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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Burckhardts Licerone und Kultur der Renaissance

ja nicht einmal Dilettanten in der Kunstausübung sind usw. Aber die leichte
Kunst, hinter einzelnen noch lebenden Künstlern mit lauten Lobeserhebungen
herzulaufen oder über einen eben verstorbnen in gleichem Stil ein Buch zu
schreiben, die billige Kunst überließ er andern. Daß er der modernen Kunst
ebenfalls gefolgt ist, sieht man aus manchen seiner Aufsätze und Vorträge,
aber er liebte es schon gar nicht, Vergleiche und Maßstäbe von heute in die
Behandlung der vergangnen Kunst hineinspielen zu lassen, als ob die alten
Künstler das heute Erreichte oder Gewünschte gewissermaßen von ferne im Auge
gehabt hätten. Zu einer solchen cnMtio oensvolsutias seiner eignen Zeit stand
ihm die alte Kunst doch zu hoch. Er Hütte auch nicht ihr Wiederentdecker, ihr
Herold sein müssen, wenn er nicht die Überzeugung gewonnen gehabt hätte:
So etwas kommt in der Welt nicht wieder! Damit hängt das Zweite, was
für ihn charakteristisch war, zusammen. Er war vom tiefsten Grunde seines
Wesens aus ein Historiker, das sieht man aus allem, was er geschrieben hat,
und aus den Gegenständen seiner Vorträge: er faßte alles und jedes suo sxsois
prastsriti auf, während er, wie bekannt ist, der Gegenwart unsicher und mit
einem pessimistisch gefärbten Unbehagen gegenüberstand. So nur erklärt sich
auch sein politischer Standpunkt, der an sich kreuzwunderlich war und an einem
so gescheiten und kenntnisreichen Manne kaum begreiflich; wer so ziemlich alles
kennt, was Burckhcirdt geschrieben hat, wird sich diesen Ausdruck erlauben dürfen.
Und die Erklärung liegt darin, daß seine ganze Weltanschauung sozusagen in
die Vergangenheit projiziert war. Aus seiner Geschichtsauffassung hätte jemand
für die Politik, das heißt für die Gegenwart, schlechterdings nichts lernen
können, weswegen auch die aus seinem Nachlaß herausgegebnen politisch¬
historischen Vorträge so unergiebig sind. Dafür hatte er die Gabe, alles Ver¬
gangne interessant zumachen, und als ein Mittel dazu diente ihm auch diese
seine -- rein theoretisch zu nehmende -- Politik. Auf das Gebiet der Kunst
angewandt, suchte nun sein geschichtlicher Sinn Antwort auf die Fragen, unter
welchen äußern Umständen ein Kunstwerk geschaffen, wie es von seiner Zeit
aufgenommen worden sei und auf die folgende Zeit weiter gewirkt habe. Daraus
erst ergaben sich ihm die Werturteile. Seine Leser sollten also ein wenig mit
den Augen von Zeitgenossen sehen lernen, ohne das geht es nicht, und um
das zu können, müssen sie zuerst eine Vorstellung von der Zeit selbst haben.
Die Ästheten oder Ästhetiker von heute brauchen das nicht. Sie genießen ohne
weiteres und urteilen, das heißt sie sagen andern, wies ihnen geschmeckt hat.
Das ist für beide Teile einfacher und kürzer als jener Umweg durch die Geschichte,
denn der ist für gebildete Menschen, die um ihrer Bildung willen auch etwas
Mühe nicht scheuen. Den Gegensatz der beiden Methoden bezeichnet treffend
das jetzt auf der einen Seite gern gebrauchte Wort von der "kunstgeschicht¬
lichen Verbildung". Weil man weiß, daß Bildung nicht ohne Mühe zu erreichen
ist, so glaubt man auf die schicklichste Weise um sie herum zu kommen, indem
man sie als etwas schädliches hinstellt. Ist nicht darin vielleicht sogar schon ein


Burckhardts Licerone und Kultur der Renaissance

ja nicht einmal Dilettanten in der Kunstausübung sind usw. Aber die leichte
Kunst, hinter einzelnen noch lebenden Künstlern mit lauten Lobeserhebungen
herzulaufen oder über einen eben verstorbnen in gleichem Stil ein Buch zu
schreiben, die billige Kunst überließ er andern. Daß er der modernen Kunst
ebenfalls gefolgt ist, sieht man aus manchen seiner Aufsätze und Vorträge,
aber er liebte es schon gar nicht, Vergleiche und Maßstäbe von heute in die
Behandlung der vergangnen Kunst hineinspielen zu lassen, als ob die alten
Künstler das heute Erreichte oder Gewünschte gewissermaßen von ferne im Auge
gehabt hätten. Zu einer solchen cnMtio oensvolsutias seiner eignen Zeit stand
ihm die alte Kunst doch zu hoch. Er Hütte auch nicht ihr Wiederentdecker, ihr
Herold sein müssen, wenn er nicht die Überzeugung gewonnen gehabt hätte:
So etwas kommt in der Welt nicht wieder! Damit hängt das Zweite, was
für ihn charakteristisch war, zusammen. Er war vom tiefsten Grunde seines
Wesens aus ein Historiker, das sieht man aus allem, was er geschrieben hat,
und aus den Gegenständen seiner Vorträge: er faßte alles und jedes suo sxsois
prastsriti auf, während er, wie bekannt ist, der Gegenwart unsicher und mit
einem pessimistisch gefärbten Unbehagen gegenüberstand. So nur erklärt sich
auch sein politischer Standpunkt, der an sich kreuzwunderlich war und an einem
so gescheiten und kenntnisreichen Manne kaum begreiflich; wer so ziemlich alles
kennt, was Burckhcirdt geschrieben hat, wird sich diesen Ausdruck erlauben dürfen.
Und die Erklärung liegt darin, daß seine ganze Weltanschauung sozusagen in
die Vergangenheit projiziert war. Aus seiner Geschichtsauffassung hätte jemand
für die Politik, das heißt für die Gegenwart, schlechterdings nichts lernen
können, weswegen auch die aus seinem Nachlaß herausgegebnen politisch¬
historischen Vorträge so unergiebig sind. Dafür hatte er die Gabe, alles Ver¬
gangne interessant zumachen, und als ein Mittel dazu diente ihm auch diese
seine — rein theoretisch zu nehmende — Politik. Auf das Gebiet der Kunst
angewandt, suchte nun sein geschichtlicher Sinn Antwort auf die Fragen, unter
welchen äußern Umständen ein Kunstwerk geschaffen, wie es von seiner Zeit
aufgenommen worden sei und auf die folgende Zeit weiter gewirkt habe. Daraus
erst ergaben sich ihm die Werturteile. Seine Leser sollten also ein wenig mit
den Augen von Zeitgenossen sehen lernen, ohne das geht es nicht, und um
das zu können, müssen sie zuerst eine Vorstellung von der Zeit selbst haben.
Die Ästheten oder Ästhetiker von heute brauchen das nicht. Sie genießen ohne
weiteres und urteilen, das heißt sie sagen andern, wies ihnen geschmeckt hat.
Das ist für beide Teile einfacher und kürzer als jener Umweg durch die Geschichte,
denn der ist für gebildete Menschen, die um ihrer Bildung willen auch etwas
Mühe nicht scheuen. Den Gegensatz der beiden Methoden bezeichnet treffend
das jetzt auf der einen Seite gern gebrauchte Wort von der „kunstgeschicht¬
lichen Verbildung". Weil man weiß, daß Bildung nicht ohne Mühe zu erreichen
ist, so glaubt man auf die schicklichste Weise um sie herum zu kommen, indem
man sie als etwas schädliches hinstellt. Ist nicht darin vielleicht sogar schon ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/90>, abgerufen am 24.08.2024.