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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Airche und Staat in Frankreich

die Desdevises angibt, trauen darf, hat es in Frankreich wirklich eine solche,
nur nicht erbschleichende, Gesellschaft gegeben: die vom Herzog von Ventadour
in den vierziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts gestiftete Oomx^Mit <w
Lu,int, Laoi-Nnent,, Sie sei so geheim geblieben, daß die von ihr an unsichtbaren
Faden geleiteten Obrigkeiten von ihrer Existenz nichts wußten. Die Idee war
groß und schön: einen Generalstab zu schaffen, der alle zur Ehre Gottes "und
des Heiligen Sakraments" unternommnen guten Werke einheitlich organisierte.
Daß die Stifter die Form einer geheimen Gesellschaft und als Mittel die
Intrige. die Spionage und die Denunziation wählten, erkläre ihre Eigenschaft
als Politiker zur Genüge. "Sie kamen vom Hofe und brachten von dort die
Diplomatengewohnheiten und Methoden mit. Der Hof ist die Heimat der
Intrige, der Ort, wo außer dem Hofnarren des Königs kein Mensch das Recht
hat, die Wahrheit zu sagen; wo nicht allein die Worte, sondern auch die
Gesichter lügen, wo niemand sich eines aufrichtigen Freundes rühmen kann,
wo sich unter den feinsten Formen die abscheulichsten Leidenschaften verbergen.
In einem solchen Milieu kann ein Ziel nur erreicht werden, wenn man schweigend
zu beobachten und seine Absichten zu verbergen versteht." Die Kompagnie
hatte überall ihre Spione und Werkzeuge, leitete durch sie die Obrigkeiten, ließ
Dirnen einsperren, Gotteslästerer grausam bestrafen, Ketzer aufspüren. Die
Wohltaten, die sie den Armen spendete, gebrauchte sie als Erziehungsmittel;
wer sich nicht durch Rechtgläubigkeit und sittliches Wohlverhalten des Almosens
würdig erwies, der wurde in seinem Elend gelassen. Desdevises findet das
abscheulich, verwerflich; den Hungrigen speisen, den Nackten kleiden, sei Christen¬
pflicht und dürfe nicht zu einem Herrschaftsmittel gemißbraucht werden, berechtige
nicht dazu, dem Armen unerbetne Ratschläge zu erteilen. Die Organisatoren
unsrer heutigen kommunalen Armenpflege sind darin andrer Ansicht; sie ver¬
fahren wie die Kompagnie, nur daß sie ihre Armen bloß zur Sittlichkeit und
zur Arbeit, nicht auch zur Rechtgläubigkeit anzuhalten pflegen. Die Kompagnie
war so unklug, Colbert Opposition zu machen, als dieser aus volkswirtschaft¬
lichen Gründen die Zahl der Klosterleute und der Feiertage zu vermindern
unternahm; sie zog den kürzern und löste sich auf. Manche hätten geglaubt,
Moliere habe sie im Tartüffe geißeln wollen; das sei nicht richtig; dieser
Schuft habe mit der Kompagnie keine Ähnlichkeit; er sei überhaupt kein
Porträt, sondern eine rein literarische Schöpfung, ein Gemisch aus Jansenismus,
Jesuitismus, gewöhnlicher Scheinheiligkeit und niedrigen Lastern. Aber Moliere
habe damit allerdings das Volksgewissen zum Widerstande gegen alle der¬
gleichen ungesunde Gemütszustande geweckt.




Airche und Staat in Frankreich

die Desdevises angibt, trauen darf, hat es in Frankreich wirklich eine solche,
nur nicht erbschleichende, Gesellschaft gegeben: die vom Herzog von Ventadour
in den vierziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts gestiftete Oomx^Mit <w
Lu,int, Laoi-Nnent,, Sie sei so geheim geblieben, daß die von ihr an unsichtbaren
Faden geleiteten Obrigkeiten von ihrer Existenz nichts wußten. Die Idee war
groß und schön: einen Generalstab zu schaffen, der alle zur Ehre Gottes „und
des Heiligen Sakraments" unternommnen guten Werke einheitlich organisierte.
Daß die Stifter die Form einer geheimen Gesellschaft und als Mittel die
Intrige. die Spionage und die Denunziation wählten, erkläre ihre Eigenschaft
als Politiker zur Genüge. „Sie kamen vom Hofe und brachten von dort die
Diplomatengewohnheiten und Methoden mit. Der Hof ist die Heimat der
Intrige, der Ort, wo außer dem Hofnarren des Königs kein Mensch das Recht
hat, die Wahrheit zu sagen; wo nicht allein die Worte, sondern auch die
Gesichter lügen, wo niemand sich eines aufrichtigen Freundes rühmen kann,
wo sich unter den feinsten Formen die abscheulichsten Leidenschaften verbergen.
In einem solchen Milieu kann ein Ziel nur erreicht werden, wenn man schweigend
zu beobachten und seine Absichten zu verbergen versteht." Die Kompagnie
hatte überall ihre Spione und Werkzeuge, leitete durch sie die Obrigkeiten, ließ
Dirnen einsperren, Gotteslästerer grausam bestrafen, Ketzer aufspüren. Die
Wohltaten, die sie den Armen spendete, gebrauchte sie als Erziehungsmittel;
wer sich nicht durch Rechtgläubigkeit und sittliches Wohlverhalten des Almosens
würdig erwies, der wurde in seinem Elend gelassen. Desdevises findet das
abscheulich, verwerflich; den Hungrigen speisen, den Nackten kleiden, sei Christen¬
pflicht und dürfe nicht zu einem Herrschaftsmittel gemißbraucht werden, berechtige
nicht dazu, dem Armen unerbetne Ratschläge zu erteilen. Die Organisatoren
unsrer heutigen kommunalen Armenpflege sind darin andrer Ansicht; sie ver¬
fahren wie die Kompagnie, nur daß sie ihre Armen bloß zur Sittlichkeit und
zur Arbeit, nicht auch zur Rechtgläubigkeit anzuhalten pflegen. Die Kompagnie
war so unklug, Colbert Opposition zu machen, als dieser aus volkswirtschaft¬
lichen Gründen die Zahl der Klosterleute und der Feiertage zu vermindern
unternahm; sie zog den kürzern und löste sich auf. Manche hätten geglaubt,
Moliere habe sie im Tartüffe geißeln wollen; das sei nicht richtig; dieser
Schuft habe mit der Kompagnie keine Ähnlichkeit; er sei überhaupt kein
Porträt, sondern eine rein literarische Schöpfung, ein Gemisch aus Jansenismus,
Jesuitismus, gewöhnlicher Scheinheiligkeit und niedrigen Lastern. Aber Moliere
habe damit allerdings das Volksgewissen zum Widerstande gegen alle der¬
gleichen ungesunde Gemütszustande geweckt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/526>, abgerufen am 22.07.2024.