber zu¬
sammen den Werbern gestellt. Beide waren genommen worden, „er" als
Soldat, „sie" als Diener, und nun fand der Liebestraum ein so jähes Ende!

Solche „Fälle" sind die Folge davon, daß die cmgeworbnen Mannschaften
vielfach körperlich nicht untersucht werden; kündigt doch zum Beispiel ein
allerdings in Schankung seinerzeit erschienener Aufruf, der mit dem Zweck des
Einstellens die gute Absicht verbindet, den Soldaten Ehrgefühl beizubringen,
selbst an, daß die Leute bei der Untersuchung von der Entblößung des Körpers
befreit werden sollten.

Dieser Aufruf spricht übrigens in großen Tönen zum Volke. Er ver¬
urteilt die, die sich schämen, Soldat zu werden, verspricht ehrerbietige Be¬
handlung und sucht zu beweisen, daß es dem Eingestellten möglich sein wird,
seine Angehörigen zu unterstützen, was die Chinesen bei der ihnen (dem Kon-
fuzicmismus entsprechenden) anerzognen Elternverehrung vielleicht am meisten
anlockt.

Gebildeter» wird schnelleres Aufsteigen in den Chargen verheißen, es
wird ferner die Versicherung gegeben, daß die Ortsältesten, bei denen sich
der Bewerbende meldet, nicht, wie üblich im Reiche der Mitte, als profitierende
Zwischenhändler dienen dürfen, widrigenfalls sie schwere Strafe treffen soll.

Es ist oben von ehrerbietiger Behandlung die Rede gewesen — nun, wer ge¬
sehen hat, wie der Korporalstock zwischen den chinesischen Kriegern arbeitet, der
wird diese „Ehrerbietung" nicht so genau nehmen, besonders wenn er weiter
von einer einstigen Kundgebung hört und liest, die ein Truppenkommandant bei
Peking seinen Soldaten zugehn ließ. Mit drakonischer Schürfe ist sie zum
Teil geschrieben: Strenges, tägliches Exerzieren nach vorhergehendem nament¬
lichem Verlesen soll stattfinden, ohne Urlaubskarten kein Urlaub, Revision
durch die Offiziere. Belästigung der Bevölkerung ist streng zu ahnden.

Todesstrafe trifft den, der im Kriege flieht oder desertiert, wer sich der
Plünderung, Vergewaltigung der Frauen, der Zugehörigkeit zu geheimen Ver¬
bindungen, des Verkaufs von Waffen und Munition schuldig macht. Mit
Pranger und Abschneiden des rechten Ohres wird bestraft, wer Kameraden


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[0168] Die modernen chinesischen Truppen in petschili ebene. Rund oder quadratisch, von einem Lehmwall eingerahmt, ist der Platz, der ein Soldatenlager bildet. Ein solches birgt gewöhnlich ein Bataillon Infanterie (etwa 500 Mann), zwei Eskadrons (etwa 200 Mann) oder eine Artillerieabteilung (etwa 350 Mann). Die Truppen liegen in einfachen Lehmhäusern, die Offiziere dicht bei den Mannschaften. Familien des Militärs wohnen außerhalb des Lagers; weibliche Personen haben keinen Zutritt zum Lager. Es kommt aber auch vor, daß dieses Verbot übertreten wird, wie beifolgende kleine Episode beweist: Eines Tages wurde in einem Lager bei Paotingfu ein junger Diener von heftigen Leibschmerzen befallen. Als man ihm helfen wollte und ihn unter¬ suchte, ergab sich, daß der Junge ein Mädchen war, und alsbald vollzog sich auch die Entbindung. Das Mädchen hatte sich mit seinem Liebhaber zu¬ sammen den Werbern gestellt. Beide waren genommen worden, „er" als Soldat, „sie" als Diener, und nun fand der Liebestraum ein so jähes Ende! Solche „Fälle" sind die Folge davon, daß die cmgeworbnen Mannschaften vielfach körperlich nicht untersucht werden; kündigt doch zum Beispiel ein allerdings in Schankung seinerzeit erschienener Aufruf, der mit dem Zweck des Einstellens die gute Absicht verbindet, den Soldaten Ehrgefühl beizubringen, selbst an, daß die Leute bei der Untersuchung von der Entblößung des Körpers befreit werden sollten. Dieser Aufruf spricht übrigens in großen Tönen zum Volke. Er ver¬ urteilt die, die sich schämen, Soldat zu werden, verspricht ehrerbietige Be¬ handlung und sucht zu beweisen, daß es dem Eingestellten möglich sein wird, seine Angehörigen zu unterstützen, was die Chinesen bei der ihnen (dem Kon- fuzicmismus entsprechenden) anerzognen Elternverehrung vielleicht am meisten anlockt. Gebildeter» wird schnelleres Aufsteigen in den Chargen verheißen, es wird ferner die Versicherung gegeben, daß die Ortsältesten, bei denen sich der Bewerbende meldet, nicht, wie üblich im Reiche der Mitte, als profitierende Zwischenhändler dienen dürfen, widrigenfalls sie schwere Strafe treffen soll. Es ist oben von ehrerbietiger Behandlung die Rede gewesen — nun, wer ge¬ sehen hat, wie der Korporalstock zwischen den chinesischen Kriegern arbeitet, der wird diese „Ehrerbietung" nicht so genau nehmen, besonders wenn er weiter von einer einstigen Kundgebung hört und liest, die ein Truppenkommandant bei Peking seinen Soldaten zugehn ließ. Mit drakonischer Schürfe ist sie zum Teil geschrieben: Strenges, tägliches Exerzieren nach vorhergehendem nament¬ lichem Verlesen soll stattfinden, ohne Urlaubskarten kein Urlaub, Revision durch die Offiziere. Belästigung der Bevölkerung ist streng zu ahnden. Todesstrafe trifft den, der im Kriege flieht oder desertiert, wer sich der Plünderung, Vergewaltigung der Frauen, der Zugehörigkeit zu geheimen Ver¬ bindungen, des Verkaufs von Waffen und Munition schuldig macht. Mit Pranger und Abschneiden des rechten Ohres wird bestraft, wer Kameraden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/168>, abgerufen am 24.07.2024.