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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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es für geboten, die Stärke der Marine und den Zeitraum, in welchem diese
Stärke erreicht werden soll, gesetzlich festzulegen."

Das Gesetz normierte als Schiffsbestand, abgesehen von Torpedofcihrzeugcn,
Schulschiffen, Spezialschiffcn und Kanonenbooten, ein Doppelgeschwader von je
8 Linienschiffen mit einen Flottcnflaggschiff, 2 Divisionen von je 4 Küsteu-
pciuzerschiffeu, 6 große und 16 kleine Kreuzer als Aufkläruugsschiffe für die
heimische Schlachtflotte, 3 große und 10 kleine Kreuzer für den Auslandsdienst.
Zu dieser verwendnngsbereiten Flotte sollten als Materialreserve 2 Linienschiffe,
3 große und 4 kleine Kreuzer treten. Von den am 1. April 1898 vorhandnen
und im Bau befindlichen Schiffen kamen auf diesen Sollbestand in Anrechnung
als Linienschiffe 12, als Küstenpanzer 8, als große Kreuzer 10, als kleine
Kreuzer 23. Mit andern Worten: vermehrt wurde die Flotte um 7 Linien¬
schiffe, 2 große und 7 kleine Kreuzer.

Unsre Zeit lebt rasch und vergißt leicht. Nur schwer vermögen wir uns
ins Gedächtnis zurückzurufen, welche Stürme der Erregung und des Widerstandes
dieses erste Flottengesetz hervorgerufen hat, welche gewaltigen Anstrengungen im
Reichstag und im Volke nötig waren, es durchzusetzen. Die Opposition wandte
sich mit der stärksten Hartnäckigkeit gegen die Vermehrung der Flotte an sich, als
unnötig, ja bedenklich gegen die finanzielle Belastung, die unerträglich sei, gegen
die gesetzliche Festlegung des Sollbestandes als unkonstitutionell und das Budget¬
recht des Reichstags beeinträchtigend. Es bedürfte fast vier Mouate heißer parla¬
mentarischer Kämpfe, in denen die Negierung und die flottenfreuudlicheu Parteien
alle Kräfte aufwandten, bis am 24. März 1898 der grundlegende Paragraph 1
der Vorlage mit 212 gegen 139 Stimmen angenommen wurde. Die Ent¬
scheidung lag beim Zentrum, dieses stimmte mit Ja, nachdem sich sein Führer
Abgeordneter Dr. Lieber mit seiner ganzen Autorität eingesetzt hatte. Dieses
nationale Verdienst des kurze Zeit danach verstorbnen Mannes hat Staats¬
sekretär Admiral von Tirpitz in seiner Reichstagsrede vom 29. November 1907
in das Gedächtnis der Mitwelt zurückgerufen. Und er hat Recht damit getan:
keine Veränderung der politischen Konstellation kann jene patriotische Tat der
Zentrumspartei ans der Welt schaffen oder auch uur ihre Bedeutung ver¬
ringern.

Damals empfanden alle Vaterlandsfreunde, die in einer starken Seemacht
eine Notwendigkeit für Deutschlands Ansehen, Größe und Sicherheit sahen,
in gleicher Weise. Wer diese Zeiten -- und sei es auch uur mit der Feder
am Schreibtisch -- handelnd unterlebt hat, denkt freudig zurück an das Walten
eines starken patriotischen Geistes, der unser Volk ergriff und auf große Ziele
lenkte. Was der .Kaiser am 6. Mai 1898 dem Reichstag zum Abschied sagte,
war der Nation aus dem Herzen gesprochen: "Mit hoher Befriedigung erfüllt
es mich, daß ich unter Ihrer patriotischen Mitwirkung erreichen konnte, unsre
Flotte auf eine feste und dauernde Grundlage zu stellen. Indem der Reichstag


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es für geboten, die Stärke der Marine und den Zeitraum, in welchem diese
Stärke erreicht werden soll, gesetzlich festzulegen."

Das Gesetz normierte als Schiffsbestand, abgesehen von Torpedofcihrzeugcn,
Schulschiffen, Spezialschiffcn und Kanonenbooten, ein Doppelgeschwader von je
8 Linienschiffen mit einen Flottcnflaggschiff, 2 Divisionen von je 4 Küsteu-
pciuzerschiffeu, 6 große und 16 kleine Kreuzer als Aufkläruugsschiffe für die
heimische Schlachtflotte, 3 große und 10 kleine Kreuzer für den Auslandsdienst.
Zu dieser verwendnngsbereiten Flotte sollten als Materialreserve 2 Linienschiffe,
3 große und 4 kleine Kreuzer treten. Von den am 1. April 1898 vorhandnen
und im Bau befindlichen Schiffen kamen auf diesen Sollbestand in Anrechnung
als Linienschiffe 12, als Küstenpanzer 8, als große Kreuzer 10, als kleine
Kreuzer 23. Mit andern Worten: vermehrt wurde die Flotte um 7 Linien¬
schiffe, 2 große und 7 kleine Kreuzer.

Unsre Zeit lebt rasch und vergißt leicht. Nur schwer vermögen wir uns
ins Gedächtnis zurückzurufen, welche Stürme der Erregung und des Widerstandes
dieses erste Flottengesetz hervorgerufen hat, welche gewaltigen Anstrengungen im
Reichstag und im Volke nötig waren, es durchzusetzen. Die Opposition wandte
sich mit der stärksten Hartnäckigkeit gegen die Vermehrung der Flotte an sich, als
unnötig, ja bedenklich gegen die finanzielle Belastung, die unerträglich sei, gegen
die gesetzliche Festlegung des Sollbestandes als unkonstitutionell und das Budget¬
recht des Reichstags beeinträchtigend. Es bedürfte fast vier Mouate heißer parla¬
mentarischer Kämpfe, in denen die Negierung und die flottenfreuudlicheu Parteien
alle Kräfte aufwandten, bis am 24. März 1898 der grundlegende Paragraph 1
der Vorlage mit 212 gegen 139 Stimmen angenommen wurde. Die Ent¬
scheidung lag beim Zentrum, dieses stimmte mit Ja, nachdem sich sein Führer
Abgeordneter Dr. Lieber mit seiner ganzen Autorität eingesetzt hatte. Dieses
nationale Verdienst des kurze Zeit danach verstorbnen Mannes hat Staats¬
sekretär Admiral von Tirpitz in seiner Reichstagsrede vom 29. November 1907
in das Gedächtnis der Mitwelt zurückgerufen. Und er hat Recht damit getan:
keine Veränderung der politischen Konstellation kann jene patriotische Tat der
Zentrumspartei ans der Welt schaffen oder auch uur ihre Bedeutung ver¬
ringern.

Damals empfanden alle Vaterlandsfreunde, die in einer starken Seemacht
eine Notwendigkeit für Deutschlands Ansehen, Größe und Sicherheit sahen,
in gleicher Weise. Wer diese Zeiten — und sei es auch uur mit der Feder
am Schreibtisch — handelnd unterlebt hat, denkt freudig zurück an das Walten
eines starken patriotischen Geistes, der unser Volk ergriff und auf große Ziele
lenkte. Was der .Kaiser am 6. Mai 1898 dem Reichstag zum Abschied sagte,
war der Nation aus dem Herzen gesprochen: „Mit hoher Befriedigung erfüllt
es mich, daß ich unter Ihrer patriotischen Mitwirkung erreichen konnte, unsre
Flotte auf eine feste und dauernde Grundlage zu stellen. Indem der Reichstag


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/118>, abgerufen am 22.07.2024.