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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Miltonfeier

ließ ihn die Sehnsucht nach dem für immer Verlornen Licht gerade auch die
Herrlichkeit des Lichtes um so hingebender schildern und auch von all
dem Lieblicher und dem Schönen, das sehende Augen ergötzt, in immer neuer
Mille erzählen. Und daß Blindheit nicht an Vertiefung sonstiger Lebenskenntnis
hindert, braucht wohl niemand bewiesen zu werden.

Wohl gibt von innerer Lebenskenntnis auch die dem Verlornen Paradies
später hinzugefügte Nebendichtung des Wiedergewonnenen Paradieses mancherlei
Zeugnis. Aber wie wenig ist dieses Werk doch im ganzen geworden im Ver¬
gleich zu dem, was es hätte werden können! Ist schon die Beschränkung auf
die eine Geschichte aus dem Leben Jesu, die von seiner Versuchung in der Wüste,
zu bedauern, so ist diese Versuchung selbst durchaus nicht als tiefes inneres
Erlebnis oder als eine Reihe innerer Vorgänge, Kämpfe, Zweifel zum Gegen¬
stande gemacht, sondern als die kampflose Zurückweisung ohnmächtiger Teufels¬
versuche, sodaß im ganzen nur etwas allenfalls dogmatisch Befriedigendes, im
übrigen aber meist Lebloses herauskommen konnte. Viel mehr Kraft und große
Wirkung liegt in Miltons letzter Dichtung, dem Drama von Samson, und zwar
hier wieder in Sprache wie inhaltreicher Gestaltung, mit ähnlicher und noch
vollerer Beziehung zu des Dichters eignem Leben und Erleben als im Ver¬
lornen Paradies, doch gegenüber diesem Lied von Himmelstrotz, vom "Wechsel
des Lichtes und der Finsternis" im Reich des Unermeßlichen hier ein Sang
von trotzigem Menschentum und seiner Kraft inmitten alles selbstverschuldeten
oder verhängten Leides -- eine letzte Dichtung, nicht unwürdig des Schöpfers
jenes berühmtem Werkes.

An dieses eine eben heftet sich sein Ruhm. Man erzählt gern mit Mitleid
oder einer Art von Beschämung, wie der Dichter elende fünf Pfund als Honorar
für ?Arg.als" I^ost erhalten habe, und seine Quittung darüber ist noch jetzt
im Britischen Museum zu sehen. Aber eine wie ansehnliche Zahl von Exem¬
plaren dieser schweren, ernsten Dichtung doch in kurzer Zeit in die Welt ging,
und wie bald die Auflagen von 1667 bis zum Schluß des Jahrhunderts
einander folgten, das ist doch wichtiger. Und so hat denn Milton nicht wenig
Ruhm noch bei Lebzeiten (er starb am 8. November 1674) genossen, wenn auch
sein Lebensausgang äußerlich ziemlich ärmlich war. Er ist zu eigenartig groß,
als daß er auch ferner je aus der Reihe der allerwürts Berühmten gestrichen
werden könnte.

Daß zwischen ihm und Shakespeare, zwischen dessen Dichtung und der
seinigen, zwischen seiner und dessen Seele eine unendliche Kluft liege, wird jeder
alsbald empfinden. Aber daß diese tiefe Verschiedenheit des Wesens den Jüngern,
anscheinend so viel starrem nicht hinderte, den großen Dramatiker so voll zu
würdigen, ja zu lieben, wie es nur irgendeiner der Zeitgenossen zu tun ver¬
mochte, das muß über unser Erwarten gehn und uns um so mehr befriedigen.
Übrigens darf man nicht Ungleichartiges aneinander messen, nicht auf das
Verhältnis von Zahl und Maß bringen wollen. Soviel fühlt jeder Leser:


Miltonfeier

ließ ihn die Sehnsucht nach dem für immer Verlornen Licht gerade auch die
Herrlichkeit des Lichtes um so hingebender schildern und auch von all
dem Lieblicher und dem Schönen, das sehende Augen ergötzt, in immer neuer
Mille erzählen. Und daß Blindheit nicht an Vertiefung sonstiger Lebenskenntnis
hindert, braucht wohl niemand bewiesen zu werden.

Wohl gibt von innerer Lebenskenntnis auch die dem Verlornen Paradies
später hinzugefügte Nebendichtung des Wiedergewonnenen Paradieses mancherlei
Zeugnis. Aber wie wenig ist dieses Werk doch im ganzen geworden im Ver¬
gleich zu dem, was es hätte werden können! Ist schon die Beschränkung auf
die eine Geschichte aus dem Leben Jesu, die von seiner Versuchung in der Wüste,
zu bedauern, so ist diese Versuchung selbst durchaus nicht als tiefes inneres
Erlebnis oder als eine Reihe innerer Vorgänge, Kämpfe, Zweifel zum Gegen¬
stande gemacht, sondern als die kampflose Zurückweisung ohnmächtiger Teufels¬
versuche, sodaß im ganzen nur etwas allenfalls dogmatisch Befriedigendes, im
übrigen aber meist Lebloses herauskommen konnte. Viel mehr Kraft und große
Wirkung liegt in Miltons letzter Dichtung, dem Drama von Samson, und zwar
hier wieder in Sprache wie inhaltreicher Gestaltung, mit ähnlicher und noch
vollerer Beziehung zu des Dichters eignem Leben und Erleben als im Ver¬
lornen Paradies, doch gegenüber diesem Lied von Himmelstrotz, vom „Wechsel
des Lichtes und der Finsternis" im Reich des Unermeßlichen hier ein Sang
von trotzigem Menschentum und seiner Kraft inmitten alles selbstverschuldeten
oder verhängten Leides — eine letzte Dichtung, nicht unwürdig des Schöpfers
jenes berühmtem Werkes.

An dieses eine eben heftet sich sein Ruhm. Man erzählt gern mit Mitleid
oder einer Art von Beschämung, wie der Dichter elende fünf Pfund als Honorar
für ?Arg.als« I^ost erhalten habe, und seine Quittung darüber ist noch jetzt
im Britischen Museum zu sehen. Aber eine wie ansehnliche Zahl von Exem¬
plaren dieser schweren, ernsten Dichtung doch in kurzer Zeit in die Welt ging,
und wie bald die Auflagen von 1667 bis zum Schluß des Jahrhunderts
einander folgten, das ist doch wichtiger. Und so hat denn Milton nicht wenig
Ruhm noch bei Lebzeiten (er starb am 8. November 1674) genossen, wenn auch
sein Lebensausgang äußerlich ziemlich ärmlich war. Er ist zu eigenartig groß,
als daß er auch ferner je aus der Reihe der allerwürts Berühmten gestrichen
werden könnte.

Daß zwischen ihm und Shakespeare, zwischen dessen Dichtung und der
seinigen, zwischen seiner und dessen Seele eine unendliche Kluft liege, wird jeder
alsbald empfinden. Aber daß diese tiefe Verschiedenheit des Wesens den Jüngern,
anscheinend so viel starrem nicht hinderte, den großen Dramatiker so voll zu
würdigen, ja zu lieben, wie es nur irgendeiner der Zeitgenossen zu tun ver¬
mochte, das muß über unser Erwarten gehn und uns um so mehr befriedigen.
Übrigens darf man nicht Ungleichartiges aneinander messen, nicht auf das
Verhältnis von Zahl und Maß bringen wollen. Soviel fühlt jeder Leser:


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[0546] Miltonfeier ließ ihn die Sehnsucht nach dem für immer Verlornen Licht gerade auch die Herrlichkeit des Lichtes um so hingebender schildern und auch von all dem Lieblicher und dem Schönen, das sehende Augen ergötzt, in immer neuer Mille erzählen. Und daß Blindheit nicht an Vertiefung sonstiger Lebenskenntnis hindert, braucht wohl niemand bewiesen zu werden. Wohl gibt von innerer Lebenskenntnis auch die dem Verlornen Paradies später hinzugefügte Nebendichtung des Wiedergewonnenen Paradieses mancherlei Zeugnis. Aber wie wenig ist dieses Werk doch im ganzen geworden im Ver¬ gleich zu dem, was es hätte werden können! Ist schon die Beschränkung auf die eine Geschichte aus dem Leben Jesu, die von seiner Versuchung in der Wüste, zu bedauern, so ist diese Versuchung selbst durchaus nicht als tiefes inneres Erlebnis oder als eine Reihe innerer Vorgänge, Kämpfe, Zweifel zum Gegen¬ stande gemacht, sondern als die kampflose Zurückweisung ohnmächtiger Teufels¬ versuche, sodaß im ganzen nur etwas allenfalls dogmatisch Befriedigendes, im übrigen aber meist Lebloses herauskommen konnte. Viel mehr Kraft und große Wirkung liegt in Miltons letzter Dichtung, dem Drama von Samson, und zwar hier wieder in Sprache wie inhaltreicher Gestaltung, mit ähnlicher und noch vollerer Beziehung zu des Dichters eignem Leben und Erleben als im Ver¬ lornen Paradies, doch gegenüber diesem Lied von Himmelstrotz, vom „Wechsel des Lichtes und der Finsternis" im Reich des Unermeßlichen hier ein Sang von trotzigem Menschentum und seiner Kraft inmitten alles selbstverschuldeten oder verhängten Leides — eine letzte Dichtung, nicht unwürdig des Schöpfers jenes berühmtem Werkes. An dieses eine eben heftet sich sein Ruhm. Man erzählt gern mit Mitleid oder einer Art von Beschämung, wie der Dichter elende fünf Pfund als Honorar für ?Arg.als« I^ost erhalten habe, und seine Quittung darüber ist noch jetzt im Britischen Museum zu sehen. Aber eine wie ansehnliche Zahl von Exem¬ plaren dieser schweren, ernsten Dichtung doch in kurzer Zeit in die Welt ging, und wie bald die Auflagen von 1667 bis zum Schluß des Jahrhunderts einander folgten, das ist doch wichtiger. Und so hat denn Milton nicht wenig Ruhm noch bei Lebzeiten (er starb am 8. November 1674) genossen, wenn auch sein Lebensausgang äußerlich ziemlich ärmlich war. Er ist zu eigenartig groß, als daß er auch ferner je aus der Reihe der allerwürts Berühmten gestrichen werden könnte. Daß zwischen ihm und Shakespeare, zwischen dessen Dichtung und der seinigen, zwischen seiner und dessen Seele eine unendliche Kluft liege, wird jeder alsbald empfinden. Aber daß diese tiefe Verschiedenheit des Wesens den Jüngern, anscheinend so viel starrem nicht hinderte, den großen Dramatiker so voll zu würdigen, ja zu lieben, wie es nur irgendeiner der Zeitgenossen zu tun ver¬ mochte, das muß über unser Erwarten gehn und uns um so mehr befriedigen. Übrigens darf man nicht Ungleichartiges aneinander messen, nicht auf das Verhältnis von Zahl und Maß bringen wollen. Soviel fühlt jeder Leser:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/546>, abgerufen am 22.07.2024.