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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

und die ihr Sohn unblutig zum Ziele führt, ist nichts Abstraktes, was besser
in einer Broschüre behandelt würde als in einem Roman, ein Gefühl, das
nur zu leicht bei der Gestaltung solcher Probleme gerade den anspruchsvollen
Leser befällt und verstimmt. So wie Gräfin Sibylle ihre leidenschaftlichen
Gedanken auf jedem Punkt, ob auch nicht immer gleich glücklich, in praktische
Taten umsetzt, so erwächst ihrer Darstelleritt immer Handlung aus der Idee.
Mängel hat das Buch noch eine ganze Zahl, aber es ist eins von denen, die
man mit ihren Mängeln lieben kann, und von denen man sich Nachfolger
verspricht, die den Vorgänger noch weit hinter sich lassen.

Wie aus einer andern Welt ertönt nach diesem Buch die Stimme von
Helene Bostan in ihrem neuen Werk "Das Haus zur Flaum" Merlin, Egon
Fleischel u. Co.). Helene Bostan möchte so gern Seele und Leben zeigen und
gibt doch immer wieder nur "Geist" und Literatur, sodaß man schier daran
zweifeln möchte, die Erzählerin der Ratsmüdelgeschichten vor sich zu haben.
Alles wirkt konstruiert und gequält. Es sind aparte Menschen in dem Buch,
aber Menschen mit einer gesuchten Apartheit, die uns nicht warmblütig begrüßen,
und die doch auf der andern Seite zu deutlich gezeichnet sind, daß sie etwa
nur als gewollte Symbole wirken könnten. Wo Helene Bostan schöne und
warme Menschlichkeit geben will, bleibt ein gespreiztes Schöntun übrig, das
nicht erwärmt, und von dem wir uns schließlich gelangweilt abwenden.

Georg von Ompteda, der in den letzten Jahren in etwas flaches Fahr¬
wasser geraten war, ist nun wieder auf anderen Wege. Wie schon früher hin
und wieder, bemüht er sich nicht, breite Gemälde hinzustellen, sondern eine
Seele zu malen, einen starken Vorgang in seinen psychologischen Konsequenzen
wiederzugeben. Der Roman heißt "Wie am ersten Tag" (Berlin, Egon
Fleischel u. Co.) und führt einen Bildhauer vor, der ein schönes Mädchen
geheiratet hat und sie als "selbstverständliche Schönheit" modelliert. Als das
Bildwerk fertig ist, kann er sich in rasender Eifersucht nicht entschließen, es zu
verkaufen, ja es auch nur jemand zu zeigen. Aber weil er, ein Talent von
starkem Eigenwillen, auch nicht zu andern, mindern Werken die Kraft findet,
gerät das Ehepaar in immer bittrere Not. Überreizt und gequält, begeht der
Bildhauer schließlich einen Totschlag an einem frühern Freunde. Er kann die
Schuld, die nicht entdeckt wird, nicht verschwiegen weiter tragen und gesteht
alles seiner Frau, deren Liebe, trotz allem warm wie am ersten Tag, ihm den
Weg zum Gericht auferlegt, aber an das Ende seiner Strafe die Rückkehr zu
der geduldig harrenden Gefährtin stellt. Kein sehr starkes, aber ein ernstes,
knappes, nachdenkliches Buch.

Fast dasselbe, nur ohne das Kennwort der Knappheit läßt sich von Ernst
Zahns Roman "Lukas Hochstraßers Haus" (Stuttgart, Deutsche Verlags¬
anstalt) sagen. Mit feiner Seelenkunde zeichnet Zahn den Bauern Lukas
Hochstraßer, dem nach dem Tode der Frau das bisher so festgefügte Gebäude
der Familie auseinanderzugehn droht, und der es nun mit der Stärke des


Neue Romane und Novellen

und die ihr Sohn unblutig zum Ziele führt, ist nichts Abstraktes, was besser
in einer Broschüre behandelt würde als in einem Roman, ein Gefühl, das
nur zu leicht bei der Gestaltung solcher Probleme gerade den anspruchsvollen
Leser befällt und verstimmt. So wie Gräfin Sibylle ihre leidenschaftlichen
Gedanken auf jedem Punkt, ob auch nicht immer gleich glücklich, in praktische
Taten umsetzt, so erwächst ihrer Darstelleritt immer Handlung aus der Idee.
Mängel hat das Buch noch eine ganze Zahl, aber es ist eins von denen, die
man mit ihren Mängeln lieben kann, und von denen man sich Nachfolger
verspricht, die den Vorgänger noch weit hinter sich lassen.

Wie aus einer andern Welt ertönt nach diesem Buch die Stimme von
Helene Bostan in ihrem neuen Werk „Das Haus zur Flaum" Merlin, Egon
Fleischel u. Co.). Helene Bostan möchte so gern Seele und Leben zeigen und
gibt doch immer wieder nur „Geist" und Literatur, sodaß man schier daran
zweifeln möchte, die Erzählerin der Ratsmüdelgeschichten vor sich zu haben.
Alles wirkt konstruiert und gequält. Es sind aparte Menschen in dem Buch,
aber Menschen mit einer gesuchten Apartheit, die uns nicht warmblütig begrüßen,
und die doch auf der andern Seite zu deutlich gezeichnet sind, daß sie etwa
nur als gewollte Symbole wirken könnten. Wo Helene Bostan schöne und
warme Menschlichkeit geben will, bleibt ein gespreiztes Schöntun übrig, das
nicht erwärmt, und von dem wir uns schließlich gelangweilt abwenden.

Georg von Ompteda, der in den letzten Jahren in etwas flaches Fahr¬
wasser geraten war, ist nun wieder auf anderen Wege. Wie schon früher hin
und wieder, bemüht er sich nicht, breite Gemälde hinzustellen, sondern eine
Seele zu malen, einen starken Vorgang in seinen psychologischen Konsequenzen
wiederzugeben. Der Roman heißt „Wie am ersten Tag" (Berlin, Egon
Fleischel u. Co.) und führt einen Bildhauer vor, der ein schönes Mädchen
geheiratet hat und sie als „selbstverständliche Schönheit" modelliert. Als das
Bildwerk fertig ist, kann er sich in rasender Eifersucht nicht entschließen, es zu
verkaufen, ja es auch nur jemand zu zeigen. Aber weil er, ein Talent von
starkem Eigenwillen, auch nicht zu andern, mindern Werken die Kraft findet,
gerät das Ehepaar in immer bittrere Not. Überreizt und gequält, begeht der
Bildhauer schließlich einen Totschlag an einem frühern Freunde. Er kann die
Schuld, die nicht entdeckt wird, nicht verschwiegen weiter tragen und gesteht
alles seiner Frau, deren Liebe, trotz allem warm wie am ersten Tag, ihm den
Weg zum Gericht auferlegt, aber an das Ende seiner Strafe die Rückkehr zu
der geduldig harrenden Gefährtin stellt. Kein sehr starkes, aber ein ernstes,
knappes, nachdenkliches Buch.

Fast dasselbe, nur ohne das Kennwort der Knappheit läßt sich von Ernst
Zahns Roman „Lukas Hochstraßers Haus" (Stuttgart, Deutsche Verlags¬
anstalt) sagen. Mit feiner Seelenkunde zeichnet Zahn den Bauern Lukas
Hochstraßer, dem nach dem Tode der Frau das bisher so festgefügte Gebäude
der Familie auseinanderzugehn droht, und der es nun mit der Stärke des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/138>, abgerufen am 21.06.2024.