Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Burckhardts Licerone und Kultur der Renaissance

sich jetzt, nach dem Erscheinen von acht Geigerschen Auflagen, die Mühe
nehmen will, den Text auf wirkliche Änderungen hin zu prüfen, der wird die
Entdeckung machen, daß diese sehr gering sind, daß namentlich ganz und gar
nichts wesentliches beseitigt ist, was hätte stehn bleiben müssen. Wozu also
das Gejammer! Warum fand sich denn kein andrer, der es besser machte,
oder der in einer eingehenden Behandlung eines einzelnen Abschnitts zeigte,
wie es hätte gemacht werden müssen? In der Schweiz, unter den Erben des
Geistes von Jakob Burckhardt und den Kennern seines ungeschriebnen Willens
und Wissens, hätte sich doch jemand finden müssen. Warum ließ man denn
dort überhaupt den Verlag des Werkes in eine deutsche Hand übergehn?
"Was räucherst du nun deinem Toten? Hältst dus ihm so im Leben geboten",
lautet ein Spruch von Goethe. Es ist doch bekannt genug und in Burck¬
hardts Biographien mit Tatsachen belegt, wie wenig sein Vaterland und seine
Heimatstadt für den großen Mann bei Lebzeiten getan haben, der sich in
seiner einzigen Bescheidenheit, in seinem wahrhaft antiken Vaterlandssinn mit
den kärglichsten äußern Entgeltungen für seine Verdienste reichlich belohnt
fühlte. Andrerseits hat ihm Deutschland die höchste Schätzung angetragen,
die einem wissenschaftlichen Manne zuteil werden kann, als man ihn 1872
von Berlin zum Nachfolger Leopold Rankes berief. Und ein deutscher Verlag
hat dem Werke Burckhardts den Weg bereitet, dessen immer kürzer werdende
Etappen die Erscheinungsjahre der letzten acht Auflagen veranschaulichen
mögen: 1877/78, 1885, 1896, 1897, 1898, 1901, 1904, 1907. Das nennt
man doch einen äußern Erfolg!

Es verlohnt sich wohl noch, auf die Frage einzugehen, warum Burckhardt
sein Werk nach der zweiten Auflage, wie es scheint teilnahmlos, aus der Hand
gegeben hat. Nach den Andeutungen von schweizerischer Seite könnte man auf
den Gedanken kommen, daß eine persönliche Verstimmung zugrunde gelegen
habe, die sich dann wohl nur gegen den neuen Verleger oder den Herausgeber
gerichtet haben könnte, wovon doch nichts bekannt geworden ist. Wie mir
scheint, liegt die Sache viel einfacher. Abneigung von Autoren gegen Ver¬
änderung ihrer Werke kommt ziemlich häufig vor, und aus manchen Vorreden
neuer Auflagen merkt man geradezu die Unlust zu solchem Geschäfte heraus.
Zum Teil liegt das daran, daß lebendige Naturen von starker Aktivität lieber
zu etwas Neuem übergehen, als daß sie sich zu dem Gelärm immer wieder
zurückzwingen lassen, zumal da es sich dabei meist um äußerliche Arbeit an
Einzelheiten handelt. Es gibt noch mehr Beispiele dafür in der wissenschaft¬
lichen Literatur, daß ein bedeutendes Werk von seinem Autor einem andern
zur weitern Herausgabe überlassen worden ist. Was Burckhardts Gedanken
beschäftigte in den Jahren seit der ersten Auflage seiner "Kultur der Renaissance"
(1860) bis zum Erscheinen der ersten Geigerschen Ausgabe (1877/78) und
darüber hinaus, wissen wir aus dem Verzeichnis seiner öffentlich gehaltnen
Vorträge mit ihren allerverschiedensten Gegenständen. Darin lebte er, und wir


Burckhardts Licerone und Kultur der Renaissance

sich jetzt, nach dem Erscheinen von acht Geigerschen Auflagen, die Mühe
nehmen will, den Text auf wirkliche Änderungen hin zu prüfen, der wird die
Entdeckung machen, daß diese sehr gering sind, daß namentlich ganz und gar
nichts wesentliches beseitigt ist, was hätte stehn bleiben müssen. Wozu also
das Gejammer! Warum fand sich denn kein andrer, der es besser machte,
oder der in einer eingehenden Behandlung eines einzelnen Abschnitts zeigte,
wie es hätte gemacht werden müssen? In der Schweiz, unter den Erben des
Geistes von Jakob Burckhardt und den Kennern seines ungeschriebnen Willens
und Wissens, hätte sich doch jemand finden müssen. Warum ließ man denn
dort überhaupt den Verlag des Werkes in eine deutsche Hand übergehn?
„Was räucherst du nun deinem Toten? Hältst dus ihm so im Leben geboten",
lautet ein Spruch von Goethe. Es ist doch bekannt genug und in Burck¬
hardts Biographien mit Tatsachen belegt, wie wenig sein Vaterland und seine
Heimatstadt für den großen Mann bei Lebzeiten getan haben, der sich in
seiner einzigen Bescheidenheit, in seinem wahrhaft antiken Vaterlandssinn mit
den kärglichsten äußern Entgeltungen für seine Verdienste reichlich belohnt
fühlte. Andrerseits hat ihm Deutschland die höchste Schätzung angetragen,
die einem wissenschaftlichen Manne zuteil werden kann, als man ihn 1872
von Berlin zum Nachfolger Leopold Rankes berief. Und ein deutscher Verlag
hat dem Werke Burckhardts den Weg bereitet, dessen immer kürzer werdende
Etappen die Erscheinungsjahre der letzten acht Auflagen veranschaulichen
mögen: 1877/78, 1885, 1896, 1897, 1898, 1901, 1904, 1907. Das nennt
man doch einen äußern Erfolg!

Es verlohnt sich wohl noch, auf die Frage einzugehen, warum Burckhardt
sein Werk nach der zweiten Auflage, wie es scheint teilnahmlos, aus der Hand
gegeben hat. Nach den Andeutungen von schweizerischer Seite könnte man auf
den Gedanken kommen, daß eine persönliche Verstimmung zugrunde gelegen
habe, die sich dann wohl nur gegen den neuen Verleger oder den Herausgeber
gerichtet haben könnte, wovon doch nichts bekannt geworden ist. Wie mir
scheint, liegt die Sache viel einfacher. Abneigung von Autoren gegen Ver¬
änderung ihrer Werke kommt ziemlich häufig vor, und aus manchen Vorreden
neuer Auflagen merkt man geradezu die Unlust zu solchem Geschäfte heraus.
Zum Teil liegt das daran, daß lebendige Naturen von starker Aktivität lieber
zu etwas Neuem übergehen, als daß sie sich zu dem Gelärm immer wieder
zurückzwingen lassen, zumal da es sich dabei meist um äußerliche Arbeit an
Einzelheiten handelt. Es gibt noch mehr Beispiele dafür in der wissenschaft¬
lichen Literatur, daß ein bedeutendes Werk von seinem Autor einem andern
zur weitern Herausgabe überlassen worden ist. Was Burckhardts Gedanken
beschäftigte in den Jahren seit der ersten Auflage seiner „Kultur der Renaissance"
(1860) bis zum Erscheinen der ersten Geigerschen Ausgabe (1877/78) und
darüber hinaus, wissen wir aus dem Verzeichnis seiner öffentlich gehaltnen
Vorträge mit ihren allerverschiedensten Gegenständen. Darin lebte er, und wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310498"/>
          <fw type="header" place="top"> Burckhardts Licerone und Kultur der Renaissance</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_371" prev="#ID_370"> sich jetzt, nach dem Erscheinen von acht Geigerschen Auflagen, die Mühe<lb/>
nehmen will, den Text auf wirkliche Änderungen hin zu prüfen, der wird die<lb/>
Entdeckung machen, daß diese sehr gering sind, daß namentlich ganz und gar<lb/>
nichts wesentliches beseitigt ist, was hätte stehn bleiben müssen. Wozu also<lb/>
das Gejammer! Warum fand sich denn kein andrer, der es besser machte,<lb/>
oder der in einer eingehenden Behandlung eines einzelnen Abschnitts zeigte,<lb/>
wie es hätte gemacht werden müssen? In der Schweiz, unter den Erben des<lb/>
Geistes von Jakob Burckhardt und den Kennern seines ungeschriebnen Willens<lb/>
und Wissens, hätte sich doch jemand finden müssen. Warum ließ man denn<lb/>
dort überhaupt den Verlag des Werkes in eine deutsche Hand übergehn?<lb/>
&#x201E;Was räucherst du nun deinem Toten? Hältst dus ihm so im Leben geboten",<lb/>
lautet ein Spruch von Goethe. Es ist doch bekannt genug und in Burck¬<lb/>
hardts Biographien mit Tatsachen belegt, wie wenig sein Vaterland und seine<lb/>
Heimatstadt für den großen Mann bei Lebzeiten getan haben, der sich in<lb/>
seiner einzigen Bescheidenheit, in seinem wahrhaft antiken Vaterlandssinn mit<lb/>
den kärglichsten äußern Entgeltungen für seine Verdienste reichlich belohnt<lb/>
fühlte. Andrerseits hat ihm Deutschland die höchste Schätzung angetragen,<lb/>
die einem wissenschaftlichen Manne zuteil werden kann, als man ihn 1872<lb/>
von Berlin zum Nachfolger Leopold Rankes berief. Und ein deutscher Verlag<lb/>
hat dem Werke Burckhardts den Weg bereitet, dessen immer kürzer werdende<lb/>
Etappen die Erscheinungsjahre der letzten acht Auflagen veranschaulichen<lb/>
mögen: 1877/78, 1885, 1896, 1897, 1898, 1901, 1904, 1907. Das nennt<lb/>
man doch einen äußern Erfolg!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_372" next="#ID_373"> Es verlohnt sich wohl noch, auf die Frage einzugehen, warum Burckhardt<lb/>
sein Werk nach der zweiten Auflage, wie es scheint teilnahmlos, aus der Hand<lb/>
gegeben hat. Nach den Andeutungen von schweizerischer Seite könnte man auf<lb/>
den Gedanken kommen, daß eine persönliche Verstimmung zugrunde gelegen<lb/>
habe, die sich dann wohl nur gegen den neuen Verleger oder den Herausgeber<lb/>
gerichtet haben könnte, wovon doch nichts bekannt geworden ist. Wie mir<lb/>
scheint, liegt die Sache viel einfacher. Abneigung von Autoren gegen Ver¬<lb/>
änderung ihrer Werke kommt ziemlich häufig vor, und aus manchen Vorreden<lb/>
neuer Auflagen merkt man geradezu die Unlust zu solchem Geschäfte heraus.<lb/>
Zum Teil liegt das daran, daß lebendige Naturen von starker Aktivität lieber<lb/>
zu etwas Neuem übergehen, als daß sie sich zu dem Gelärm immer wieder<lb/>
zurückzwingen lassen, zumal da es sich dabei meist um äußerliche Arbeit an<lb/>
Einzelheiten handelt. Es gibt noch mehr Beispiele dafür in der wissenschaft¬<lb/>
lichen Literatur, daß ein bedeutendes Werk von seinem Autor einem andern<lb/>
zur weitern Herausgabe überlassen worden ist. Was Burckhardts Gedanken<lb/>
beschäftigte in den Jahren seit der ersten Auflage seiner &#x201E;Kultur der Renaissance"<lb/>
(1860) bis zum Erscheinen der ersten Geigerschen Ausgabe (1877/78) und<lb/>
darüber hinaus, wissen wir aus dem Verzeichnis seiner öffentlich gehaltnen<lb/>
Vorträge mit ihren allerverschiedensten Gegenständen. Darin lebte er, und wir</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Burckhardts Licerone und Kultur der Renaissance sich jetzt, nach dem Erscheinen von acht Geigerschen Auflagen, die Mühe nehmen will, den Text auf wirkliche Änderungen hin zu prüfen, der wird die Entdeckung machen, daß diese sehr gering sind, daß namentlich ganz und gar nichts wesentliches beseitigt ist, was hätte stehn bleiben müssen. Wozu also das Gejammer! Warum fand sich denn kein andrer, der es besser machte, oder der in einer eingehenden Behandlung eines einzelnen Abschnitts zeigte, wie es hätte gemacht werden müssen? In der Schweiz, unter den Erben des Geistes von Jakob Burckhardt und den Kennern seines ungeschriebnen Willens und Wissens, hätte sich doch jemand finden müssen. Warum ließ man denn dort überhaupt den Verlag des Werkes in eine deutsche Hand übergehn? „Was räucherst du nun deinem Toten? Hältst dus ihm so im Leben geboten", lautet ein Spruch von Goethe. Es ist doch bekannt genug und in Burck¬ hardts Biographien mit Tatsachen belegt, wie wenig sein Vaterland und seine Heimatstadt für den großen Mann bei Lebzeiten getan haben, der sich in seiner einzigen Bescheidenheit, in seinem wahrhaft antiken Vaterlandssinn mit den kärglichsten äußern Entgeltungen für seine Verdienste reichlich belohnt fühlte. Andrerseits hat ihm Deutschland die höchste Schätzung angetragen, die einem wissenschaftlichen Manne zuteil werden kann, als man ihn 1872 von Berlin zum Nachfolger Leopold Rankes berief. Und ein deutscher Verlag hat dem Werke Burckhardts den Weg bereitet, dessen immer kürzer werdende Etappen die Erscheinungsjahre der letzten acht Auflagen veranschaulichen mögen: 1877/78, 1885, 1896, 1897, 1898, 1901, 1904, 1907. Das nennt man doch einen äußern Erfolg! Es verlohnt sich wohl noch, auf die Frage einzugehen, warum Burckhardt sein Werk nach der zweiten Auflage, wie es scheint teilnahmlos, aus der Hand gegeben hat. Nach den Andeutungen von schweizerischer Seite könnte man auf den Gedanken kommen, daß eine persönliche Verstimmung zugrunde gelegen habe, die sich dann wohl nur gegen den neuen Verleger oder den Herausgeber gerichtet haben könnte, wovon doch nichts bekannt geworden ist. Wie mir scheint, liegt die Sache viel einfacher. Abneigung von Autoren gegen Ver¬ änderung ihrer Werke kommt ziemlich häufig vor, und aus manchen Vorreden neuer Auflagen merkt man geradezu die Unlust zu solchem Geschäfte heraus. Zum Teil liegt das daran, daß lebendige Naturen von starker Aktivität lieber zu etwas Neuem übergehen, als daß sie sich zu dem Gelärm immer wieder zurückzwingen lassen, zumal da es sich dabei meist um äußerliche Arbeit an Einzelheiten handelt. Es gibt noch mehr Beispiele dafür in der wissenschaft¬ lichen Literatur, daß ein bedeutendes Werk von seinem Autor einem andern zur weitern Herausgabe überlassen worden ist. Was Burckhardts Gedanken beschäftigte in den Jahren seit der ersten Auflage seiner „Kultur der Renaissance" (1860) bis zum Erscheinen der ersten Geigerschen Ausgabe (1877/78) und darüber hinaus, wissen wir aus dem Verzeichnis seiner öffentlich gehaltnen Vorträge mit ihren allerverschiedensten Gegenständen. Darin lebte er, und wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/87>, abgerufen am 25.08.2024.