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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Burckhardts Cicerone und Kultur der Renaissance

kannte als vor Winckelmann von der Kunst der Alten. Und es ist schlechter¬
dings nicht abzusehen, auf welche Weise die Wissenschaft von der Renaissance
fortan noch solche Fortschritte machen könnte, wie sie der Archäologie durch
die vielen großen äußern Entdeckungen seit Winckelmann noch möglich waren.
Wer Burckhardts Schriften genauer kennt, der hat des Wunderns kein Ende
über alles, was darin steht, und was noch heute, nach dreißig bis vierzig
Jahren, nicht besser gewußt wird und vor allem auch nicht besser ausgedrückt
werden kann. Denn er war der originellste Geist, in dem sich alle Eindrücke
auf eine besondre Weise reflektierten, sodaß jeder, der sich ernsthaft mit der
Kunstgeschichte beschäftigt hat, bewußt oder unbewußt unter dem Einflüsse seiner
Anschauungen steht.

Den Anlaß, uns das heute wieder einmal nachdrücklich in die Seele
zurückzurufen, geben die neusten Auflagen seiner beiden Hauptwerke, des
"Cicerone" und der "Kultur der Renaissance in Italien", wobei in bezug auf
das erstgenannte Werk das ungewöhnliche Ereignis eines Neudrucks der ersten
Auflage außergewöhnliche Beachtung verdient.^) Die erste Auflage des Cicerone
erschien 1355 in einem Baseler Verlage, unerwartet und überraschend. Das
Buch fand in Deutschland bewundernde Anerkennung, es wurde von sachver¬
ständigen Beurteilern besprochen, aber es ging nicht. Das Interesse für die
ältere Kunst war -- abgesehen von der Antike -- damals das Eigentum nur
ganz kleiner Kreise, und die Kunsthistoriker waren zu zählen. So kauften den
Cicerone hauptsächlich die Architekten, die zum Studium uach Italien gingen.
Es dauerte vierzehn Jahre, bis der Cicerone seine zweite Auflage erlebte. Der
Vater des jetzigen Inhabers des Hauses Seemann hatte das Werk übernommen.
Die neue Auflage besorgte mit Burckhardts lebhafter Zustimmung der früh aus
seiner reichen und vielversprechenden Tätigkeit hinweggenommne Albert von Zahn,
und seine Arbeit war vortrefflich. Ich will das mit Nachdruck betonen, weil es
unter den jetzt lebenden nicht sehr viele mehr geben dürfte, die diese zweite Auf¬
lage kennen, denn sie ist längst eine Seltenheit geworden. Sie erschien 1869,
und schon 1874 -- Zahn war inzwischen gestorben -- wurde eine neue Auflage
nötig. Das Schicksal eines Buches hängt eben nicht bloß von seinem innern
Werte, sondern auch davon ab, was für einen Verleger es findet. Eine, wie
mir scheint, gerade heute recht zeitgemäße Wahrheit, wo man die Verleger gern
als Bücherverkünfer und Profitmacher ansieht, die sich vom Schweiße ihrer
Autoren Villen bauen. Die weitern Auflagen, die nun schnell aufeinander
folgten, wurden in die Hand Bodes gelegt, der schon damals, vor einem
Menschenalter, für den berufensten Kenner galt, und dem namentlich die von
Burckhardt nur summarisch behandelte Plastik der Frührenaissance ganz neue



Der Cicerone von Jakob Burckhardt. Neudruck der ersten Auflage. Drei Bände, ge¬
bunden 16 Mark. Leipzig, E. A. Seemann, 1907. Die Kultur der Renaissance in Italien.
Ein Versuch von I. B, Zehnte Auflage von Ludwig Geiger. Zwei Bände, gebunden
1L Mark SO Pfennige. Derselbe Verlag, 1908.
Burckhardts Cicerone und Kultur der Renaissance

kannte als vor Winckelmann von der Kunst der Alten. Und es ist schlechter¬
dings nicht abzusehen, auf welche Weise die Wissenschaft von der Renaissance
fortan noch solche Fortschritte machen könnte, wie sie der Archäologie durch
die vielen großen äußern Entdeckungen seit Winckelmann noch möglich waren.
Wer Burckhardts Schriften genauer kennt, der hat des Wunderns kein Ende
über alles, was darin steht, und was noch heute, nach dreißig bis vierzig
Jahren, nicht besser gewußt wird und vor allem auch nicht besser ausgedrückt
werden kann. Denn er war der originellste Geist, in dem sich alle Eindrücke
auf eine besondre Weise reflektierten, sodaß jeder, der sich ernsthaft mit der
Kunstgeschichte beschäftigt hat, bewußt oder unbewußt unter dem Einflüsse seiner
Anschauungen steht.

Den Anlaß, uns das heute wieder einmal nachdrücklich in die Seele
zurückzurufen, geben die neusten Auflagen seiner beiden Hauptwerke, des
„Cicerone" und der „Kultur der Renaissance in Italien", wobei in bezug auf
das erstgenannte Werk das ungewöhnliche Ereignis eines Neudrucks der ersten
Auflage außergewöhnliche Beachtung verdient.^) Die erste Auflage des Cicerone
erschien 1355 in einem Baseler Verlage, unerwartet und überraschend. Das
Buch fand in Deutschland bewundernde Anerkennung, es wurde von sachver¬
ständigen Beurteilern besprochen, aber es ging nicht. Das Interesse für die
ältere Kunst war — abgesehen von der Antike — damals das Eigentum nur
ganz kleiner Kreise, und die Kunsthistoriker waren zu zählen. So kauften den
Cicerone hauptsächlich die Architekten, die zum Studium uach Italien gingen.
Es dauerte vierzehn Jahre, bis der Cicerone seine zweite Auflage erlebte. Der
Vater des jetzigen Inhabers des Hauses Seemann hatte das Werk übernommen.
Die neue Auflage besorgte mit Burckhardts lebhafter Zustimmung der früh aus
seiner reichen und vielversprechenden Tätigkeit hinweggenommne Albert von Zahn,
und seine Arbeit war vortrefflich. Ich will das mit Nachdruck betonen, weil es
unter den jetzt lebenden nicht sehr viele mehr geben dürfte, die diese zweite Auf¬
lage kennen, denn sie ist längst eine Seltenheit geworden. Sie erschien 1869,
und schon 1874 — Zahn war inzwischen gestorben — wurde eine neue Auflage
nötig. Das Schicksal eines Buches hängt eben nicht bloß von seinem innern
Werte, sondern auch davon ab, was für einen Verleger es findet. Eine, wie
mir scheint, gerade heute recht zeitgemäße Wahrheit, wo man die Verleger gern
als Bücherverkünfer und Profitmacher ansieht, die sich vom Schweiße ihrer
Autoren Villen bauen. Die weitern Auflagen, die nun schnell aufeinander
folgten, wurden in die Hand Bodes gelegt, der schon damals, vor einem
Menschenalter, für den berufensten Kenner galt, und dem namentlich die von
Burckhardt nur summarisch behandelte Plastik der Frührenaissance ganz neue



Der Cicerone von Jakob Burckhardt. Neudruck der ersten Auflage. Drei Bände, ge¬
bunden 16 Mark. Leipzig, E. A. Seemann, 1907. Die Kultur der Renaissance in Italien.
Ein Versuch von I. B, Zehnte Auflage von Ludwig Geiger. Zwei Bände, gebunden
1L Mark SO Pfennige. Derselbe Verlag, 1908.
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[0084] Burckhardts Cicerone und Kultur der Renaissance kannte als vor Winckelmann von der Kunst der Alten. Und es ist schlechter¬ dings nicht abzusehen, auf welche Weise die Wissenschaft von der Renaissance fortan noch solche Fortschritte machen könnte, wie sie der Archäologie durch die vielen großen äußern Entdeckungen seit Winckelmann noch möglich waren. Wer Burckhardts Schriften genauer kennt, der hat des Wunderns kein Ende über alles, was darin steht, und was noch heute, nach dreißig bis vierzig Jahren, nicht besser gewußt wird und vor allem auch nicht besser ausgedrückt werden kann. Denn er war der originellste Geist, in dem sich alle Eindrücke auf eine besondre Weise reflektierten, sodaß jeder, der sich ernsthaft mit der Kunstgeschichte beschäftigt hat, bewußt oder unbewußt unter dem Einflüsse seiner Anschauungen steht. Den Anlaß, uns das heute wieder einmal nachdrücklich in die Seele zurückzurufen, geben die neusten Auflagen seiner beiden Hauptwerke, des „Cicerone" und der „Kultur der Renaissance in Italien", wobei in bezug auf das erstgenannte Werk das ungewöhnliche Ereignis eines Neudrucks der ersten Auflage außergewöhnliche Beachtung verdient.^) Die erste Auflage des Cicerone erschien 1355 in einem Baseler Verlage, unerwartet und überraschend. Das Buch fand in Deutschland bewundernde Anerkennung, es wurde von sachver¬ ständigen Beurteilern besprochen, aber es ging nicht. Das Interesse für die ältere Kunst war — abgesehen von der Antike — damals das Eigentum nur ganz kleiner Kreise, und die Kunsthistoriker waren zu zählen. So kauften den Cicerone hauptsächlich die Architekten, die zum Studium uach Italien gingen. Es dauerte vierzehn Jahre, bis der Cicerone seine zweite Auflage erlebte. Der Vater des jetzigen Inhabers des Hauses Seemann hatte das Werk übernommen. Die neue Auflage besorgte mit Burckhardts lebhafter Zustimmung der früh aus seiner reichen und vielversprechenden Tätigkeit hinweggenommne Albert von Zahn, und seine Arbeit war vortrefflich. Ich will das mit Nachdruck betonen, weil es unter den jetzt lebenden nicht sehr viele mehr geben dürfte, die diese zweite Auf¬ lage kennen, denn sie ist längst eine Seltenheit geworden. Sie erschien 1869, und schon 1874 — Zahn war inzwischen gestorben — wurde eine neue Auflage nötig. Das Schicksal eines Buches hängt eben nicht bloß von seinem innern Werte, sondern auch davon ab, was für einen Verleger es findet. Eine, wie mir scheint, gerade heute recht zeitgemäße Wahrheit, wo man die Verleger gern als Bücherverkünfer und Profitmacher ansieht, die sich vom Schweiße ihrer Autoren Villen bauen. Die weitern Auflagen, die nun schnell aufeinander folgten, wurden in die Hand Bodes gelegt, der schon damals, vor einem Menschenalter, für den berufensten Kenner galt, und dem namentlich die von Burckhardt nur summarisch behandelte Plastik der Frührenaissance ganz neue Der Cicerone von Jakob Burckhardt. Neudruck der ersten Auflage. Drei Bände, ge¬ bunden 16 Mark. Leipzig, E. A. Seemann, 1907. Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch von I. B, Zehnte Auflage von Ludwig Geiger. Zwei Bände, gebunden 1L Mark SO Pfennige. Derselbe Verlag, 1908.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/84>, abgerufen am 24.08.2024.