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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Biologischer Unterricht in den Schulen

Vermutungen hat aufstellen können, und daß sie niemals imstande sein wird,
die Bildung des Bewußtseins zu begreifen und zu erläutern. So weiß sie
denn auch, daß sie die Existenz eines selbständigen bewußten Schöpfungswillens,
eines Schöpfers, wohl bestreiten aber nicht widerlegen könnte, und sie unter¬
nimmt es nicht, den Beweis für die Unmöglichkeit oder auch nur für die
Überflüssigkeit der Existenz Gottes zu erbringen.*)

Diese Wissenschaft ist nicht unversöhnlich mit einer Theologie, die die oft
Poetische Sprache der Bibel nicht allzu buchstäblich nimmt. So hat denn auch
schon eine Annäherung stattgefunden. Die katholische Kirche duldet es, daß
ein Jesuitenpater die Entwicklungslehre vertritt. Sie hält diese also wohl mit
ihrem Bekenntnis, insbesondre mit dem Glauben an eine besondre Erschaffung
des Menschen oder doch seiner Seele durch Gott, vereinbar. Was die übrige
Schöpfung angeht, so kann sie ja darauf hinweisen, daß selbst die Bibel im
Einklange mit der Entwicklungslehre das Feste und das Flüssige aus dem Ur-
nebel durch Abscheidung hervorgehn, auch "Gras, Pflanzen, Tiere und allerlei
Gewürm" nicht unmittelbar von Gott formen, sondern nach seinem Willen durch
die Erde und das Meer hervorbringen läßt. Und der persönliche Gott erscheint
in ihrer neuen Lehre mit Recht nicht überflüssig, sondern angesichts des überall
erkennbaren einheitlichen zielbewußter Willens, der sogenannten Zielstrebigkeit
in allem Werden, nur um so notwendiger und zugleich um so reicher, mächtiger
und erhabner, mit einem Worte um so göttlicher, wenn er sich nicht mit der
Formung jedes einzelnen Wesens befaßt, sondern es vermocht hat, mit seinem
"es werde" die Schaffenskraft des Stoffes auf unzählbare Jahrmillionen hinaus
so zu beleben, daß sie, wie selbst zielbewußt, Höheres und Höheres erzeuge"
muß, während er, der Schöpfer, in dem Werden seine Kraft, seineu Willen und
sein Wirken -- voll göttlicher Seligkeit sich selber -- erkennt.

Schaden für die Christeuglüubigkeit braucht also der biologische Unterricht
nicht zu bringen. Wohl aber wäre es gefährlich, wenn das Gymnasium eine
Berührung jener Dinge vermeiden, seinen Religionsunterricht wohl gar auf ein
Verdammen der vermeintlichen Irrlehre beschränken wollte. Das würde in dem
Schüler, an den doch täglich die brennenden Fragen herantreten, den Eindruck
erwecken, es gäbe etwas zu verbergen, als fürchte man die neue Wissenschaft,
und er wird dann nur um so begieriger und gläubiger denen lauschen, die ihm
das Licht der Erkenntnis, das sie zu scheu glauben, anpreisen. Aufklärung
muß verlangt werden von der Stelle, die berufen ist, in der sogenannten All¬
gemeinbildung die Grundlage für die Schaffung einer festen Welt- und Lebens-
anschauung, d. h. einen Fonds von wissenschaftlichen und sittlichen Anschauungen
zu geben, von denen aus sich selbständig Verständnis für die Erscheinungen
des Lebens, für Menschen und Dinge gewinnen, ihr Wert und ihre Bedeutung



Zu vgl. die Aufsätze in den Grenzboten Jahrgang 1897 S. 519, 552, 604, Jahr¬
gang 1898 S. 569, Jahrgang 1901 S. 416.
Grenzboten I 1908 72
Biologischer Unterricht in den Schulen

Vermutungen hat aufstellen können, und daß sie niemals imstande sein wird,
die Bildung des Bewußtseins zu begreifen und zu erläutern. So weiß sie
denn auch, daß sie die Existenz eines selbständigen bewußten Schöpfungswillens,
eines Schöpfers, wohl bestreiten aber nicht widerlegen könnte, und sie unter¬
nimmt es nicht, den Beweis für die Unmöglichkeit oder auch nur für die
Überflüssigkeit der Existenz Gottes zu erbringen.*)

Diese Wissenschaft ist nicht unversöhnlich mit einer Theologie, die die oft
Poetische Sprache der Bibel nicht allzu buchstäblich nimmt. So hat denn auch
schon eine Annäherung stattgefunden. Die katholische Kirche duldet es, daß
ein Jesuitenpater die Entwicklungslehre vertritt. Sie hält diese also wohl mit
ihrem Bekenntnis, insbesondre mit dem Glauben an eine besondre Erschaffung
des Menschen oder doch seiner Seele durch Gott, vereinbar. Was die übrige
Schöpfung angeht, so kann sie ja darauf hinweisen, daß selbst die Bibel im
Einklange mit der Entwicklungslehre das Feste und das Flüssige aus dem Ur-
nebel durch Abscheidung hervorgehn, auch „Gras, Pflanzen, Tiere und allerlei
Gewürm" nicht unmittelbar von Gott formen, sondern nach seinem Willen durch
die Erde und das Meer hervorbringen läßt. Und der persönliche Gott erscheint
in ihrer neuen Lehre mit Recht nicht überflüssig, sondern angesichts des überall
erkennbaren einheitlichen zielbewußter Willens, der sogenannten Zielstrebigkeit
in allem Werden, nur um so notwendiger und zugleich um so reicher, mächtiger
und erhabner, mit einem Worte um so göttlicher, wenn er sich nicht mit der
Formung jedes einzelnen Wesens befaßt, sondern es vermocht hat, mit seinem
„es werde" die Schaffenskraft des Stoffes auf unzählbare Jahrmillionen hinaus
so zu beleben, daß sie, wie selbst zielbewußt, Höheres und Höheres erzeuge»
muß, während er, der Schöpfer, in dem Werden seine Kraft, seineu Willen und
sein Wirken — voll göttlicher Seligkeit sich selber — erkennt.

Schaden für die Christeuglüubigkeit braucht also der biologische Unterricht
nicht zu bringen. Wohl aber wäre es gefährlich, wenn das Gymnasium eine
Berührung jener Dinge vermeiden, seinen Religionsunterricht wohl gar auf ein
Verdammen der vermeintlichen Irrlehre beschränken wollte. Das würde in dem
Schüler, an den doch täglich die brennenden Fragen herantreten, den Eindruck
erwecken, es gäbe etwas zu verbergen, als fürchte man die neue Wissenschaft,
und er wird dann nur um so begieriger und gläubiger denen lauschen, die ihm
das Licht der Erkenntnis, das sie zu scheu glauben, anpreisen. Aufklärung
muß verlangt werden von der Stelle, die berufen ist, in der sogenannten All¬
gemeinbildung die Grundlage für die Schaffung einer festen Welt- und Lebens-
anschauung, d. h. einen Fonds von wissenschaftlichen und sittlichen Anschauungen
zu geben, von denen aus sich selbständig Verständnis für die Erscheinungen
des Lebens, für Menschen und Dinge gewinnen, ihr Wert und ihre Bedeutung



Zu vgl. die Aufsätze in den Grenzboten Jahrgang 1897 S. 519, 552, 604, Jahr¬
gang 1898 S. 569, Jahrgang 1901 S. 416.
Grenzboten I 1908 72
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[0565] Biologischer Unterricht in den Schulen Vermutungen hat aufstellen können, und daß sie niemals imstande sein wird, die Bildung des Bewußtseins zu begreifen und zu erläutern. So weiß sie denn auch, daß sie die Existenz eines selbständigen bewußten Schöpfungswillens, eines Schöpfers, wohl bestreiten aber nicht widerlegen könnte, und sie unter¬ nimmt es nicht, den Beweis für die Unmöglichkeit oder auch nur für die Überflüssigkeit der Existenz Gottes zu erbringen.*) Diese Wissenschaft ist nicht unversöhnlich mit einer Theologie, die die oft Poetische Sprache der Bibel nicht allzu buchstäblich nimmt. So hat denn auch schon eine Annäherung stattgefunden. Die katholische Kirche duldet es, daß ein Jesuitenpater die Entwicklungslehre vertritt. Sie hält diese also wohl mit ihrem Bekenntnis, insbesondre mit dem Glauben an eine besondre Erschaffung des Menschen oder doch seiner Seele durch Gott, vereinbar. Was die übrige Schöpfung angeht, so kann sie ja darauf hinweisen, daß selbst die Bibel im Einklange mit der Entwicklungslehre das Feste und das Flüssige aus dem Ur- nebel durch Abscheidung hervorgehn, auch „Gras, Pflanzen, Tiere und allerlei Gewürm" nicht unmittelbar von Gott formen, sondern nach seinem Willen durch die Erde und das Meer hervorbringen läßt. Und der persönliche Gott erscheint in ihrer neuen Lehre mit Recht nicht überflüssig, sondern angesichts des überall erkennbaren einheitlichen zielbewußter Willens, der sogenannten Zielstrebigkeit in allem Werden, nur um so notwendiger und zugleich um so reicher, mächtiger und erhabner, mit einem Worte um so göttlicher, wenn er sich nicht mit der Formung jedes einzelnen Wesens befaßt, sondern es vermocht hat, mit seinem „es werde" die Schaffenskraft des Stoffes auf unzählbare Jahrmillionen hinaus so zu beleben, daß sie, wie selbst zielbewußt, Höheres und Höheres erzeuge» muß, während er, der Schöpfer, in dem Werden seine Kraft, seineu Willen und sein Wirken — voll göttlicher Seligkeit sich selber — erkennt. Schaden für die Christeuglüubigkeit braucht also der biologische Unterricht nicht zu bringen. Wohl aber wäre es gefährlich, wenn das Gymnasium eine Berührung jener Dinge vermeiden, seinen Religionsunterricht wohl gar auf ein Verdammen der vermeintlichen Irrlehre beschränken wollte. Das würde in dem Schüler, an den doch täglich die brennenden Fragen herantreten, den Eindruck erwecken, es gäbe etwas zu verbergen, als fürchte man die neue Wissenschaft, und er wird dann nur um so begieriger und gläubiger denen lauschen, die ihm das Licht der Erkenntnis, das sie zu scheu glauben, anpreisen. Aufklärung muß verlangt werden von der Stelle, die berufen ist, in der sogenannten All¬ gemeinbildung die Grundlage für die Schaffung einer festen Welt- und Lebens- anschauung, d. h. einen Fonds von wissenschaftlichen und sittlichen Anschauungen zu geben, von denen aus sich selbständig Verständnis für die Erscheinungen des Lebens, für Menschen und Dinge gewinnen, ihr Wert und ihre Bedeutung Zu vgl. die Aufsätze in den Grenzboten Jahrgang 1897 S. 519, 552, 604, Jahr¬ gang 1898 S. 569, Jahrgang 1901 S. 416. Grenzboten I 1908 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/565>, abgerufen am 23.07.2024.