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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Hermann Weites westfälische Gedichte und Jost "most

älteste Naturrecht verleugnet haben und Macht und Vermögen in die Hände
von Wenigen gelangen ließen, mit dem verarmten Bauer auch den vermöglichen
Bürger und den gesunden, starken Soldaten verloren haben und an Entkräftung
elend zugrunde gegangen sind." So kommt er zu dem hochherzigen Entschluß, die
Alimente seiner Vaterstadt zum Besten ihrer Bürger wiederherzustellen.

Um so außergewöhnliches wollen und unternehmen zu können, mußte Jost
Knost eine außergewöhnliche Erziehung erhalten, die ihn über das Gewöhn¬
liche und Hergebrachte hinausführte. Nach der Meinung der Großmutter und
des Vaters lernte der Junge in der gesunden Freischule der guten Mutter
Natur, der ältesten und gescheutesten Lehrmeisterin auf Erden, bis zu seinem
Zehnten Lebensjahre unentgeltlich mehr, als ihm hernach für teures Geld sämt¬
liche bezahlte Elementar-, Gymnasial- und Nnivcrsitütsmagister beizubringen
vermochten. So kam es, daß Jost auch später alles mit eignen Augen sehen
und alles durch eigne Übung erlernen wollte. So setzte er schon auf der
Volksschule den Schulinspektor, der den Fuchs für das schlaueste von allen
Tieren erklärt, durch seinen sachverständigen Widerspruch in die größte Ver¬
wirrung, um so mehr, als er sich dabei der richtigen Jägeransdrttcke bediente:
"Mit dem Augen des Fuchses ist es nicht weit her; er äugt mit der Nase, er
gittert, er windet. Die Vögel aber wittern nicht mit der Nase, sondern sie
"ugen mit den Sehern." Noch unfaßlicher war es später auf dem Gymnasium
^nem stockphilologischen Pedanten, als Jost Knost ihm seine Vertrautheit mit
Homerischen Gedichten auf Grund der Vossischen Übersetzung verriet. Der
Magister hielt das für einen bedauerlichen Mangel an Ehrgefühl. Auf der
Universität ging unser Held ebenfalls seinen eignen Vildungsweg, er besuchte
leder die Vorlesungen eines jungen Privatdozenten, der ihn in das volle
^erständnis des Lebens der Natur einführte, als die der ältesten und be¬
rühmtesten Professoren. Die wahre Hochschule wird für ihn Amerika, dessen
Mannigfache Vorzüge er gründlich kennen lernt, ohne deshalb der Heimat
untreu zu werden.

Wette weiß alles so natürlich zu entwickeln, daß wir an der Lebens¬
wahrheit nirgendwo zweifeln. Auch hier wechselt Ernstes und Heitres. Un-
^rsieglicher Humor weiß die Geschehnisse uns immer wieder interessant zu
fachen. Gern bedient sich der Dichter volkstümlicher, sprichwörtlicher Wendungen,
im Anfang nach einer längern Auseinandersetzung über Latop, die den Leser
"reführen soll: "Doch: in msäiss res! sprach der Fuchs, da sprang er mitten
unter die Gänseherde"; "Frater Porculus machte immer schnell kehrt, wenn er
^n starken Henrich gewahrte, ähnlich dem Fuchs, der den Jäger kommen sieht:
Touss?, ins88isurs! auf ein andermal!" "Da haben wirs schwarz auf weiß!
^gte der Deubel, da sah er den Popen aufm Schimmel vor der Hölle halten."
^t vollem künstlerischen Verständnis bietet Wette dem Leser Ruhepunkte zum
^chdenken und vor allem zur eignen Einkehr, er deutet in längern Einlagen
^ Ruf der verschiednen Vögel, den Klang der Kirchenglocken. Einen großen


Hermann Weites westfälische Gedichte und Jost «most

älteste Naturrecht verleugnet haben und Macht und Vermögen in die Hände
von Wenigen gelangen ließen, mit dem verarmten Bauer auch den vermöglichen
Bürger und den gesunden, starken Soldaten verloren haben und an Entkräftung
elend zugrunde gegangen sind." So kommt er zu dem hochherzigen Entschluß, die
Alimente seiner Vaterstadt zum Besten ihrer Bürger wiederherzustellen.

Um so außergewöhnliches wollen und unternehmen zu können, mußte Jost
Knost eine außergewöhnliche Erziehung erhalten, die ihn über das Gewöhn¬
liche und Hergebrachte hinausführte. Nach der Meinung der Großmutter und
des Vaters lernte der Junge in der gesunden Freischule der guten Mutter
Natur, der ältesten und gescheutesten Lehrmeisterin auf Erden, bis zu seinem
Zehnten Lebensjahre unentgeltlich mehr, als ihm hernach für teures Geld sämt¬
liche bezahlte Elementar-, Gymnasial- und Nnivcrsitütsmagister beizubringen
vermochten. So kam es, daß Jost auch später alles mit eignen Augen sehen
und alles durch eigne Übung erlernen wollte. So setzte er schon auf der
Volksschule den Schulinspektor, der den Fuchs für das schlaueste von allen
Tieren erklärt, durch seinen sachverständigen Widerspruch in die größte Ver¬
wirrung, um so mehr, als er sich dabei der richtigen Jägeransdrttcke bediente:
"Mit dem Augen des Fuchses ist es nicht weit her; er äugt mit der Nase, er
gittert, er windet. Die Vögel aber wittern nicht mit der Nase, sondern sie
"ugen mit den Sehern." Noch unfaßlicher war es später auf dem Gymnasium
^nem stockphilologischen Pedanten, als Jost Knost ihm seine Vertrautheit mit
Homerischen Gedichten auf Grund der Vossischen Übersetzung verriet. Der
Magister hielt das für einen bedauerlichen Mangel an Ehrgefühl. Auf der
Universität ging unser Held ebenfalls seinen eignen Vildungsweg, er besuchte
leder die Vorlesungen eines jungen Privatdozenten, der ihn in das volle
^erständnis des Lebens der Natur einführte, als die der ältesten und be¬
rühmtesten Professoren. Die wahre Hochschule wird für ihn Amerika, dessen
Mannigfache Vorzüge er gründlich kennen lernt, ohne deshalb der Heimat
untreu zu werden.

Wette weiß alles so natürlich zu entwickeln, daß wir an der Lebens¬
wahrheit nirgendwo zweifeln. Auch hier wechselt Ernstes und Heitres. Un-
^rsieglicher Humor weiß die Geschehnisse uns immer wieder interessant zu
fachen. Gern bedient sich der Dichter volkstümlicher, sprichwörtlicher Wendungen,
im Anfang nach einer längern Auseinandersetzung über Latop, die den Leser
"reführen soll: „Doch: in msäiss res! sprach der Fuchs, da sprang er mitten
unter die Gänseherde"; „Frater Porculus machte immer schnell kehrt, wenn er
^n starken Henrich gewahrte, ähnlich dem Fuchs, der den Jäger kommen sieht:
Touss?, ins88isurs! auf ein andermal!" „Da haben wirs schwarz auf weiß!
^gte der Deubel, da sah er den Popen aufm Schimmel vor der Hölle halten."
^t vollem künstlerischen Verständnis bietet Wette dem Leser Ruhepunkte zum
^chdenken und vor allem zur eignen Einkehr, er deutet in längern Einlagen
^ Ruf der verschiednen Vögel, den Klang der Kirchenglocken. Einen großen


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[0499] Hermann Weites westfälische Gedichte und Jost «most älteste Naturrecht verleugnet haben und Macht und Vermögen in die Hände von Wenigen gelangen ließen, mit dem verarmten Bauer auch den vermöglichen Bürger und den gesunden, starken Soldaten verloren haben und an Entkräftung elend zugrunde gegangen sind." So kommt er zu dem hochherzigen Entschluß, die Alimente seiner Vaterstadt zum Besten ihrer Bürger wiederherzustellen. Um so außergewöhnliches wollen und unternehmen zu können, mußte Jost Knost eine außergewöhnliche Erziehung erhalten, die ihn über das Gewöhn¬ liche und Hergebrachte hinausführte. Nach der Meinung der Großmutter und des Vaters lernte der Junge in der gesunden Freischule der guten Mutter Natur, der ältesten und gescheutesten Lehrmeisterin auf Erden, bis zu seinem Zehnten Lebensjahre unentgeltlich mehr, als ihm hernach für teures Geld sämt¬ liche bezahlte Elementar-, Gymnasial- und Nnivcrsitütsmagister beizubringen vermochten. So kam es, daß Jost auch später alles mit eignen Augen sehen und alles durch eigne Übung erlernen wollte. So setzte er schon auf der Volksschule den Schulinspektor, der den Fuchs für das schlaueste von allen Tieren erklärt, durch seinen sachverständigen Widerspruch in die größte Ver¬ wirrung, um so mehr, als er sich dabei der richtigen Jägeransdrttcke bediente: "Mit dem Augen des Fuchses ist es nicht weit her; er äugt mit der Nase, er gittert, er windet. Die Vögel aber wittern nicht mit der Nase, sondern sie "ugen mit den Sehern." Noch unfaßlicher war es später auf dem Gymnasium ^nem stockphilologischen Pedanten, als Jost Knost ihm seine Vertrautheit mit Homerischen Gedichten auf Grund der Vossischen Übersetzung verriet. Der Magister hielt das für einen bedauerlichen Mangel an Ehrgefühl. Auf der Universität ging unser Held ebenfalls seinen eignen Vildungsweg, er besuchte leder die Vorlesungen eines jungen Privatdozenten, der ihn in das volle ^erständnis des Lebens der Natur einführte, als die der ältesten und be¬ rühmtesten Professoren. Die wahre Hochschule wird für ihn Amerika, dessen Mannigfache Vorzüge er gründlich kennen lernt, ohne deshalb der Heimat untreu zu werden. Wette weiß alles so natürlich zu entwickeln, daß wir an der Lebens¬ wahrheit nirgendwo zweifeln. Auch hier wechselt Ernstes und Heitres. Un- ^rsieglicher Humor weiß die Geschehnisse uns immer wieder interessant zu fachen. Gern bedient sich der Dichter volkstümlicher, sprichwörtlicher Wendungen, im Anfang nach einer längern Auseinandersetzung über Latop, die den Leser "reführen soll: „Doch: in msäiss res! sprach der Fuchs, da sprang er mitten unter die Gänseherde"; „Frater Porculus machte immer schnell kehrt, wenn er ^n starken Henrich gewahrte, ähnlich dem Fuchs, der den Jäger kommen sieht: Touss?, ins88isurs! auf ein andermal!" „Da haben wirs schwarz auf weiß! ^gte der Deubel, da sah er den Popen aufm Schimmel vor der Hölle halten." ^t vollem künstlerischen Verständnis bietet Wette dem Leser Ruhepunkte zum ^chdenken und vor allem zur eignen Einkehr, er deutet in längern Einlagen ^ Ruf der verschiednen Vögel, den Klang der Kirchenglocken. Einen großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/499>, abgerufen am 28.09.2024.