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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Gin Wort Schwiiids über das "Malen - Können"

Die kurzen Worte dieser Einleitung werden genügen, um dem Leser zu
vergegenwärtigen, aus welcher Zeitstimmung der nachfolgende Schwindsche Aufsatz
entstanden ist. Hingelenkt wurde ich auf ihn durch eine Nachricht Julius
Schmorrs, der am 8. November 1852 in sein Tagebuch schrieb"'): "Sendung
aus Augsburg enthaltend einen Brief von Schönchen, drei Exemplare der All¬
gemeinen Zeitung mit meinem Aufsatz jüber Kaulbnchs Darstellungen der neuern
Kunstgeschichte j und einige Nummern der Postzeitung. In einer dieser letzteren
Nummern ist ein Aufsatz über das Malen-Können sehr originell und geistreich
vermutlich von Schwind."

Was Schmorr, der Schwind für den Verfasser dieses zuletzt genannten Auf¬
satzes hüte, eine Vermutung nennt, ist mehr als das: eine Annahme, der man
unbedenklich vollen Glauben schenken darf. Schmorr kannte Verhältnisse und
Personen jener Zeit so genau, daß für ihn die Anonymität des Artikelschreibers
nur wenig verhüllt sein konnte. Das erkennt auch Schönchen, der Redakteur
der Zeitung, in der der Artikel abgedruckt ist, in dem Briefe an Schmorr, mit
dem er diesem die Zeitung übersendet, ausdrücklich ein, indem er sagt, Schmorr
werde des Artikels "ursprünglichen Konzipienten wohl leicht erraten können".
Man erfährt durch denselben Brief, daß Schwind im Sommer einmal einen
Tag in Augsburg zubrachte, und alles, was man von seinem ünßern Lebens¬
gange, seinen wechselnden Wohnorten, seiner Redeweise, seiner künstlerischen
Gesinnung, dem Geiste seiner Werke weiß, ist geeignet, seine Verfasserschaft zu
bestätigen. Aber auch wenn man von der Person des immerhin nur gemutmaßten
Verfassers absieht und den Aufsatz lediglich uach seinem sachlichen Inhalte würdigt,
darf man ihn als lehrreiche Äußerung eines bedeutenden Künstlers bewerten. Ob
und inwieweit in Schönchens Munde das Wort "ursprünglicher Konzipient"
darauf schließen lasse, daß im gedruckten Texte redaktionelle Änderungen, Zu¬
sätze oder Weglassungen Platz gegriffen haben, ist eine Frage, die sich besonders
in einigen Wendungen von etwas ultramontanen Charakter dem Leser auf¬
drängen wird, nicht aber sich wird entscheiden lassen.

Gäbe es nur viele ähnliche künstlerische Glaubensbekenntnisse! Neben den
vielen "Herzensergießungen" "kunstliebender" Schriftsteller recht viele von be¬
deutenden schaffenden Meistern der Kunst! Wie unschätzbar sind die Äuße¬
rungen unsrer großen Dichter, die uns Blicke tun lassen in die Geheimnisse
ihrer dichterischen Werkstatt, in die Entstehung ihrer Werke, in das innerste
Wesen der Dichtkunst, in ihr Verhältnis zu den großen Dichtern der Ver¬
gangenheit! Wie schwankend hätte sich wohl das Urteil der Nachwelt über
Shakespeare, diesen das Durchschnittsmaß der Beurteiler so weit überragende"
Niesen, gestaltet, wenn es nicht ihm ebenbürtige große Dichter für alle Zeit
in die rechte Bahn gelenkt Hütten! Auf den Wogen der modernen Kunst¬
entwicklung schaut man noch vergebens nach einem Leuchtturm aus, und man



") Dresdner Geschichtsblätter 1895, Ur. 3, H. Zip.
Gin Wort Schwiiids über das „Malen - Können"

Die kurzen Worte dieser Einleitung werden genügen, um dem Leser zu
vergegenwärtigen, aus welcher Zeitstimmung der nachfolgende Schwindsche Aufsatz
entstanden ist. Hingelenkt wurde ich auf ihn durch eine Nachricht Julius
Schmorrs, der am 8. November 1852 in sein Tagebuch schrieb"'): „Sendung
aus Augsburg enthaltend einen Brief von Schönchen, drei Exemplare der All¬
gemeinen Zeitung mit meinem Aufsatz jüber Kaulbnchs Darstellungen der neuern
Kunstgeschichte j und einige Nummern der Postzeitung. In einer dieser letzteren
Nummern ist ein Aufsatz über das Malen-Können sehr originell und geistreich
vermutlich von Schwind."

Was Schmorr, der Schwind für den Verfasser dieses zuletzt genannten Auf¬
satzes hüte, eine Vermutung nennt, ist mehr als das: eine Annahme, der man
unbedenklich vollen Glauben schenken darf. Schmorr kannte Verhältnisse und
Personen jener Zeit so genau, daß für ihn die Anonymität des Artikelschreibers
nur wenig verhüllt sein konnte. Das erkennt auch Schönchen, der Redakteur
der Zeitung, in der der Artikel abgedruckt ist, in dem Briefe an Schmorr, mit
dem er diesem die Zeitung übersendet, ausdrücklich ein, indem er sagt, Schmorr
werde des Artikels „ursprünglichen Konzipienten wohl leicht erraten können".
Man erfährt durch denselben Brief, daß Schwind im Sommer einmal einen
Tag in Augsburg zubrachte, und alles, was man von seinem ünßern Lebens¬
gange, seinen wechselnden Wohnorten, seiner Redeweise, seiner künstlerischen
Gesinnung, dem Geiste seiner Werke weiß, ist geeignet, seine Verfasserschaft zu
bestätigen. Aber auch wenn man von der Person des immerhin nur gemutmaßten
Verfassers absieht und den Aufsatz lediglich uach seinem sachlichen Inhalte würdigt,
darf man ihn als lehrreiche Äußerung eines bedeutenden Künstlers bewerten. Ob
und inwieweit in Schönchens Munde das Wort „ursprünglicher Konzipient"
darauf schließen lasse, daß im gedruckten Texte redaktionelle Änderungen, Zu¬
sätze oder Weglassungen Platz gegriffen haben, ist eine Frage, die sich besonders
in einigen Wendungen von etwas ultramontanen Charakter dem Leser auf¬
drängen wird, nicht aber sich wird entscheiden lassen.

Gäbe es nur viele ähnliche künstlerische Glaubensbekenntnisse! Neben den
vielen „Herzensergießungen" „kunstliebender" Schriftsteller recht viele von be¬
deutenden schaffenden Meistern der Kunst! Wie unschätzbar sind die Äuße¬
rungen unsrer großen Dichter, die uns Blicke tun lassen in die Geheimnisse
ihrer dichterischen Werkstatt, in die Entstehung ihrer Werke, in das innerste
Wesen der Dichtkunst, in ihr Verhältnis zu den großen Dichtern der Ver¬
gangenheit! Wie schwankend hätte sich wohl das Urteil der Nachwelt über
Shakespeare, diesen das Durchschnittsmaß der Beurteiler so weit überragende»
Niesen, gestaltet, wenn es nicht ihm ebenbürtige große Dichter für alle Zeit
in die rechte Bahn gelenkt Hütten! Auf den Wogen der modernen Kunst¬
entwicklung schaut man noch vergebens nach einem Leuchtturm aus, und man



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[0044] Gin Wort Schwiiids über das „Malen - Können" Die kurzen Worte dieser Einleitung werden genügen, um dem Leser zu vergegenwärtigen, aus welcher Zeitstimmung der nachfolgende Schwindsche Aufsatz entstanden ist. Hingelenkt wurde ich auf ihn durch eine Nachricht Julius Schmorrs, der am 8. November 1852 in sein Tagebuch schrieb"'): „Sendung aus Augsburg enthaltend einen Brief von Schönchen, drei Exemplare der All¬ gemeinen Zeitung mit meinem Aufsatz jüber Kaulbnchs Darstellungen der neuern Kunstgeschichte j und einige Nummern der Postzeitung. In einer dieser letzteren Nummern ist ein Aufsatz über das Malen-Können sehr originell und geistreich vermutlich von Schwind." Was Schmorr, der Schwind für den Verfasser dieses zuletzt genannten Auf¬ satzes hüte, eine Vermutung nennt, ist mehr als das: eine Annahme, der man unbedenklich vollen Glauben schenken darf. Schmorr kannte Verhältnisse und Personen jener Zeit so genau, daß für ihn die Anonymität des Artikelschreibers nur wenig verhüllt sein konnte. Das erkennt auch Schönchen, der Redakteur der Zeitung, in der der Artikel abgedruckt ist, in dem Briefe an Schmorr, mit dem er diesem die Zeitung übersendet, ausdrücklich ein, indem er sagt, Schmorr werde des Artikels „ursprünglichen Konzipienten wohl leicht erraten können". Man erfährt durch denselben Brief, daß Schwind im Sommer einmal einen Tag in Augsburg zubrachte, und alles, was man von seinem ünßern Lebens¬ gange, seinen wechselnden Wohnorten, seiner Redeweise, seiner künstlerischen Gesinnung, dem Geiste seiner Werke weiß, ist geeignet, seine Verfasserschaft zu bestätigen. Aber auch wenn man von der Person des immerhin nur gemutmaßten Verfassers absieht und den Aufsatz lediglich uach seinem sachlichen Inhalte würdigt, darf man ihn als lehrreiche Äußerung eines bedeutenden Künstlers bewerten. Ob und inwieweit in Schönchens Munde das Wort „ursprünglicher Konzipient" darauf schließen lasse, daß im gedruckten Texte redaktionelle Änderungen, Zu¬ sätze oder Weglassungen Platz gegriffen haben, ist eine Frage, die sich besonders in einigen Wendungen von etwas ultramontanen Charakter dem Leser auf¬ drängen wird, nicht aber sich wird entscheiden lassen. Gäbe es nur viele ähnliche künstlerische Glaubensbekenntnisse! Neben den vielen „Herzensergießungen" „kunstliebender" Schriftsteller recht viele von be¬ deutenden schaffenden Meistern der Kunst! Wie unschätzbar sind die Äuße¬ rungen unsrer großen Dichter, die uns Blicke tun lassen in die Geheimnisse ihrer dichterischen Werkstatt, in die Entstehung ihrer Werke, in das innerste Wesen der Dichtkunst, in ihr Verhältnis zu den großen Dichtern der Ver¬ gangenheit! Wie schwankend hätte sich wohl das Urteil der Nachwelt über Shakespeare, diesen das Durchschnittsmaß der Beurteiler so weit überragende» Niesen, gestaltet, wenn es nicht ihm ebenbürtige große Dichter für alle Zeit in die rechte Bahn gelenkt Hütten! Auf den Wogen der modernen Kunst¬ entwicklung schaut man noch vergebens nach einem Leuchtturm aus, und man ") Dresdner Geschichtsblätter 1895, Ur. 3, H. Zip.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/44>, abgerufen am 21.06.2024.