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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Johann Friedrich von Schulte

und nach mitgerissen. Aber diese Tat wurde doch mit Recht als eine deutsche
Leistung empfunden. Ob man mehr der preußischen Politik oder mehr dem
deutschen Patriotismus zu verdanken habe, dieser Streit ist müßig. Der Erfolg
wäre jedenfalls ohne einen der beiden Faktoren nicht denkbar gewesen: das
Emporkommen des soldatischen Preußens und die Kraft deutschen Geisteslebens.
Und beides sehen wir vereinigt in dem Manne, den Weimar mit Stolz den
seinen nennt, der preußischer General gewesen war und Schirmherr deutscher
Dichter und Denker, Herzog Karl August.

Sein Denkmal steht heute auf dem Platze, wo 1803 der Obelisk in Holz
errichtet wurde, den man doch nicht in Stein verewigt hat, und das ist gut
so. Und eine hohe Genugtuung und Freude ist es für jedes deutsche Herz, daß
sich auf dem Ettersbcrg, wo jenseits der Napoleonstein mit der Jahreszahl 1803
am Baume lehnt, diesseits ein Bismarckturm erhebt, weit hinaus ins deutsche
Vaterland blickend, wo allenthalben das Bewußtsein für deutsche Ehre und
Größe erwacht ist.




Johann Friedrich von schulte

el mehreren Anlässen ist des tragischen Geschicks Döllingers ge¬
dacht worden, der, von gleichgesinnten Freunden unterstützt und
von Zeitströmungen und Ereignissen begünstigt, beinahe vierzig
Jahre lang mit Erfolg daran gearbeitet hat, die deutschen Katholiken
an den römischen Stuhl zu ketten, und dann sich beinahe dreißig
Jahre lang vergebens abgemüht hat, die von ihm geschmiedete Fessel wieder
zu lösen. Das Geschick seines Mitkämpfers Schulte, des Schöpfers der alt¬
katholischen Synodal- und Gemeineordnung, erscheint mir beinahe noch tragischer;
denn er ist, wie ich erst aus dem vorliegenden Buche*) erfahre, in seiner Jugend
noch weit päpstlicher gesinnt gewesen als Döllinger, die Altkatholikengemeinschaft
aber, deren Organisator er gewesen ist, erweist sich zwar bis heute für einige
tausend religiös gesinnte nicht ultramontane Katholiken als eine Wohltat, hat
jedoch das Ziel, das Schulte und seine Mitarbeiter im Auge hatten, verfehlt.

Schulte wurde 1827 als Sohn eines westfälischen Arztes geboren, vollendete
unter mancherlei Schwierigkeiten und Hindernissen seine juristischen Studien in
Berlin, arbeitete dort als Auskultator, als Referendar dann in Fredebnrg und
Bonn, wo er sich im Dezember 1853 als Privatdozent habilitierte, und ließ
sich im März 1854 auf zwei Monate beurlauben, um -- in Rom vom Papste
die Erlaubnis zur Gründung eines militärischen Ordens zu erlangen, der als



*) Lebenserinnerungen. Mein Wirken als Rechtslehrer, mein Anteil an der Politik
in Kirche und Staat von I)r. Joh, Friedrich von Schulte. Mit dem Porträt des Verfassers in
Photogravüre und Faksimile. Gießen, Emil Roth, 1S08.
Johann Friedrich von Schulte

und nach mitgerissen. Aber diese Tat wurde doch mit Recht als eine deutsche
Leistung empfunden. Ob man mehr der preußischen Politik oder mehr dem
deutschen Patriotismus zu verdanken habe, dieser Streit ist müßig. Der Erfolg
wäre jedenfalls ohne einen der beiden Faktoren nicht denkbar gewesen: das
Emporkommen des soldatischen Preußens und die Kraft deutschen Geisteslebens.
Und beides sehen wir vereinigt in dem Manne, den Weimar mit Stolz den
seinen nennt, der preußischer General gewesen war und Schirmherr deutscher
Dichter und Denker, Herzog Karl August.

Sein Denkmal steht heute auf dem Platze, wo 1803 der Obelisk in Holz
errichtet wurde, den man doch nicht in Stein verewigt hat, und das ist gut
so. Und eine hohe Genugtuung und Freude ist es für jedes deutsche Herz, daß
sich auf dem Ettersbcrg, wo jenseits der Napoleonstein mit der Jahreszahl 1803
am Baume lehnt, diesseits ein Bismarckturm erhebt, weit hinaus ins deutsche
Vaterland blickend, wo allenthalben das Bewußtsein für deutsche Ehre und
Größe erwacht ist.




Johann Friedrich von schulte

el mehreren Anlässen ist des tragischen Geschicks Döllingers ge¬
dacht worden, der, von gleichgesinnten Freunden unterstützt und
von Zeitströmungen und Ereignissen begünstigt, beinahe vierzig
Jahre lang mit Erfolg daran gearbeitet hat, die deutschen Katholiken
an den römischen Stuhl zu ketten, und dann sich beinahe dreißig
Jahre lang vergebens abgemüht hat, die von ihm geschmiedete Fessel wieder
zu lösen. Das Geschick seines Mitkämpfers Schulte, des Schöpfers der alt¬
katholischen Synodal- und Gemeineordnung, erscheint mir beinahe noch tragischer;
denn er ist, wie ich erst aus dem vorliegenden Buche*) erfahre, in seiner Jugend
noch weit päpstlicher gesinnt gewesen als Döllinger, die Altkatholikengemeinschaft
aber, deren Organisator er gewesen ist, erweist sich zwar bis heute für einige
tausend religiös gesinnte nicht ultramontane Katholiken als eine Wohltat, hat
jedoch das Ziel, das Schulte und seine Mitarbeiter im Auge hatten, verfehlt.

Schulte wurde 1827 als Sohn eines westfälischen Arztes geboren, vollendete
unter mancherlei Schwierigkeiten und Hindernissen seine juristischen Studien in
Berlin, arbeitete dort als Auskultator, als Referendar dann in Fredebnrg und
Bonn, wo er sich im Dezember 1853 als Privatdozent habilitierte, und ließ
sich im März 1854 auf zwei Monate beurlauben, um — in Rom vom Papste
die Erlaubnis zur Gründung eines militärischen Ordens zu erlangen, der als



*) Lebenserinnerungen. Mein Wirken als Rechtslehrer, mein Anteil an der Politik
in Kirche und Staat von I)r. Joh, Friedrich von Schulte. Mit dem Porträt des Verfassers in
Photogravüre und Faksimile. Gießen, Emil Roth, 1S08.
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[0638] Johann Friedrich von Schulte und nach mitgerissen. Aber diese Tat wurde doch mit Recht als eine deutsche Leistung empfunden. Ob man mehr der preußischen Politik oder mehr dem deutschen Patriotismus zu verdanken habe, dieser Streit ist müßig. Der Erfolg wäre jedenfalls ohne einen der beiden Faktoren nicht denkbar gewesen: das Emporkommen des soldatischen Preußens und die Kraft deutschen Geisteslebens. Und beides sehen wir vereinigt in dem Manne, den Weimar mit Stolz den seinen nennt, der preußischer General gewesen war und Schirmherr deutscher Dichter und Denker, Herzog Karl August. Sein Denkmal steht heute auf dem Platze, wo 1803 der Obelisk in Holz errichtet wurde, den man doch nicht in Stein verewigt hat, und das ist gut so. Und eine hohe Genugtuung und Freude ist es für jedes deutsche Herz, daß sich auf dem Ettersbcrg, wo jenseits der Napoleonstein mit der Jahreszahl 1803 am Baume lehnt, diesseits ein Bismarckturm erhebt, weit hinaus ins deutsche Vaterland blickend, wo allenthalben das Bewußtsein für deutsche Ehre und Größe erwacht ist. Johann Friedrich von schulte el mehreren Anlässen ist des tragischen Geschicks Döllingers ge¬ dacht worden, der, von gleichgesinnten Freunden unterstützt und von Zeitströmungen und Ereignissen begünstigt, beinahe vierzig Jahre lang mit Erfolg daran gearbeitet hat, die deutschen Katholiken an den römischen Stuhl zu ketten, und dann sich beinahe dreißig Jahre lang vergebens abgemüht hat, die von ihm geschmiedete Fessel wieder zu lösen. Das Geschick seines Mitkämpfers Schulte, des Schöpfers der alt¬ katholischen Synodal- und Gemeineordnung, erscheint mir beinahe noch tragischer; denn er ist, wie ich erst aus dem vorliegenden Buche*) erfahre, in seiner Jugend noch weit päpstlicher gesinnt gewesen als Döllinger, die Altkatholikengemeinschaft aber, deren Organisator er gewesen ist, erweist sich zwar bis heute für einige tausend religiös gesinnte nicht ultramontane Katholiken als eine Wohltat, hat jedoch das Ziel, das Schulte und seine Mitarbeiter im Auge hatten, verfehlt. Schulte wurde 1827 als Sohn eines westfälischen Arztes geboren, vollendete unter mancherlei Schwierigkeiten und Hindernissen seine juristischen Studien in Berlin, arbeitete dort als Auskultator, als Referendar dann in Fredebnrg und Bonn, wo er sich im Dezember 1853 als Privatdozent habilitierte, und ließ sich im März 1854 auf zwei Monate beurlauben, um — in Rom vom Papste die Erlaubnis zur Gründung eines militärischen Ordens zu erlangen, der als *) Lebenserinnerungen. Mein Wirken als Rechtslehrer, mein Anteil an der Politik in Kirche und Staat von I)r. Joh, Friedrich von Schulte. Mit dem Porträt des Verfassers in Photogravüre und Faksimile. Gießen, Emil Roth, 1S08.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/638>, abgerufen am 22.07.2024.