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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Ein deutscher Magister als Sansculotte

Die Tatsache, daß jemand adlicher Herkunft war, genügte, ihn aufs Blut¬
gerüst zu bringen. Da reichte schließlich die Guillotine nicht mehr zu, und
man schoß die unglücklichen Schlachtopfer vor dem Tore mit Kartätschen tot,
wobei die Sansculotten mit Säbel und Bajonett nachhalfen. Und das alles
nnr. weil die Hoffnung des Pöbels auf einen Konventsbeschluß, daß Lyon ge¬
plündert und verbrannt werden solle, nicht in Erfüllung gegangen war. Merk¬
würdig mutet dabei an, daß hie und da der Heroismus der Opfer dem blut¬
dürstigen Volke noch imponierte. Laukhard berichtet von einem jungen Ehe¬
paare, das mit wahrhaft antiker Gelassenheit in den Tod ging. Als der
Henker den Zuschauern die Köpfe zeigte, schrie keiner, wie sonst gewöhnlich:
Es lebe die Republik! -- "alle schauten, im stumpfen Schmerz verloren, vor
sich hin und bewiesen dadurch, daß sie noch nicht alles Gefühl für Natur und
Menschlichkeit verloren hätten".

Am Tage nach seiner Ankunft in Lyon trat Laukhard ohne besondre
Förmlichkeit in eine Kompagnie Sansculotten ein, die sich aus Franzosen,
Deutschen, Italienern, Spaniern und Holländer,: zusammensetzte. Er schloß sich
a" die Franzosen an, da er den Deutschen nicht traute, obgleich man ihm zu
seiner Freude erzählte, daß seine Landsleute "allemal brave Ohnehoscn wären,
besser als die Spcmiolen und noch besser als die Italiener, welche man vor¬
wärts stoßen müßte". Der Kolonel, dem sich der neue Sansculotte vorstellen
wußte, war ehedem Seifensiedergesclle gewesen. Seine und der übrigen Offi¬
ziere Gunst gewann der Neuling durch wackres Schimpfen auf Aristokraten
U"d Pfaffen.

Bei einer Expedition gegen Vienne, zu der sich Laukhard mit andern Frei¬
willigen gemeldet hatte, brachte er das Gespräch auf die Vergangenheit dieser
^labt und erzählte den Kameraden, daß dies der Ort sei, "wohin die alten
Kaiser zu Rom die Staatsverbrecher gewiesen hätten, mich daß unter diesen
Pontius Pilatus gewesen sei, der den Juden Jesus zum Tode verdammt hätte."
Darüber entrüstete sich einer der Sansculotten und meinte: "Der Mosjöh Jesus
hatte seine Strafe verdient, denn er hat die ganze Pfafferei gestiftet." Darauf
Minderte Laukhard: "Nicht doch, die ist von herrschsüchtigen Bischöfen und
Päpsten gestiftet. Jesus verabscheute sie, und es ist eine Lust zu lesen, wie
er die Pfaffen seiner Zeit, die Schriftgelehrten und die Hohenpriester, wo er
u"r konnte, hernahm. Jesus, Brüder, war es, der es wagte, den Despotismus
unter seiner Nation anzugreifen und ihr Freiheit lind Gleichheit vorzupredigen.
^a er war im eigentlichen Sinne ein Patriarch (soll wohl Patriot heißen!)
""d --. die Muskadins es nehmen -- der erste Sansculotte, der sein
^en zur Stürzung des damaligen Despotismus hingab und nicht einmal
wwel hatte, worauf er sein Haupt hätte legen können, viel weniger -- Hosen."

Wie man sieht, verstand sich der ehemalige Theologe schon recht gut auf
republikanischen Jargon, und seine Gründe hatten deshalb auch die ge¬
wünschte Beweiskraft. Seine Kameraden riefen: "Allerliebst! Wenn das wahr


Ein deutscher Magister als Sansculotte

Die Tatsache, daß jemand adlicher Herkunft war, genügte, ihn aufs Blut¬
gerüst zu bringen. Da reichte schließlich die Guillotine nicht mehr zu, und
man schoß die unglücklichen Schlachtopfer vor dem Tore mit Kartätschen tot,
wobei die Sansculotten mit Säbel und Bajonett nachhalfen. Und das alles
nnr. weil die Hoffnung des Pöbels auf einen Konventsbeschluß, daß Lyon ge¬
plündert und verbrannt werden solle, nicht in Erfüllung gegangen war. Merk¬
würdig mutet dabei an, daß hie und da der Heroismus der Opfer dem blut¬
dürstigen Volke noch imponierte. Laukhard berichtet von einem jungen Ehe¬
paare, das mit wahrhaft antiker Gelassenheit in den Tod ging. Als der
Henker den Zuschauern die Köpfe zeigte, schrie keiner, wie sonst gewöhnlich:
Es lebe die Republik! — „alle schauten, im stumpfen Schmerz verloren, vor
sich hin und bewiesen dadurch, daß sie noch nicht alles Gefühl für Natur und
Menschlichkeit verloren hätten".

Am Tage nach seiner Ankunft in Lyon trat Laukhard ohne besondre
Förmlichkeit in eine Kompagnie Sansculotten ein, die sich aus Franzosen,
Deutschen, Italienern, Spaniern und Holländer,: zusammensetzte. Er schloß sich
a» die Franzosen an, da er den Deutschen nicht traute, obgleich man ihm zu
seiner Freude erzählte, daß seine Landsleute „allemal brave Ohnehoscn wären,
besser als die Spcmiolen und noch besser als die Italiener, welche man vor¬
wärts stoßen müßte". Der Kolonel, dem sich der neue Sansculotte vorstellen
wußte, war ehedem Seifensiedergesclle gewesen. Seine und der übrigen Offi¬
ziere Gunst gewann der Neuling durch wackres Schimpfen auf Aristokraten
U"d Pfaffen.

Bei einer Expedition gegen Vienne, zu der sich Laukhard mit andern Frei¬
willigen gemeldet hatte, brachte er das Gespräch auf die Vergangenheit dieser
^labt und erzählte den Kameraden, daß dies der Ort sei, „wohin die alten
Kaiser zu Rom die Staatsverbrecher gewiesen hätten, mich daß unter diesen
Pontius Pilatus gewesen sei, der den Juden Jesus zum Tode verdammt hätte."
Darüber entrüstete sich einer der Sansculotten und meinte: „Der Mosjöh Jesus
hatte seine Strafe verdient, denn er hat die ganze Pfafferei gestiftet." Darauf
Minderte Laukhard: „Nicht doch, die ist von herrschsüchtigen Bischöfen und
Päpsten gestiftet. Jesus verabscheute sie, und es ist eine Lust zu lesen, wie
er die Pfaffen seiner Zeit, die Schriftgelehrten und die Hohenpriester, wo er
u»r konnte, hernahm. Jesus, Brüder, war es, der es wagte, den Despotismus
unter seiner Nation anzugreifen und ihr Freiheit lind Gleichheit vorzupredigen.
^a er war im eigentlichen Sinne ein Patriarch (soll wohl Patriot heißen!)
""d —. die Muskadins es nehmen — der erste Sansculotte, der sein
^en zur Stürzung des damaligen Despotismus hingab und nicht einmal
wwel hatte, worauf er sein Haupt hätte legen können, viel weniger — Hosen."

Wie man sieht, verstand sich der ehemalige Theologe schon recht gut auf
republikanischen Jargon, und seine Gründe hatten deshalb auch die ge¬
wünschte Beweiskraft. Seine Kameraden riefen: „Allerliebst! Wenn das wahr


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[0491] Ein deutscher Magister als Sansculotte Die Tatsache, daß jemand adlicher Herkunft war, genügte, ihn aufs Blut¬ gerüst zu bringen. Da reichte schließlich die Guillotine nicht mehr zu, und man schoß die unglücklichen Schlachtopfer vor dem Tore mit Kartätschen tot, wobei die Sansculotten mit Säbel und Bajonett nachhalfen. Und das alles nnr. weil die Hoffnung des Pöbels auf einen Konventsbeschluß, daß Lyon ge¬ plündert und verbrannt werden solle, nicht in Erfüllung gegangen war. Merk¬ würdig mutet dabei an, daß hie und da der Heroismus der Opfer dem blut¬ dürstigen Volke noch imponierte. Laukhard berichtet von einem jungen Ehe¬ paare, das mit wahrhaft antiker Gelassenheit in den Tod ging. Als der Henker den Zuschauern die Köpfe zeigte, schrie keiner, wie sonst gewöhnlich: Es lebe die Republik! — „alle schauten, im stumpfen Schmerz verloren, vor sich hin und bewiesen dadurch, daß sie noch nicht alles Gefühl für Natur und Menschlichkeit verloren hätten". Am Tage nach seiner Ankunft in Lyon trat Laukhard ohne besondre Förmlichkeit in eine Kompagnie Sansculotten ein, die sich aus Franzosen, Deutschen, Italienern, Spaniern und Holländer,: zusammensetzte. Er schloß sich a» die Franzosen an, da er den Deutschen nicht traute, obgleich man ihm zu seiner Freude erzählte, daß seine Landsleute „allemal brave Ohnehoscn wären, besser als die Spcmiolen und noch besser als die Italiener, welche man vor¬ wärts stoßen müßte". Der Kolonel, dem sich der neue Sansculotte vorstellen wußte, war ehedem Seifensiedergesclle gewesen. Seine und der übrigen Offi¬ ziere Gunst gewann der Neuling durch wackres Schimpfen auf Aristokraten U"d Pfaffen. Bei einer Expedition gegen Vienne, zu der sich Laukhard mit andern Frei¬ willigen gemeldet hatte, brachte er das Gespräch auf die Vergangenheit dieser ^labt und erzählte den Kameraden, daß dies der Ort sei, „wohin die alten Kaiser zu Rom die Staatsverbrecher gewiesen hätten, mich daß unter diesen Pontius Pilatus gewesen sei, der den Juden Jesus zum Tode verdammt hätte." Darüber entrüstete sich einer der Sansculotten und meinte: „Der Mosjöh Jesus hatte seine Strafe verdient, denn er hat die ganze Pfafferei gestiftet." Darauf Minderte Laukhard: „Nicht doch, die ist von herrschsüchtigen Bischöfen und Päpsten gestiftet. Jesus verabscheute sie, und es ist eine Lust zu lesen, wie er die Pfaffen seiner Zeit, die Schriftgelehrten und die Hohenpriester, wo er u»r konnte, hernahm. Jesus, Brüder, war es, der es wagte, den Despotismus unter seiner Nation anzugreifen und ihr Freiheit lind Gleichheit vorzupredigen. ^a er war im eigentlichen Sinne ein Patriarch (soll wohl Patriot heißen!) ""d —. die Muskadins es nehmen — der erste Sansculotte, der sein ^en zur Stürzung des damaligen Despotismus hingab und nicht einmal wwel hatte, worauf er sein Haupt hätte legen können, viel weniger — Hosen." Wie man sieht, verstand sich der ehemalige Theologe schon recht gut auf republikanischen Jargon, und seine Gründe hatten deshalb auch die ge¬ wünschte Beweiskraft. Seine Kameraden riefen: „Allerliebst! Wenn das wahr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/491>, abgerufen am 22.07.2024.