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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Neujahrsgedanken

Aber unsre friedliche Ausbreitung muß sichern Schrittes unbeirrt vorwärts
gehn. Mit Dernburg ist ein frisches Leben in unsre stagnierende Kolonial¬
politik eingezogen. Er hat durchaus nicht als "Kolonialschwärmer"--Schwärmerei
ist nicht modern --, sondern mit dem nüchternen Blicke des Kaufmanns den
Glauben an den Wert und die Zukunft unsrer Kolonien in weite Kreise ge¬
tragen und gestärkt, er hat aber auch auf Grund eigner Anschauung, die sich
vor ihm kein einziger Leiter unsers Kolonialwesens verschafft hatte, energisch
darauf hingewiesen, daß große Kapitalanlagen des Mutterlandes, nicht nur eine
geordnete Verwaltung notwendig sind, um diese Gebiete zu entwickeln und für
die Heimat nutzbar zu machen.

Und zum erstenmale darf eine aktive, großzügige, nicht ängstlich rech¬
nende und knausernde Kolonialpolitik auf eine sichere Mehrheit im Reichstage
rechnen, auf den konservativ-liberalen "Block", der das Zentrum mit seiner roten
Gefolgschaft endlich von dem solange ausgeübten und so oft mißbrauchten
maßgebenden Einfluß auf die Reichspolitik verdrängt hat. Was soll da das
ewige Zerren und Nörgeln an diesem Block? Haben sich die nationalen Par¬
teien nur deshalb zusammengeschlossen, um dabei jede ihre besondern Interessen
zu fördern oder um des Ganzen, des Vaterlandes willen? Wollen sie wieder
in den elenden "Kuhhandel", den sie dem Zentrum so oft vorgeworfen haben,
zurückfallen, die nationale Sache nur dann zu der ihrigen zu machen, wenn
dabei ein Vorteil für die oder jene Gruppe herausspringt? Haben sie noch
immer nicht begriffen, daß keine Partei irgendwelchen Anspruch hat, ihre "Prin¬
zipien" und ihren Willen allein durchzusetzen, weil sie eben nur einen Faktor
des vielgestaltigen nationalen Lebens vertritt, daß also jede praktische Politik
auf Kompromissen beruht? Ein Kind muß einsehen, daß ein Zerfall des Blocks
sofort dem Zentrum seine alte Macht wiedergeben, damit alle die alten vielbeklagten
Übelstände erneuern, und daß eine dann durchaus mögliche konservativ-klerikale
Mehrheit die Liberalen beiseite schieben würde, während sie jetzt zur Regierungs¬
partei gehören. Aber eben dieser Gedanke scheint so manchem Liberalen nament¬
lich des linken Flügels unerträglich zu sein. Sie müssen doch ihren Wählern
zuweilen ihre Gesinnungstüchtigkeit zeigen, und diese hat von jeher in der Oppo¬
sition bestanden, die freilich bequemer ist als das Regieren, denn "tadeln ist
leichter als besser machen", sagt das alte Sprichwort. Wäre es nicht so, dann
wäre der unerwartete und sachlich unmotivierte Vorstoß eines nationalliberalen
Führers gegen den Kriegsminister, noch dazu wegen einer so ekelhaften Sache
wie der Moltke-Hardenprozeß, ganz unbegreiflich, denn persönliche Motive darf
man ja bei Abgeordneten nie voraussetzen. Der Reichskanzler mußte seine ganze
Autorität einsetzen, um den Herren klar zu machen, daß mit der Existenz des
Blocks seine eigne Stellung auf dem Spiele stehe. Und dabei soll man nicht
an der politischen Befähigung der Deutschen verzweifeln! Die Art, wie Zentrum
und Sozialdemokratie am 5. Dezember die glückliche Lösung der mutwillig herauf-
beschwornen Krisis begrüßten, mußte es auch dem Verbleudetsten klar machen,


Neujahrsgedanken

Aber unsre friedliche Ausbreitung muß sichern Schrittes unbeirrt vorwärts
gehn. Mit Dernburg ist ein frisches Leben in unsre stagnierende Kolonial¬
politik eingezogen. Er hat durchaus nicht als „Kolonialschwärmer"—Schwärmerei
ist nicht modern —, sondern mit dem nüchternen Blicke des Kaufmanns den
Glauben an den Wert und die Zukunft unsrer Kolonien in weite Kreise ge¬
tragen und gestärkt, er hat aber auch auf Grund eigner Anschauung, die sich
vor ihm kein einziger Leiter unsers Kolonialwesens verschafft hatte, energisch
darauf hingewiesen, daß große Kapitalanlagen des Mutterlandes, nicht nur eine
geordnete Verwaltung notwendig sind, um diese Gebiete zu entwickeln und für
die Heimat nutzbar zu machen.

Und zum erstenmale darf eine aktive, großzügige, nicht ängstlich rech¬
nende und knausernde Kolonialpolitik auf eine sichere Mehrheit im Reichstage
rechnen, auf den konservativ-liberalen „Block", der das Zentrum mit seiner roten
Gefolgschaft endlich von dem solange ausgeübten und so oft mißbrauchten
maßgebenden Einfluß auf die Reichspolitik verdrängt hat. Was soll da das
ewige Zerren und Nörgeln an diesem Block? Haben sich die nationalen Par¬
teien nur deshalb zusammengeschlossen, um dabei jede ihre besondern Interessen
zu fördern oder um des Ganzen, des Vaterlandes willen? Wollen sie wieder
in den elenden „Kuhhandel", den sie dem Zentrum so oft vorgeworfen haben,
zurückfallen, die nationale Sache nur dann zu der ihrigen zu machen, wenn
dabei ein Vorteil für die oder jene Gruppe herausspringt? Haben sie noch
immer nicht begriffen, daß keine Partei irgendwelchen Anspruch hat, ihre „Prin¬
zipien" und ihren Willen allein durchzusetzen, weil sie eben nur einen Faktor
des vielgestaltigen nationalen Lebens vertritt, daß also jede praktische Politik
auf Kompromissen beruht? Ein Kind muß einsehen, daß ein Zerfall des Blocks
sofort dem Zentrum seine alte Macht wiedergeben, damit alle die alten vielbeklagten
Übelstände erneuern, und daß eine dann durchaus mögliche konservativ-klerikale
Mehrheit die Liberalen beiseite schieben würde, während sie jetzt zur Regierungs¬
partei gehören. Aber eben dieser Gedanke scheint so manchem Liberalen nament¬
lich des linken Flügels unerträglich zu sein. Sie müssen doch ihren Wählern
zuweilen ihre Gesinnungstüchtigkeit zeigen, und diese hat von jeher in der Oppo¬
sition bestanden, die freilich bequemer ist als das Regieren, denn „tadeln ist
leichter als besser machen", sagt das alte Sprichwort. Wäre es nicht so, dann
wäre der unerwartete und sachlich unmotivierte Vorstoß eines nationalliberalen
Führers gegen den Kriegsminister, noch dazu wegen einer so ekelhaften Sache
wie der Moltke-Hardenprozeß, ganz unbegreiflich, denn persönliche Motive darf
man ja bei Abgeordneten nie voraussetzen. Der Reichskanzler mußte seine ganze
Autorität einsetzen, um den Herren klar zu machen, daß mit der Existenz des
Blocks seine eigne Stellung auf dem Spiele stehe. Und dabei soll man nicht
an der politischen Befähigung der Deutschen verzweifeln! Die Art, wie Zentrum
und Sozialdemokratie am 5. Dezember die glückliche Lösung der mutwillig herauf-
beschwornen Krisis begrüßten, mußte es auch dem Verbleudetsten klar machen,


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[0013] Neujahrsgedanken Aber unsre friedliche Ausbreitung muß sichern Schrittes unbeirrt vorwärts gehn. Mit Dernburg ist ein frisches Leben in unsre stagnierende Kolonial¬ politik eingezogen. Er hat durchaus nicht als „Kolonialschwärmer"—Schwärmerei ist nicht modern —, sondern mit dem nüchternen Blicke des Kaufmanns den Glauben an den Wert und die Zukunft unsrer Kolonien in weite Kreise ge¬ tragen und gestärkt, er hat aber auch auf Grund eigner Anschauung, die sich vor ihm kein einziger Leiter unsers Kolonialwesens verschafft hatte, energisch darauf hingewiesen, daß große Kapitalanlagen des Mutterlandes, nicht nur eine geordnete Verwaltung notwendig sind, um diese Gebiete zu entwickeln und für die Heimat nutzbar zu machen. Und zum erstenmale darf eine aktive, großzügige, nicht ängstlich rech¬ nende und knausernde Kolonialpolitik auf eine sichere Mehrheit im Reichstage rechnen, auf den konservativ-liberalen „Block", der das Zentrum mit seiner roten Gefolgschaft endlich von dem solange ausgeübten und so oft mißbrauchten maßgebenden Einfluß auf die Reichspolitik verdrängt hat. Was soll da das ewige Zerren und Nörgeln an diesem Block? Haben sich die nationalen Par¬ teien nur deshalb zusammengeschlossen, um dabei jede ihre besondern Interessen zu fördern oder um des Ganzen, des Vaterlandes willen? Wollen sie wieder in den elenden „Kuhhandel", den sie dem Zentrum so oft vorgeworfen haben, zurückfallen, die nationale Sache nur dann zu der ihrigen zu machen, wenn dabei ein Vorteil für die oder jene Gruppe herausspringt? Haben sie noch immer nicht begriffen, daß keine Partei irgendwelchen Anspruch hat, ihre „Prin¬ zipien" und ihren Willen allein durchzusetzen, weil sie eben nur einen Faktor des vielgestaltigen nationalen Lebens vertritt, daß also jede praktische Politik auf Kompromissen beruht? Ein Kind muß einsehen, daß ein Zerfall des Blocks sofort dem Zentrum seine alte Macht wiedergeben, damit alle die alten vielbeklagten Übelstände erneuern, und daß eine dann durchaus mögliche konservativ-klerikale Mehrheit die Liberalen beiseite schieben würde, während sie jetzt zur Regierungs¬ partei gehören. Aber eben dieser Gedanke scheint so manchem Liberalen nament¬ lich des linken Flügels unerträglich zu sein. Sie müssen doch ihren Wählern zuweilen ihre Gesinnungstüchtigkeit zeigen, und diese hat von jeher in der Oppo¬ sition bestanden, die freilich bequemer ist als das Regieren, denn „tadeln ist leichter als besser machen", sagt das alte Sprichwort. Wäre es nicht so, dann wäre der unerwartete und sachlich unmotivierte Vorstoß eines nationalliberalen Führers gegen den Kriegsminister, noch dazu wegen einer so ekelhaften Sache wie der Moltke-Hardenprozeß, ganz unbegreiflich, denn persönliche Motive darf man ja bei Abgeordneten nie voraussetzen. Der Reichskanzler mußte seine ganze Autorität einsetzen, um den Herren klar zu machen, daß mit der Existenz des Blocks seine eigne Stellung auf dem Spiele stehe. Und dabei soll man nicht an der politischen Befähigung der Deutschen verzweifeln! Die Art, wie Zentrum und Sozialdemokratie am 5. Dezember die glückliche Lösung der mutwillig herauf- beschwornen Krisis begrüßten, mußte es auch dem Verbleudetsten klar machen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/13>, abgerufen am 22.07.2024.